Reaktionen auf Urteil zu illegalem VW-Thermofenster: Politik schweigt zum "Die­selskandal Reloaded"

von Dr. Felix W. Zimmermann

24.02.2023

Es könnte zur Stilllegung von Millionen Diesel-Pkw kommen: Laut Urteil des VG Schleswig ist das Abschalten der Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen illegal. Doch Verkehrsministerium und -politiker schweigen, bis auf eine Ausnahme.  

Spätestens seit Montag dieser Woche gilt in Deutschland, ja sogar Europa: "Dieselskandal Reloaded". Jahrelang schaffte es die Autoindustrie Politik und einigen Medien zu suggerieren, allenfalls die berühmte Abschalteinrichtung im VW-Motor EA 189 sei illegal. Diese hatte anhand von Fahrkurven erkannt, wann das Auto auf dem gesetzlichen Prüfstand stand und hat dort auf "sauber" geschaltet, auf der Straße dann allerdings auf "schmutzig".  

Legal seien hingegen sogenannte Thermofenster, die die Abgasreinigung bei in Deutschland völlig üblichen Temperaturen von unter 10 Grad oder auch schon bei 15 Grad abschalten. Dass die Abgasreinigung dann während der Wintermonate fast vollständig auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung ausfällt, spiele keine Rolle – schließlich müsse der Motor ja geschützt werden. Das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt stellte den Motorschutz ebenfalls über den Gesundheitsschutz und segnete die Argumentation in Freigabebescheiden für die Abschaltsoftware von VW und anderen Herstellern ab.  

Klare Rechtsprechung des EuGH  

Dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine andere Rechtsauffassung vertritt, ist aufmerksamen Beobachter seit Dezember 2020 klar. Zuletzt hatte der EuGH im Sommer 2022 ganz konkret entschieden, dass Thermofenster illegal sind und dies im Dezember 2022 nochmals erweiternd klargestellt. Die Ausnahme Motorschutz sei eng auszulegen, der Stand der Technik müsse beachtet und zudem dürfe die Ausnahme (Abschalten der Reinigung) nicht zur Regel werden. 

Das VG Schleswig hat nun am vergangenen Montag nach Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unter Beachtung der EuGH-Rechtsprechung bereits die erste Voraussetzung "Motorschutz" abgelehnt und Freigabebescheide des Kraftfahrtbundesamts für VW-Softwareupdates aufgehoben. Das VW-Thermofenster sei illegal. Werden das Urteil und weitere vergleichbare Verfahren rechtskräftig, müssen Millionen Dieselautos teuer nachgerüstet oder stillgelegt werden.   

Bundesverkehrsministerium will nicht intervenieren 

Und wie reagiert die Politik? Das Bundesverkehrsministerium hält trotz Regierungswechsels offenbar an seiner unbedingten Treue zur Automobilindustrie fest. Die im Sommer gegenüber LTO mitgeteilte Auffassung des Ministeriums, wonach sich das Kraftfahrtbundesamt  "bisher bereits strikt" an der Rechtsprechung des EuGH ausgerichtet habe, wurde auf Nachfrage von LTO nicht korrigiert. Eine Antwort darauf, ob sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit der Thematik befasst habe und ob es Vermerke hierzu gebe, wurde unter Missachtung des presserechtlichen Auskunftsanspruch nicht erteilt. Gegenüber LTO heißt es allein: "Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt wird die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe zunächst prüfen und über weitere Maßnahmen entscheiden." 

Das Bundesverkehrsministerium schiebt also das Kraftfahrt-Bundesamt vor, obwohl es selbst die Fachaufsicht über die Behörde hat und durchregieren könnte. Es wird weiter auf Zeit gespielt, statt das Kraftfahrt-Bundesamt zur Einhaltung der Rechtslage im Sinne des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung aufzufordern.  

Abgeordnete schweigen 

Sprachloser Vorsitz, Udo Schiefner (SPD)Auch sonst redselige Bundestagsabgeordnete wollen zur Thematik lieber nichts sagen. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses Udo Schiefner (SPD) lässt mitteilen, er habe nicht die Aufgabe, Gerichtsurteile zu kommentieren. Der CDU-Obmann im Ausschuss, Thomas Bareiß, ist auf Delegationsreise im Ausland und nicht sprechfähig. Gleiches gilt für den FDP-Obmann Bernd-Reuther: Kein Statement, wir sollen uns ans Ministerium wenden. AfD-Obmann Dirk Spaniel möchte sich, wie die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Dorothee Martin, erst nach Rechtskraft des Urteils äußern.  

Von der Vize-Ausschussvorsitzenden Nyke Slawik (Bündnis 90/Grüne) kommt überhaupt keine Antwort. Gleiches gilt für ihre Parteikollegin und Obfrau im Verkehrsausschuss Susanne Menge und Obmann Thomas Lutze (Die Linke). Auch Bundestagsabgeordnete, die sich in der vorangegangenen Legislaturperiode – noch in der Opposition – lauthals über die Untätigkeit des Verkehrsministeriums echauffiert haben, wie Anton Hofreiter (Bündnis 90/Grüne) und Oliver Luksic (FDP), schweigen. 

"Illegales Wegschauen aus der Ära Scheuer gerichtlich festgestellt" 

Verlangt Handeln, Stefan GelbhaarVon den angefragten Abgeordneten äußert sich allein der verkehrspolitische Sprecher von Bündnis90/Grüne Stefan Gelbhaar gegenüber LTO deutlich: Das illegale Wegschauen aus der Ära Scheuer sei jetzt öffentlich und gerichtlich festgestellt. Thermofenster stellten eine klare Manipulation zum Schaden der Gesundheit der Menschen und Umwelt dar.  

Das bisherige illegale Verwaltungshandeln gelte es nun unverzüglich zu beenden: "Das Gericht hat das Selbstverständliche klargestellt. Das bestehende Umweltrecht gilt, staatliche Kontrollinstanzen müssen es umsetzen. Das Verkehrsministerium wird das Urteil akzeptieren und entsprechend umsetzen müssen." 

Ein unwahrscheinliches Szenario. Im Hintergrundgespräch teilt ein Mitarbeiter eines Abgeordneten mit, VW wolle wohl Berufung einlegen.* Angesichts des bekannten Einflusses von VW auf das Kraftfahrt-Bundesamt ist mehr als wahrscheinlich, dass dieses den gleichen Weg geht.

Es läge allerdings in der Möglichkeit der Politik dafür zu sorgen, die eindeutige EuGH-Rechtsprechung sofort umzusetzen und die Gesundheit der Bevölkerung nicht durch illegal in Deutschland fahrenden Autos zu schädigen. Zudem wäre es auch im Sinne der Dieselfahrer jetzt frühzeitig alles in die Wege zu leiten, dass diese nicht nach Rechtskraft dieses und weiterer Urteile plötzlich ohne Auto dastehen.   

DUH-Bundeschef Jürgen Resch sagte am Donnerstag, er habe versucht Kontakt zu Verkehrsminister Volker Wissing aufzunehmen, um Einzelgespräche über das Thema zu führen. Bisher gebe es keine Antwort.

* In einer Vorfassung hieß es, VW könne selbst keine Berufung einlegen. Dies ist unrichtig, da VW "notwendig" beigeladen ist. Korrigiert am 24.2.23, 12:30.

 

Zitiervorschlag

Reaktionen auf Urteil zu illegalem VW-Thermofenster: Politik schweigt zum "Dieselskandal Reloaded" . In: Legal Tribune Online, 24.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51144/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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