Das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht in Deutschland erweist sich im internationalen Vergleich als unzureichend. Auf dem DJT in Leipzig sollen daher überfällige Änderungen angestoßen werden. Den Reformbedarf erläutert Jochen Vetter.
Die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 72. Deutschen Juristentags (DJT) wird sich mit einem gesellschaftsrechtlichen Dauerbrenner befassen: Dem Beschlussmängelrecht, das sich nach verbreiteter Ansicht in keinem guten Zustand befindet. Während immerhin Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse im Aktienrecht detailliert geregelt sind, fehlt es im GmbH-Recht und im Personengesellschaftsrecht an jeglicher Rechtsgrundlage.
Selbst zentrale Fragen wie die, ob Beschlussmängelklagen innerhalb einer bestimmten Frist zu erheben und gegen wen sie zu richten sind, sind umstritten. Kaum besser sieht es bei Klagen gegen die Wirksamkeit von Beschlüssen anderer Organe, insbesondere des Aufsichtsrats aus. Die Politik hat die Defizite erkannt; die Regierungskoalition hat die Reform des Beschlussmängelrechts im Koalitionsvertrag ausdrücklich als gemeinsames Vorhaben für die laufende Legislaturperiode angesprochen.
Was sind die Kritikpunkte am aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht? Diese betreffen sowohl die praktischen Ergebnisse als auch die dogmatische Konsistenz. Nach verschiedenen Nachbesserungen durch den Gesetzgeber sind Unternehmensvertreter zwar der Auffassung, dass man mit dem erreichten Stand ganz gut leben könne. Dies trifft für gängige Strukturmaßnahmen wie Umwandlungen, Unternehmensverträge und Squeeze-outs auch in der Tat weitgehend zu. Nach wie vor verbleiben aber erhebliche Vollzugs- und Verzögerungsrisiken. Dazu soll nur auf wenige Punkte hingewiesen werden, die das Unbehagen mit dem geltenden Beschlussmängelrecht verdeutlichen:
Deutsche Unternehmen werden durchgereicht
Es gibt in Deutschland keine Sachkapitalerhöhungen. Dass Bayer Monsanto für rund 60 Mrd. Euro Barkaufpreis übernimmt, wäre für ein amerikanisches Unternehmen kaum vorstellbar. Ein solcher Barkauf macht den Käufer nicht wertvoller, sondern führt zu einer bloßen Bilanzverlängerung und einer höheren Verschuldung. Soweit der Kaufpreis durch eine Barkapitalerhöhung finanziert wird, können die Aktien typischerweise nur mit einem deutlichen Abschlag platziert werden.
Der Grund für die Abneigung gegenüber Sachkapitalerhöhungen besteht darin, dass Aktionäre die sogenannte Bewertungsrüge mangels Spruchverfahrens nur mit der Anfechtungsklage geltend machen können und die Sorge besteht, dass eine Anfechtungsklage im Freigabeverfahren nicht überwunden werden kann. Dabei hat sich das Problem in der Praxis noch dadurch verschärft, dass institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater ein genehmigtes Kapital nur noch in deutlich reduziertem Umfang mittragen. Dass deutsche Unternehmen in der Liste der weltweit größten Unternehmen immer weiter nach unten durchgereicht werden, hat vermutlich einen Grund auch darin, dass Akquisitionen nicht in Aktien bezahlt werden.
Soweit das aktienrechtliche Freigabeverfahren nicht eröffnet ist, können Anfechtungsklagen über drei Instanzen betrieben werden. Eine mehrjährige Rechtsunsicherheit, die ja selbst durch am Ende abgewiesene Anfechtungsklagen zunächst einmal ausgelöst wird, ist beispielsweise auch bei Satzungsänderungen oder Wahlen kaum tragbar. Andere Gestaltungsmaßnahmen wie etwa die Sachdividende, mit der insbesondere Anteile an einer Tochter an die Aktionäre ausgeschüttet werden könnten, haben mangels Verfügbarkeit eines Freigabeverfahrens in Deutschland gar keine Bedeutung erlangt.
Wir sehen in Deutschland keine Vorstände, die der Hauptversammlung freiwillig nach § 119 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) Geschäftsführungsfragen wie Umstrukturierungen, bedeutende Akquisitionen oder Zusammenschlüsse zur Entscheidung vorlegen, obwohl sie sich dadurch sogar enthaften könnten (s. § 93 Abs. 4 S. 1 AktG).
Geltendes Recht dogmatisch unzulänglich
Schließlich sind wir im Hinblick auf die Beteiligung der Hauptversammlung ein nur schwer integrierbares Mitglied der europäischen Rechtsgemeinschaft. Bei europarechtlich geforderten zusätzlichen Hauptversammlungskompetenzen schreit ganz Corporate-Deutschland auf und alle verfügbaren Gestaltungsspielräume werden vom deutschen Gesetzgeber genutzt, um zusätzliche Hauptversammlungskompetenzen zu vermeiden. Ich verweise insoweit nur auf die aktuellen Diskussionen um Related Party Transactions und Vergütungsfragen im Zusammenhang mit der anstehenden Umsetzung der geänderten Aktionärsrechterichtlinie.
Kritik am geltenden Beschlussmängelrecht kommt auch von Minderheitsaktionären, die insbesondere kritisieren, dass eine Strukturmaßnahme im Freigabeverfahren trotz Beschlussmangels dauerhafte Anerkennung erlangen kann, nur, weil der Anfechtungskläger eine zu geringe Zahl an Aktien hält oder eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen zugunsten des Unternehmens und der Aktionärsmehrheit ausgeht. Besonders virulent wird der Konflikt zwischen Mehrheit und Minderheit im Konzern.
An diesen Kritikpunkten wird zugleich die dogmatische Unzulänglichkeit des geltenden Rechts deutlich: Im Freigabeverfahren, das im Gewand eines vorläufigen Eilverfahrens daherkommt, wird mit der endgültigen Wirksamkeit der Maßnahme eine Rechtsfolge erreicht, die im Hauptsacheverfahren nicht denkbar gewesen wäre. Im Hauptsacheverfahren führt ein nachgewiesener Anfechtungsgrund zwingend zur Nichtigkeit des Beschlusses und der ihm zugrundeliegenden Maßnahme.
Damit ist zugleich der Hauptkritikpunkt am geltenden Beschlussmängelrecht angesprochen: Ist es eigentlich richtig, dass jeder Beschlussmangel zur Nichtigkeit des Beschlusses führt? Im Vergleich zum allgemeinen Zivilrecht wenden wir im Gesellschaftsrecht bei Fehlern wesentlich strengere Grundsätze an, die weit über eine Unwirksamkeit wegen Gesetzesverstoßes (§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) und Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder die Anfechtungsmöglichkeiten nach §§ 119 ff BGB hinausgehen. In anderen Rechtsbereichen kennen wir differenziertere Rechtsfolgen. So können beispielsweise im Kaufrecht verschwiegene Mängel des Kaufgegenstands zur Anfechtung mit Ex-tunc-Wirkung, zum Rücktritt ex nunc, zu einem Anspruch auf Nacherfüllung, zur Minderung des Kaufpreises oder zum Schadensersatz berechtigen können (§ 437 BGB). Auch im öffentlichen Recht ist eine Differenzierung der Rechtsfolgen bei Verfahrens- und Inhaltsmängeln anerkannt. So führen etwa Mängel in einem Planfeststellungsverfahren nur in Ausnahmefällen bei gravierenden Rechtsverstößen zur Kassation des Plans; alle anderen Mängel sind entweder von vornherein unbeachtlich oder können geheilt werden (vgl. § 75 Abs. 1a VwVfG). Es gilt der Grundsatz des Vorrangs der Planerhaltung.
Am Ende liegt der Ball in Berlin
Wie ein angemessener Ausgleich zwischen einerseits den Interessen von Minderheitsgesellschaftern an effektivem Rechtschutz und andererseits dem Interesse der Mehrheit am zeitnahen Vollzug mit Mehrheit gefasster Beschlüsse gefunden werden kann, möchte die wirtschaftsrechtliche Abteilung des DJT rechtsformübergreifend diskutieren.
Dabei wird es beispielsweise um die folgenden Fragen gehen:
- Ist die Kassation des Beschlusses die angemessene Sanktion für jeden Beschlussmangel oder lässt sich ein angemessener Schutz der Minderheit auch mit anderen Rechtsfolgen erreichen?
- Soll jeder Gesellschafter unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung die Umsetzung von Mehrheitsbeschlüssen durch die Erhebung einer Beschlussmängelklage verzögern und verhindern können?
- Lassen sich einheitliche Regeln für ein überzeugendes Beschlussmängelrecht rechtsformübergreifend für die verschiedenen Kapital- und Personengesellschaftsformen finden?
- Wie lassen sich die gerichtlichen Verfahren beschleunigen?
- Sollten Beschlussmängelklagen unmittelbar vom Oberlandesgericht entschieden werden?
- Sollten Beschlussmängelstreitigkeiten Schiedsgerichten zugewiesen werden können? Passen die für Gesellschafterversammlungen gefundenen Regeln auch für Beschlüsse anderer Organe, insbesondere des Aufsichtsrats?
Wie beim DJT üblich, werden die Verhandlungen mit einer Beschlussfassung über eine Vielzahl zuvor diskutierter Gegenstände abgeschlossen. Dann liegt der Ball in Berlin und es bleibt abzuwarten, ob und wie die Politik diesen aufnimmt.
Der Autor Prof. Dr. Jochen Vetter ist Partner bei Hengeler Mueller in München und Vorsitzender der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 72. Deutschen Juristentags.
Gesellschaftsrechtliches Beschlussmängelrecht: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31107 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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