Das BMI will Abschiebungen erleichtern, dazu sind Haftverlängerungen und das Auslesen von Handys geplant. Ausweisungen von Familienangehörigen von Clanmitgliedern, wie der Entwurf sie vorsieht, werden rechtlich nicht umsetzbar sein.
Das Bundesinnenministerium (BMI) möchte Abschiebungen erleichtern und dabei insbesondere Clankriminalität über das Aufenthaltsrecht bekämpfen. Die Maßnahmen dazu, die nach einem Treffen der Regierungsspitzen der Länder mit dem Bundekanzler im Mai nun aus dem zuständigen Ministerium präsentiert werden, sind vielfältig: Erleichterung und Verlängerung von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam, Ausweitung der Zutrittsrechte zu Gemeinschaftsunterkünften, sofortige Vollziehbarkeit von Einreise- und Aufenthaltsverboten sowie Wohnsitzauflagen, weniger Mitwirkung der Staatsanwaltschaften bei Abschiebungen aus der Haft, Ausweitung des Auslesens von Datenträgern und leichtere Abschiebung von Menschen mit familiärer Nähe zu Clans. Betroffen sind mindestens die Grundrechte der Freiheit der Person, das Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung – so ist es im Diskussionsentwurf – wie erforderlich –vermerkt.
Für besondere Aufmerksamkeit sorgten nach Veröffentlichung des Entwurfs zunächst vor allem zwei Aspekte in dem Papier: Die Auswertung der Datenträgern, wozu auch Handys zählen, und die Abschiebung von Menschen, die einem sogenannten Clan nahestehen, wie zunächst die Süddeutsche Zeitung berichtete.
Bekämpfung von Clankriminalität über das Aufenthaltsrecht
Schon im Juni stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die neue "Allianz gegen Clankriminalität" vor. Dieses Strategiepapier enthielt noch keine das Aufenthaltsrecht betreffenden Maßnahmen, hier scheint nun der Diskussionsentwurf nachzuziehen. Enthalten sind zwei Regelungen, die es, so das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, zum Ziel haben, "Angehörige sogenannter Clan-Strukturen künftig leichter abschieben zu können".
Vorgesehen ist eine Ergänzung des § 54 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Norm bestimmt schon jetzt, wann ein Ausweisungsinteresse besonders schwerwiegend ist. Bekanntester Fall ist die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat zu mindestens zwei Jahren Haft. In Abs. 2 Nr. 2 der Regelung ist aber auch der Fall der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erfasst, was unter anderem nahe liegt bei Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die terroristisch ist oder den Terrorismus unterstützt.
Es ist dann nicht erforderlich, dass das konkrete Mitglied einer solchen Vereinigung eine Straftat begeht, sondern allein die Mitgliedschaft in der Vereinigung reicht für die Annahme eines Ausweisungsinteresses aus. Diese Mitgliedschaft muss auch nicht vollumfänglich bewiesen sein, es genügt, dass "Tatsachen diese Schlussfolgerung rechtfertigen", wie es aktuell heißt.
Bald Ausweisung ohne Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung?
Neu dazu kommen soll jetzt als weiterer Unterfall die Zugehörigkeit zu einer "Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches". Das ist nach § 129 Abs. 2 StGB ein "auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses". Kriminell ist sie nach Abs. 1 dann, wenn dieser Zusammenschluss "auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind". Strafrechtlich erfasst ist dabei sowohl die Bildung einer solchen Vereinigung als auch die Mitgliedschaft in einer solchen.
Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist bereits mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht. Wird ein solches Mitglied strafrechtlich zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird, besteht also bereits jetzt ein Ausweisungsinteresse.
Darüber geht die angedachte Ergänzung des § 54 Abs. 2 AufenthG nun hinaus, indem eine Person gerade nicht bereits aufgrund der Mitgliedschaft verurteilt worden sein muss. Künftig müssten nur noch Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, dass eine Person einer solchen kriminellen Vereinigung angehört. Ausländer:innen könnten dann schon allein wegen der Zugehörigkeit zu einer solchen Vereinigung – unter Abwägung mit weiteren Interessen, siehe § 53 AufenthG – ausgewiesen werden, ohne dass diese Mitgliedschaft noch strafbar sein müsste.
Ein "Clan" ist nicht automatisch eine kriminelle Vereinigung
Gibt das Bundesinnenministerium in diesem Zusammenhang an, dass Zweck der neuen Regelung sei, "Angehörige sogenannter Clan-Strukturen künftig leichter abschieben zu können", ist es wichtig, begrifflich zu unterscheiden: Die vorgeschlagene Regelung im AufenthG verweist auf § 129 StGB, also auf kriminelle Vereinigungen, die Begründung des Entwurfs spricht von "Organisierter Kriminalität". Der Begriff des "kriminellen Clans" wird nicht verwendet und ist auch im Strafrecht nicht existent, wie Prof. Dr. Thomas Fischer auf LTO klarstellt.
Ein "Clan" kann dabei natürlich eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Gesetzes sein, muss er aber nicht zwingend. Insbesondere sind Familienmitgliedschaft und Clanmitgliedschaft zu trennen, eine kriminelle Vereinigung kann weitaus mehr Fälle betreffen als die angesprochene "Clankriminalität".
Abschiebung allein wegen eines Nachnamens?
"Ob eine solche Regelung indes verhältnismäßig ist und das Regelungsziel ohne ungewollte Nebenfolgen erreicht werden kann, soll nun noch einmal eingehend mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erörtert werden", räumt das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung ein. Befürchtet wird, dass die Regelung möglicherweise auch Personen erfassen könnte, die einfach nur den gleichen Nachnamen haben wie Mitglieder einer entsprechenden kriminellen Vereinigung, ohne dass sie selbst dieser Vereinigung angehören.
Dass allein ein Nachname als Tatsache ausreicht, um zu rechtfertigen, dass eine Person einer kriminellen Vereinigung angehört, ist aber wenig überzeugend. Wirft man einen Blick auf die Rechtsprechung – beweispflichtig ist vor Gericht dabei die Ausländerbehörde – zur bereits bestehenden parallel aufgebauten Regelung der Angehörigkeit einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt oder selbst terroristisch ist, zeigt sich, dass für eine "gerechtfertigte Schlussfolgerung" eine bloße Mutmaßung oder ein allgemeiner Verdacht nicht ausreicht (Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 25.10.2011, Az. 1 C 13.10, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urt. v. 13.1.2016, Az. 11 S 889/15).
Allein die Angabe eines Nachnamens als Tatsache scheint im Vergleich dazu nicht mehr als ein solcher nicht ausreichender allgemeiner Verdacht zu sein. Eine Ausweisung wegen Familienangehörigkeit zu einem Clanmitglied wird also nach aktueller Rechtsprechung also nicht zu erwarten sein.
Ausweisungsinteresse allein begründet noch keine Abschiebung
In diese Richtung bewertet auch Prof. Dr. Daniel Thym, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz, den Regelungsvorschlag: "Eine bloße Ausweisung aufgrund einer Familienmitgliedschaft ist in keinem Falle vorgesehen, vielmehr werden aktuell Sachen in den Diskussionsentwurf hineingelesen, die schlicht nicht enthalten sind", so der Rechtsprofessor im Gespräch mit LTO.
Darüber hinaus stellt Thym klar, dass der neu angedachte Fall der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung nur das Ausweisungsinteresse stärker gewichtet. Dabei handele sich aber lediglich um einen Aspekt im Rahmen einer umfassenden Abwägung.
In der Praxis scheiterten Abschiebungen jedoch oft an mangelnder Mitwirkung der Herkunftsstaaten oder weil den deutschen Behörden die Ressourcen fehlen, sodass die betroffenen Personen oftmals weiter in Deutschland leben, nur eben nicht rechtmäßig auf Grundlage eines Aufenthaltstitels, sondern ausreisepflichtig mit einer bloßen Duldung.
Schließlich ist fraglich, wie stark sich die angedachte Regelung überhaupt auf die Bereiche der "Clankriminalität" auswirken könnte. Denn, so gibt Thym zu bedenken und so stellte auch bereits Fischer auf LTO klar, gerade in diesem Bereich sind die Personen oft deutsche Staatsangehörige. Das Aufenthaltsgesetz greift dann freilich nicht mehr. Die Idee des Ministeriums, Clankriminalität über das Aufenthaltsrecht zu bekämpfen, dürfte dann in vielen Fällen ins Leere laufen.
Handy-Daten und das Urteil des BVerwG
Ein zweiter sehr umstrittener Punkt in dem Papier ist das geplante Auslesen von Datenträgern, das betrifft bisher vor allem Handys. Künftig will das BMI auch die Daten analysieren, die in einer Cloud gespeichert sind.
Bisher war die Praxis der Ausländerbehörden, pauschal die Handys von Asylbewerbern auszulesen. Konnte die Identität des Ausländers dann nicht durch andere Unterlagen wie einen Pass oder ein Passersatzdokument festgestellt werden, so griff die Behörde auf die Daten zurück, die in vielerlei Hinsicht Aufschluss auf die Herkunft der Person geben konnten.
Zum Jahresanfang allerdings urteilte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dass diese Praxis so nicht rechtmäßig ist (BVerwG, Urt. v. 16.02.2023, Az. 1 C 19.21). Es entschied: Nur wenn keine sonstigen Erkenntnisse oder Dokumente vorliegen, um die Identität und Staatsangehörigkeit einer Person zu ermitteln, darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Handydaten analysieren oder auswerten. In dem Fall hatte eine Frau ein behördliches Ausweisdokument und eine Heiratsurkunde vorgelegt, aus der ihr Herkunftsland hervorging.
Künftig gesetzliche Grundlage schon für das Auslesen
"Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass das pauschale Auslesen auf Vorrat nicht rechtmäßig ist", erklärte Rechtsanwalt Matthias Lehnert, der das Verfahren geführt hatte. Vielmehr müsse die Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, der eben nicht mehr gewahrt sei, sobald ohne Notwendigkeit und ohne gesetzliche Regelung so stark in die Grundrechte der Asylbewerber eingegriffen würde.
Das Diskussionspapier sieht nun Neuregelungen bei den relevanten Normen des § 15a Asylgesetz (AsylG) und § 48 AufenthG vor. Damit werden das Auslesen und das Auswerten der Daten klar getrennt, was bisher nicht der Fall ist. "Nach dem neuen § 15a AsylG wird dann schon das Auslesen von Datenträgern mit der neu eingeführten gesetzlichen Norm pauschal erlaubt", sagt Lehnert. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sei dabei nicht vorgesehen, der Begriff der Erforderlichkeit solle herausgenommen werden. "Der Gesetzgeber würde damit das Urteil des BVerwG aus meiner Sicht umgehen, wenn er die Erforderlichkeit aus dem Gesetz streicht". Diese sei künftig nur noch bei der Prüfung nötig, ob auch die Verwertung der Daten verhältnismäßig ist. "Aus meiner Sicht ist das rechtswidrig."
Thym sieht das anders: "Zwar wird beim Auslesen nicht mehr explizit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert, doch eine solche pauschalisierte Erlaubnis auch für grundrechtsrelevante Eingriffe ist durchaus üblich." Jede Regelung im Straßenverkehrsrecht beschnitte die Grundrechte der Menschen und sei gleichwohl verfassungskonform. "Hier soll das Auslesen der Daten nur erlaubt werden, wenn kein Pass oder Passersatzdokument vorhanden ist", erklärt Thym. Damit seien die Voraussetzungen definiert, unter denen das Auslesen der Daten pauschal zulässig sei. "Aber zur Frage, ob das dann ein rechtswidriger Eingriff ist, lassen sich sicher alle Meinungen vertreten".
Diskussionsentwurf aus dem BMI: . In: Legal Tribune Online, 07.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52434 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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