2010 wird der deutsche Staatsbürger Bünyamin E. in Pakistan von einer US-amerikanischen Drohne getroffen und stirbt. Nach einer langwierigen Zuständigkeitsprüfung hat sich der deutsche Generalbundesanwalt nun entschieden, die Ermittlungen aufzunehmen. Christoph Safferling erklärt im LTO-Interview die Schwierigkeiten dieser strafrechtlichen Untersuchungen.
LTO: Ein amerikanischer Drohnenangriff ist erstmals Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens in Deutschland. Gegen wen wird ermittelt und wie lautet der Vorwurf?
Safferling: Der Vorwurf lautet auf Kriegsverbrechen und es wird wegen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ermittelt. Das VStGB stellt es unter Strafe, wenn im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person getötet wird.
Ermittelt wird zunächst einmal gegen unbekannt. Für eine Strafbarkeit wird es in erster Linie darauf ankommen, wer die Drohne gesteuert und abgefeuert hat - was man im Moment noch nicht weiß. Außerdem könnte auch derjenige, der den Befehl zum Abschuss erteilt hat, zur Verantwortung gezogen werden. Die Ermittlungen werden deshalb entlang der militärischen Befehlsketten nach oben führen.
Sonderzuständigkeit des Generalbundesanwalts bei Fällen mit Kriegsbezug
LTO: Nach dem Strafgesetzbuch können die deutschen Staatsanwaltschaften auch ermitteln, wenn eine Straftat im Ausland gegen einen Deutschen begangen wird. Solche Ermittlungen fallen nach dem Strafgesetzbuch aber eigentlich in die Zuständigkeit einer "normalen" Staatsanwaltschaft. Wie kommt es, dass jetzt die Bundesanwaltschaft den Fall prüft?
Safferling: Die Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen nach dem VStGB fallen in die Sonderzuständigkeit des Bundes. Der Generalbundesanwalt übernimmt die Rolle des Staatsanwaltes bei allen Fällen mit einem Kriegsbezug und ist für die Verfolgung von Straftaten nach dem VStGB originär zuständig.
Nach der Prüfung des Falles liegen aus Sicht der Bundesanwaltschaft nun ausreichend Anhaltspunkte dafür vor, dass der Drohnenangriff und der Tod von Bünyamin E. im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts stehen. Deshalb hat sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
"Die Bundesanwaltschaft verschleppt nicht die Ermittlungen"
LTO: Der Angriff fand bereits im Jahr 2010 statt. Warum hat es so lang gedauert, bis die Zuständigkeit geklärt war?
Safferling: Ob der Generalbundesanwalt zuständig ist, hängt maßgeblich von der Art des Konflikts ab. Nur wenn eine Straftat im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt steht, darf er ermitteln.
Ob ein solcher Konflikt vorliegt, ist im Falle Pakistans, wo Bünyamin E. ums Leben kam, nicht leicht zu beantworten. Es sind komplexe rechtliche Probleme mit dieser Frage verbunden. Die Bundesanwaltschaft musste die Rechtslage deshalb zunächst genau prüfen und umfangreiche Informationen einholen zum Beispiel durch Gutachten von Nichtregierungsorganisationen.
Dieser Vorgang dauert. Der hin und wieder erhobene Vorwurf, die Bundesanwaltschaft verschleppe gezielt Ermittlungen, um politisch brisante Verfahren zu verhindern, greift deshalb nicht.
"Ermittlungspflicht nur, wenn ein Deutscher Täter oder Opfer ist"
LTO: Im deutschen Völkerstrafgesetzbuch gilt das Weltrechtsprinzip. Danach ist ein Bezug zum Inland gar nicht notwendig, damit die Bundesanwaltschaft wegen Völkerrechtsverbrechen ermittelt. Theoretisch hätten also auch frühere Drohnenangriffe untersucht werden können. Wie kommt es, dass erst im Fall von Bünyamin E. ermittelt wird?
Safferling: Es ist richtig, dass im VStGB das Universalitätsprinzip gilt: Das Gesetz ist auf alle Auslandstaten anwendbar, ohne dass ein Inlandsbezug notwendig wäre.
Dieser Grundsatz wird aber prozessual pragmatisch gehandhabt und die Verfolgungspflicht eingeschränkt. Der Generalbundesanwalt kann und soll nicht die Rolle eines "Weltpolizisten" einnehmen. Zunächst einmal sind die Ermittlungsbehörden des Tatortstaats und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zur Verfolgung berufen. Eine Pflicht zu Ermittlungen gibt es nur, wenn ein Deutscher auf Täter oder Opferseite betroffen ist.
Darüber hinaus räumt die Strafprozessordnung dem Generalbundesanwalt die Möglichkeit ein, von Ermittlungen nach dem VStGB abzusehen, wenn sie keine Aussicht auf Erfolg bieten und an einem Fall keine Deutschen beteiligt sind. In solchen Fällen gilt ein Opportunitätsprinzip. Da die Situation in den Krisengebieten in Pakistan und Afghanistan unübersichtlich ist, verzichtet die Bundesanwaltschaft auch deshalb häufig auf Ermittlungen, weil wegen der schlechten Ermittlungsmöglichkeiten die Erfolgsaussichten der Strafverfolgung sinken. Daran ändern auch Strafanzeigen zum Beispiel gegen ausländische Staatsoberhäupter oder Minister nichts. Auch in diesen Fällen gilt das Opportunitätsprinzip.
"Auch Drohnen grundsätzlich nur gegen Militärangehörige in internationalen bewaffneten Konflikten"
LTO: Zwar ist die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft nun geklärt. Unter Völkerrechtlern ist allerdings höchst umstritten, unter welchen Voraussetzungen die gezielte Tötung durch Drohnen erlaubt ist. Dürfen vermeintliche Terroristen in Pakistan gezielt aus der Luft getötet werden?
Safferling: Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, dass auch eine unbemannte Drohne völkerrechtlich als ganz normale Waffe behandelt wird. Ein Angriff mit einer solchen ist also rechtlich nichts anderes als zum Beispiel ein Luftangriff oder ein Angriff mit Marschflugkörpern.
Allerdings ist der Einsatz von Waffen grundsätzlich nur gegen Militärangehörige, so genannte Kombattanten, in internationalen bewaffneten Konflikten gestattet. Das schließt Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung nicht aus. Diese oder zivile Objekte dürfen aber nicht gezielt attackiert werden. In nichtinternationalen bewaffneten Konflikten ist der Einsatz nur gegen feindliche Kämpfer zulässig.
Um was für eine Art Konflikt es sich bei den Auseinandersetzungen in Pakistan handelt, ist schwierig zu beurteilen und wird eine der Fragen sein, die der Generalbundesanwalt beantworten muss. Außerdem wird zu klären sein, ob Bünyamin als Kombattant oder Kämpfer an einem solchen Konflikt beteiligt war. Die gezielte Tötung von Terroristen ist nach dem Völkerrecht jedenfalls verboten. Das menschenrechtliche Tötungsverbot ist allenfalls im bewaffneten Konflikt partiell aufgehoben.
"Afghanistan-Einschätzung kann man nicht pauschal auf Pakistan übertragen"
LTO: In einem Ermittlungsverfahren wegen eines Luftangriffs auf Tanklastzüge in Afghanistan kamen die Karlsruher Ermittler bereits zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Auseinandersetzungen in Afghanistan um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafrechts handelt. Gilt diese Einschätzung auch für die Lage in Pakistan?
Safferling: Auch die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass es sich bei dem ISAF-Einsatz in Afghanistan um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt. Es verbietet sich trotzdem, die Einschätzung eins zu eins auf Pakistan zu übertragen.
Natürlich spielen die Verstrickungen mit Afghanistan eine Rolle. Zum Beispiel ist zu berücksichtigen, dass Kämpfer aus Afghanistan die Grenze zu Pakistan überqueren und dort Rückzugsgebiete haben. Es handelt sich aber um zwei verschiedene Auseinandersetzungen, die unabhängig voneinander beurteilt werden müssen.
LTO: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Christoph Safferling ist Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg. Er leitet dort u.a. das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse.
Das Interview führte Andreas Schmitt.
Deutsche Ermittlungen nach US-amerikanischem Drohnenangriff in Pakistan: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6722 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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