Drohnen im NATO-Luftraum: Wann dürfen Staaten sie abschießen?

Gastbeitrag von Benedikt Strack

15.10.2025

Mutmaßlich russische Drohnen fliegen durch den NATO-Luftraum. Völkerrechtlich ein klarer Verstoß gegen die Souveränität und Neutralität. Benedikt Strack zeigt, wann Überflüge auch das Gewaltverbot verletzen und was Staaten dagegen tun dürfen.

Die Konfliktsituationen zwischen den NATO-Staaten Europas und Russland werden zusehends konkreter. In den vergangenen Wochen hat das russische Militär zu mehreren Gelegenheiten den Luftraum von drei NATO-Staaten verletzt.

Am 10. September 2025 drangen mehrere Drohnen, die von polnischen Behörden als Modelle vom Typ Geran-2 und Gerbera identifiziert wurden, in den polnischen Luftraum ein. Einige von ihnen wurden durch Abfangmaßnahmen zerstört. Drei Tage später drang eine mutmaßlich russische Geran-2-Drohne in den rumänischen Luftraum ein, wo sie sich fast eine Stunde lang aufhielt. Am 19. September 2025 durchflogen drei MiG-31-Kampfjets mit abgestelltem Transponder den estnischen Luftraum für etwa zwölf Minuten, bevor sie wieder abdrehten.

Anhand von dem UN-Sicherheitsrat vorgelegten Bildern und Radaraufzeichnungen scheint Russland als Urheber der Vorfälle beweisbar zu sein – obwohl es dies bestreitet.

Ohne Weiteres steht fest, dass sowohl das Eindringen der Drohnen als auch das der Jets völkerrechtswidrig war. Wie dürfen Staaten reagieren?

Überflüge verstoßen gegen Souveränität und Neutralität

Diese Überflüge stellen eine Verletzung der Souveränität der betroffenen Staaten dar. Nach Art. 3c und Art. 8 der Convention On International Civil Aviation (auch Chicago Convention) dürfen weder bemannte noch unbemannte Staatsluftfahrzeuge ohne Genehmigung in fremden Luftraum eindringen. Spätestens seit dem Urteil Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua des Internationalen Gerichtshofs (IGH) ist klar, dass der unautorisierte Überflug von Staatsflugzeugen zumindest Völkergewohnheitsrecht verletzt. Es gibt hier auch keine Ausnahme einer "friedlichen Durchfahrt" wie im Seerecht. Souveränität genießt der Staat nach Art. 2 Abs. 2 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen auch über seinem Küstenmeer. In diesem Bereich bewegten sich offenbar auch die russischen Flugzeuge.

Viel spricht auch dafür, dass Russland mit seinem Vorgehen die Neutralität der betroffenen Staaten verletzt hat. Völkergewohnheitsrecht garantiert die Wahrung der Neutralität der Staaten auch in der Luft. Zur Referenz heranzuziehen ist hier z.B. Art. 40 des Entwurfs der Haager Regeln für die Luftkriegsführung von 1923 – ein an sich nie in Kraft getretener internationaler Vertrag, dessen Normen man gleichwohl zur Rechtsfindung heranziehen kann. Die Rechtsauffassung der Staaten ist dahingehend weitgehend einig.

Mögliche Gewalt durch Drohnenüberflug

Besonders relevant ist jedoch ein möglicher Verstoß gegen das Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta. Danach ist es den Staaten verboten, in ihren internationalen Beziehungen Gewalt auszuüben oder mit Gewalt zu drohen. 

Ausschlaggebend für die Frage, ob ein Überflug mit einer Drohne als Anwendung oder Drohung mit Gewalt zu qualifizieren ist, müssen die Bauart und der Zweck der einschlägigen Maschine sein. Bei der Geran-2 handelt es sich um eine sogenannte Loitering Munition, deren einziger Zweck es ist, sich mitsamt ihrer Sprengstoffladung auf ihr Ziel zu stürzen und zu detonieren. Sie unterscheidet sich von einer Artilleriegranate oder einem Marschflugkörper nur durch den flexibleren Weg durch die Luft, den sie auf dem Weg zu ihrem Ziel nimmt.

Ob diese Drohne wirklich ein Luftfahrzeug ist oder nicht eher selbst eine Waffe, wird je nach konkreter technischer Ausstattung kontrovers diskutiert. Die Bundeswehr ist jedenfalls der Auffassung, dass es sich bei solchen loitering munitions zumeist um einen Typ Waffe handelt.

Versteht man Maschinen wie die Geran-2 als Typ von Munition, könnten die Staaten für die völkerrechtliche Beurteilung des Eindringens dieser Drohnen zukünftig zu dem Ergebnis kommen, dass sich keine andere Beurteilung ergeben könne, als wenn Russland andere Staaten (erfolglos) mit Granaten oder Marschflugkörpern beschossen hätte. Und kaum jemand würde abstreiten, dass es sich dabei um Gewalt nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta handeln würde.

Drohung mit Gewalt durch Militärjets?

Bei den Jets über estnischen Küstengewässern handelte es sich um drei Exemplare des Modells MiG-31, einen bis zu Mach 2,8 (3.457,44 Km/h) schnellen Abfangjet, dessen Aufgabe es ist, attackierende gegnerische Flugzeuge und Marschflugkörper schnell und in großer Höhe zu stellen und zu zerstören, bevor sie auf dem eigenen Territorium Schaden anrichten.

Weder Konfiguration noch Verhalten der russischen Jets sprach in diesem Moment dafür, dass sie es tatsächlich auf einen kinetischen Schlagabtausch abgesehen hatten.  Ziel war es vielmehr wahrscheinlich, die NATO zu einer Reaktion zu provozieren, um Erkenntnisse für den politischen Prozess zu gewinnen und herauszufinden, wie schnell auf Eindringlinge reagiert werden würde.

Nichtsdestoweniger stellt ein solches Überfliegen des Staatsterritoriums ein Inaussichtstellen von militärischer Gewalt und damit eine Drohung nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta dar, sendet es doch eine deutliche Message durch das demonstrative Ignorieren der Souveränität des anderen Staates.

Selbstverteidigung gegen Drohnenüberflüge?

Es stellt sich auch die Frage, auf welche Weise die Staaten auf solches Eindringen reagieren dürfen. Welche Mittel stehen zur Verfügung? Dürfen Staaten die Drohnen im Extremfall über ihrem Staatsgebiet abschießen?

Überwiegend werden Militärflugzeuge, die fremden Luftraum verletzen, von einem dazu abgestellten Abfanggeschwader aus dem entsprechenden Luftraum eskortiert, ohne dass es zu Kampfhandlungen käme.

Für den Einsatz militärischer Gewalt bräuchte es eine Rechtfertigung. Infrage käme eine Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta, die aber einen bewaffneten Angriff voraussetzen würde. Ob ein solcher bei einem Überflug mit Militärflugzeugen vorliegt, ist wiederum umstritten und einzelfallabhängig.

In der langjährigen Staatenpraxis ergibt sich ein gemischtes Bild. Immer wieder kam und kommt es zu Abschüssen von Maschinen über fremdem Staatsgebiet. Erwähnt seien hier nur solche von U-2 Spionageflugzeugen über der UdSSR 1960 oder über Kuba 1962. Und erst 2015 schoss die Türkei einen russischen Su-24M-Bomber nach nur 17 Sekunden im türkischen Luftraum nahe der syrischen Grenze ab. Dies war allerdings "grotesk unverhältnismäßig", wie Professor Hans-Joachim Heintze in einem LTO-Interview darlegte. Nichtsdestoweniger könnten sich angesichts der immer angespannteren internationalen Lage in Zukunft immer mehr Staaten genötigt sehen, dem Beispiel der Türkei zu folgen.

Verhältnismäßigkeit richtet sich nach konkreter Bedrohung

Um die Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, bietet sich eine anhand der konkreten Bedrohung gestufte Reaktionsbefugnis an. Je konkreter sich der Überflug negativ auf den fraglichen Staat auswirkt, desto eher wird er sich auch mit kinetischen Mitteln verteidigen dürfen. Er wird hierbei zwar das Gesamtbild der Lage im Blick haben müssen, aber muss im Rahmen der völkerrechtlich weitgehend anerkannten präventiven Selbstverteidigung nicht zuwarten, bis eine Schädigung tatsächlich eingetreten ist.

Diese – sehr vagen – Kriterien geben den Staaten aber den Spielraum, souveränitätswahrend und vor allem friedenswahrend handeln zu können. Letztendlich werden die konkreten Handlungen im Zweifel mindestens genauso von politischen, wie völkerrechtlichen Erwägungen getragen werden. Solche Vorfälle sind im Sinne der Friedenssicherung in jedem Fall höchst gefährlich.

Abschuss von Drohnen wohl rechtmäßig

Das Eindringen von Drohnen, insbesondere Loitering Munitions in neutralen Luftraum, ist ein neues Phänomen, sodass sich noch keine gefestigte Staatenpraxis erkennen lässt. Allerdings deuten die Reaktionen der beteiligten Staaten darauf hin, dass den Drohnen nicht dieselbe lange Leine gelassen werden wird, die die Staatengemeinschaft den Flugzeugen lässt. So machte z.B. Polens Staatschef Donald Tusk unmissverständlich klar, dass Polen keine russischen Drohnen im polnischen Luftraum dulden werde und sie entsprechend abschießen werde. 

In Deutschland dreht sich die Frage nach einem Abschuss hauptsächlich darum, welche Behörde nun die Kompetenz zum Abschuss hat. Diese liegt, wie Patrick Heinemann für LTO herausgearbeitet hat, bei der Bundeswehr. Dafür sprechen schon verfassungshistorische Gesichtspunkte. Das Grundgesetz sieht eine klare Trennung von ziviler und militärischer Staatsgewalt vor und legt der Ausübung letzterer strenge Schranken auf. In der Gesetzgebung des Grundgesetzes ist es nie vorgesehen gewesen, dass sich nichtmilitärische Polizeibehörden mit militärischem Flugabwehrgerät bewaffnen. Im Falle eines flächendeckenden Drohnenschutzes außerhalb des Verteidigungsfalles müssten sie dies sonst wahrscheinlich. Dies würde die Grenzen von Polizei und Militär über Gebühr verwischen.

Deswegen ist damit zu rechnen, dass ein Abschuss von Drohnen als rechtmäßig betrachtet werden wird. Dies ist auch nur folgerichtig. Beim Abschuss kommt es auch nicht zum sicheren Tod der Piloten. Deshalb müssen die Staaten hier das völkerrechtlich anerkannte Recht auf Leben nicht in ihre Abwägung einbeziehen. Die politischen Implikationen natürlich sehr wohl.

Benedikt Strack ist Referendar im OLG-Bezirk Zweibrücken. Zuvor war er studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Internationales Recht und Rechtstheorie von Prof. Dr. Karsten Schneider an der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz.

Zitiervorschlag

Drohnen im NATO-Luftraum: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58387 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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