Drei Tage diskutieren Juristen in Leipzig mögliche Reformen des Rechts. In ihrer Eröffnungsrede zum DJT teilt Bundesjustizministerin Katarina Barley aus und bekräftigt gleichzeitig ihr klares Bekenntnis zum Rechtsstaat.
Es ist nicht Karlsruhe, aber immerhin Sitz des Bundesverwaltungsgerichts und des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH): In Leipzig werden zum 72. Deutschen Juristentag (DJT) Juristen drei Tage lang über das Recht debattieren. Sechs Fachabteilungen haben bereits Thesen formuliert, die zur Diskussion gestellt werden. Und die, wenn alles rund läuft, in jeder einzelnen Fachabteilung in Beschlüssen enden, die wegweisend für Gesetzgeber und Gerichte werden könnten.
Die Themen sind politisch aufgeladen – und so wird es auch schon die Eröffnungsrede von Dr. Katharina Barley (SPD) sein. Die Bundesjustizministerin wird nach dem Manuskript zur Rede, das LTO exklusiv vorliegt, Seitenhiebe an die CSU-Politiker austeilen. Anlass ist - wieder einmal – der Status Quo des Rechtsstaates: "Ich glaube auch nicht, dass seine Abschaffung unmittelbar bevorsteht. Aber die Angriffe kommen. Und der Diskurs verschiebt sich", sagt Barley. Das geschehe nicht von allein, sondern ganz bewusst.
Angriffe haben Konsequenzen
Es gebe Angriffe auf den Rechtsstaat. Für sich genommen könnten die Beiträge als Unbedachtheit eingeordnet werden. Doch in der Masse blieben sie nicht ohne Konsequenzen. Barley bezieht sich dabei auf die von Alexander Dobrindt geprägte "Anti-Abschiebe-Industrie", die Ignoranz von Gerichtsentscheidungen – man denke beispielsweise an Wetzlar gegen die NPD und München gegen sein Diesel-Fahrverbot – und auf Täuschungen der Gerichte durch staatliche Stellen wie im Fall Sami A. und daran anschließende Formulierungen, wie etwa dass sich Gerichte"am Rechtsempfinden der Bevölkerung" orientieren müssten, wie es NRW-Innenminister Heribert Reul (CDU) formulierte.
Einzelne Akteure nutzten aus, dass "unser Recht keine effektiven Möglichkeiten vorsieht, Entscheidungen gegen Behörden zwangsweise durchzusetzen", so die SPD-Politikerin. Und weiter: "Wenn Rechtsmittel gegen Behördenentscheidungen nur lange genug diffamiert werden, dann kann das durchaus Einfluss darauf bekommen, wie unser Instanzenzug politisch gestaltet wird."
Natürlich endet diese Feststellung mit der Erwähnung des Paktes für den Rechtsstaat , mit dem Bund und Länder den Rechtsstaat stärken wollen. "Nicht, weil er schlecht wäre. Sondern weil wir Defizite, die er in einzelnen Bereichen hat, abbauen müssen", so Barley. Zwar sei ein Pakt nur eine politische Verabredung und noch keine konkrete Verbesserung. Auf der anderen Seite sei "ein Beschluss, eine gemeinsame Verabredung […] gar nicht so wenig".
Der im Koalitionsvertrag angekündigte Pakt für den Rechtsstaat sieht 2.000 neue Stellen für Richter und weitere sonstige Beschäftigte in der Justiz. Ihr gehe es aber auch um Fort- und Ausbildung sowie die Digitalisierung – so sehr einige Richter und die Anwaltschaft es auch schätzten, "Akten ausgedruckt schwarz und weiß vor sich zu haben". Und auch, wenn dabei Probleme entstehen könnten: "Ich habe gehört, dass die Anwaltschaft da zuletzt ein Lied von singen konnte", sagt Barley mit Blick auf die Pannen bei der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs.
Debatten in sechs Fachbereichen
Um Digitalisierung geht es beim DJT tatsächlich nur ganz am Rande. Die Themen sind vor allem fachlich-inhaltlich geprägt. Die abschließend zu treffenden Beschlüsse setzen neue Impulse zu möglichen oder notwendigen Reformen.
Im Fachbereich Verfahrensrecht wird es um Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes gehen. Die Abteilung Strafrecht diskutiert das Erfordernis für ein neues Strafzumessungsrecht, das an den amerikanischen "sentencing guidelines" angelehnt sein könnte. Im Wirtschaftsrecht wird die Frage nach einer Reform des Beschlussmängelrechts aufgeworfen und im Zivilrecht die Notwendigkeit einer übergreifenden Regelung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung und Tätigkeit von Non-Profit-Organisationen. Die Akteure dieses sogenannten dritten Sektors geraten immer wieder bei Fragen der Anerkennung als "gemeinnützig" mit Finanzämtern aneinander.
Die Abteilung Öffentliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht wird die rechtlichen Möglichkeiten zur Steuerung der Migration diskutieren und die Familienrechtler den Reformbedarf im Sorge-, Umgangs- und Unterhaltsrechts . So hatte der BGH im Februar 2017 entschieden, dass die Anordnung eines Wechselmodells durch eine gerichtliche Umgangsregelung möglich ist , grundsätzlich auch gegen den Willen eines Elternteils (Beschl. v. 01.02.2017, Az. XII ZB 601/15). "Im Sorge- und Umgangsrecht sind jedoch unabhängig von dieser Entscheidung noch viele Fragen offen, so dass Anlass zu einer gründlichen Prüfung etwaigen Reformbedarfs im Kindschaftsrecht besteht", sagt die Justizministerin.
Barley hält all diese Diskussionen für notwendig: "Es zeichnet einen guten Rechtsstaat aus, dass er sich hinterfragt, dass er Recht weiterentwickelt." In Leipzig wollen die Juristen genau das drei Tage lang machen.
Barleys Eröffnungsrede zum 72. DJT: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31123 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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