Wer zu viele Daten überträgt, dem soll künftig die Internetverbindung gedrosselt werden. Es sei denn, er zahlt mehr. So der Plan der Telekom. Während manche das Ende des freien Internets befürchten, betonen andere das legitime Wirtschaftsinteresse des Unternehmens. Tatsächlich könnte die Telekom damit die Macht ihrer Infrastruktur ausnutzen, meinen Thomas Weimann, Daniel Nagel und Martin Beutelmann.
Die Telekom plant, Internetverbindungen ab einem bestimmten Datenvolumen zu drosseln. Damit sollen "nur die Kunden mehr zahlen [müssen], die tatsächlich mehr Volumen beanspruchen". Bei der Berechnung des Datenvolumens sollen eigene Sonderdienste des Unternehmens, wie etwa das Entertain-Paket, nicht berücksichtigt werden. Mit anderen Worten, wer viel Zeit außerhalb des Telekom-Imperiums verbringt, etwa auf Youtube, wird künftig an die Zeiten erinnert, als ein Ladebalken noch eine eigenständige, nicht rein dekorative Funktion hatte.
Einzige Alternative sei, so die Telekom, die Kosten für alle Nutzer anzuheben, wenn man weiterhin auch bei steigenden Datenvolumina eine tragfähige Infrastruktur anbieten wolle. Kritiker sehen dagegen darin nur den nächsten Versuch, den großen Content-Anbietern wie Google ein Stück vom Kuchen abzuschneiden.
Telekom profitiert faktisch von den Angeboten der anderen
Der Erfinder des Ethernet, Robert Metcalfe, würde der Telekom wohl das nach ihm benannte "Metcalfe's Law" entgegenhalten: Die Attraktivität eines Zugangs zum Internet wächst mit der Anzahl der Nutzer. Die Telekom profitiert faktisch von den Angeboten der anderen. Gäbe es letztere nicht, hätte die Telekom weniger Kunden. Ein fiktives Weniger sieht man auf dem Konto allerdings nicht, die beeindruckenden Quartalszahlen von Google sind dagegen regelmäßig in der Zeitung nachzulesen. Umso verständlicher, mögen manche argumentieren, dass René Obermann daran beteiligt werden möchte.
Als frühere exklusive Anbieterin von Telekommunikationsdienstleistungen hat das Unternehmen aber immer noch eine sehr starke Stellung inne. Viele fürchten daher nicht nur um die Netzneutralität, sondern wähnen auch einen Angriff auf die viel diskutierte Frage, ob es ein Grundrecht auf Zugang zum Internet gibt. Nach Ansicht der Telekom kann es das ruhig geben, von schnell hat aber keiner etwas gesagt.
Rigo Wenning, Legal Counsel des Standardisierungsgremiums für das World Wide Web "w3c", sieht die Pläne kritisch: "Dass die Telekom ihre eigenen Dienste privilegiert, zeigt, dass die Maßnahme letztlich der Beeinflussung der eigenen Kunden dient." Es könne durchaus argumentiert werden, dass damit neue innovative und auch kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt gehalten werden könnten. Es gehe also auch um Wettbewerb. "Man wird nicht den Anbieter wechseln, nur um einen neuen unbekannten Dienst zu nutzen." Da Europa in der IT von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt sei, schneide die Telekom ins Mark der europäischen Innovationskraft. "Mit viel Schaden für wenig Gewinn erscheint die Strategie sehr rückwärtsgewandt."
Nach massiver Kritik aus dem Netz ist die Telekom nun etwas zurückgerudert. Erst 2016 soll die Begrenzung eingeführt werden.
2/2: Recht auf gleichen Zugang zum Internet?
Unseren europäischen Nachbarn sind derartige Beschränkungen des Datenvolumens schon länger bekannt: In Schottland haben die meisten Anbieter die Möglichkeit eingeräumt, die Geschwindigkeit ab einem bestimmten Volumen zu drosseln. Sie nennen das ironischerweise "fair use policy". Führende finnische Anbieter verkaufen Flatrates grundsätzlich mit einer Datenobergrenze, deren Erreichen ohne zusätzliche Zahlung zu einer langsameren Verbindung führt. In der Türkei ist dies zumindest faktisch der Fall, in Spanien führte die Idee zu heftigen Protesten und wurde fallengelassen, in Irland wird derzeit eine ähnliche Diskussion geführt wie in Deutschland, eine Einführung ist aber noch nicht geplant.
Die Idee ist also nicht neu, bleibt aber rechtlich umstritten. Muss ein demokratischer Staat im digitalen Zeitalter dafür sorgen, dass alle Bürger unabhängig von Art und Umfang der Nutzung die gleichen Zugangsmöglichkeiten zum Internet haben? Rafael Capurro, ehemals Inhaber der Professur für Informationswissenschaft an der Hochschule für Medien und langjähriges Mitglied der Europäischen Ethikgruppe, sieht das so: "Zur Grundlage eines demokratischen Staates im digitalen Zeitalter gehört die Gewährleistung der Netzneutralität als Bedingung von Chancengleichheit. Sonderregelungen zugunsten bestimmter Gruppen oder Institutionen, wie zum Beispiel Schulen, Hochschulen oder Krankenhäuser, sollten gemäß den Regeln des 'fair play', darunter insbesondere dem Grundsatz der Solidarität gegenüber den Schwächeren, erwogen werden."
Datenschutzrechtlich könnte die geplante Geschwindigkeitsbeschränkung kritisch sein, wenn bei der Berechnung ermittelt werden muss, welche Dienste die Kunden jeweils in Anspruch genommen haben. Im schlimmsten Fall würde dadurch wie bei der Deep Packet Inspection eine – aus Sicht der Werbung sehr wertvolle – Profilbildung ermöglicht. In eine solche Erhebung müssten die Nutzer einwilligen. Ob eine genaue Aufschlüsselung überhaupt vorgesehen ist, oder ob lediglich anhand der reinen Datenmenge verfahren werden kann, ist derzeit aber noch unklar.
Telekom könnte wirtschaftliche Macht ihrer Infrastruktur ausnutzen
Auch kartell- und regulierungsrechtlich könnten die Pläne der Telekom kritisch sein. Das Unternehmen hat nämlich weiterhin eine herausgehobene Marktposition, was das Breitbandnetz betrifft. Trotz dynamischer Veränderungen in den vergangenen Jahre ist es der einzige Marktteilnehmer, der über eine bundesweite Infrastruktur bis zur "letzten Meile" verfügt.
Wegen dieser Machtposition ist die Telekom verpflichtet, beim Netzzugang nicht zu diskriminieren. Wenn das Unternehmen nun ankündigt, eine Drosselung soll eigene Angebote weniger betreffen als fremde, dann muss das kartellrechtlich geprüft werden.
Tatsächlich lassen sich die Telekom-Pläne als der Versuch eines Marktbeherrschers darstellen, die wirtschaftliche Macht seiner Infrastruktur auszunutzen. Das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur werden sich das Vorhaben daher genau ansehen müssen, bevor es 2016 Realität werden könnte. Und auch die Telekom dürfte ein Interesse daran haben, Rechtssicherheit zu erlangen. Denn eines hat die Debatte schon jetzt gezeigt: Es wird ihr kaum gelingen, unbeobachtet Änderungen einzuführen, die sich nachteilig auf die Wahlfreiheit von Internetnutzern auswirken.
Der Autor Dr. Thomas Weimann ist Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner bei BRP Renaud und Partner am Standort Stuttgart. Der Autor Daniel Nagel ist Rechtsanwalt bei BRP Renaud und Partner am Standort Stuttgart. Beide beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit IT-Recht, Datenschutzrecht, AGB-Gestaltung und internationalem Recht. Der Autor Dr. Martin Beutelmann, LL.M. ist Partner bei BRP Renaud und Partner am Standort Stuttgart und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Kartellrecht.
Thomas Weimann und Daniel Nagel, Netzneutralität und das DSL-Limit der Telekom: Die Schotten nennen es "fair use policy" . In: Legal Tribune Online, 30.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8641/ (abgerufen am: 29.05.2023 )
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