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Diskussion über Präsidentenanklage: Droh­an­rufe könnten Wulff den Job kosten

von Prof. Dr. Joachim Wieland

16.01.2012

C.Wulff

© ddpimages/dapd

Trotz fast täglich neuer Vorwürfe und steigenden Drucks will Bundespräsident Christian Wulff sein Amt nicht freiwillig aufgeben. Auch eine Präsidentenanklage vor dem BVerfG schien bislang eine bloß theoretische Möglichkeit. Sollte Wulff mit seinem Anruf bei der BILD aber tatsächlich Grundrechte verletzt haben, könnte ihm dies zum Verhängnis werden, meint Joachim Wieland.

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In einem demokratischen Staat ist jeder Amtsträger dem Volke verantwortlich, von dem er seine Legitimation ableitet. So kann die Bundeskanzlerin durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestages, das  heißt die Wahl eines Nachfolgers, ihres Amtes enthoben werden. Beim Bundespräsident ist derartiges hingegen nicht mögliches,  die Bundesversammlung besitzt kein Recht zur Abwahl. Die demokratische Verantwortlichkeit des Staatsoberhauptes kann rechtlich nur durch eine Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingefordert werden. Dafür sind allerdings hohe Hürden zu überwinden.

Schon ein Antrag auf Erhebung der Anklage muss von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages oder mit einem Viertel der Stimmen des Bundesrates gestellt werden. Beschlossene Sache ist diese erst, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages oder zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates dem Verfahren zustimmen.

Die Anklageschrift muss dabei nicht nur die Handlung oder Unterlassung nennen, derentwegen die Anklage erhoben wird. Zwingend ist darüber hinaus die Bezeichnung der Beweismittel sowie die Bestimmung der Verfassung oder des Gesetzes, die verletzt sein soll. Zuständig für das Verfahren ist der Zweite Senat des BVerfG. Wenn dieser feststellt, dass der Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes (GG) oder eines anderen Bundesgesetzes schuldig ist, kann er das Staatsoberhaupt des Amtes für verlustig erklären.

Der Präsident und die Pressefreiheit

Ist eine Anklage des Bundespräsidenten Wulff unter diesen schwierigen Bedingungen überhaupt denkbar? Schon die formellen Hürden werden schwer zu überwinden sein. Es ist im Übrigen kaum vorstellbar, dass der Bundespräsident nicht zurücktreten würde, wenn sich eine Zweidrittelmehrheit für einen Anklagebeschluss abzeichnete. Wäre ein solcher Beschluss getroffen, würde ein Verfahren allerdings auch nach einem Rücktritt fortgeführt.

Es reicht allerdings nicht, ein Verfahren bloß einzuleiten. Auch ein konkreter Rechtsverstoß müsste Christian Wulff nachgewiesen werden. In dieser Hinsicht könnte ihm der Anruf beim Chefredakteur der BILD-Zeitung doch noch zum Verhängnis werden.

Dadurch nämlich könnte er das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt haben. Die Pressefreiheit schützt die redaktionelle Arbeit, den Inhalt einer Presseveröffentlichung und die Entscheidung über den Zeitpunkt des Erscheinens. Sie wäre also bereits berührt, wenn der Bundespräsident auf eine Verschiebung der Veröffentlichung oder einen anderen Inhalt des für ihn unliebsamen Berichts hingewirkt hätte. Ein Eingriff in die Pressefreiheit läge vor, wenn der Anruf die geplante Veröffentlichung ganz oder teilweise hätte unmöglich machen sollen. Auf eine Absicht oder den Einsatz hoheitlichen Zwang durch den Bundespräsidenten kommt es dann nicht mehr an.

Gewollte Telefonate des schuldfähigen Staatsoberhaupts

Zwar könnte Christian Wullf ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stehen, wenn durch eine Veröffentlichung seine Privatsphäre verletzt wäre. Diese ist auch beim Staatsoberhaupt grundrechtlich geschützt. Insoweit steht aber der Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zur Verfügung, um den Wulff hätte nachsuchen müssen. Dass Anrufe von Politikern mit dem Ziel, Presseveröffentlichungen zu beeinflussen, in Deutschland offenbar nicht selten sind, spielt rechtlich auch keine Rolle. Die Häufigkeit von Verfassungsverletzungen macht diese nicht ungeschehen.

Schließlich dürfte am Vorsatz ebenso wenig ein Zweifel bestehen, wie am Verschulden. Der Bundespräsident hat bewusst und gewollt telefoniert und war in seiner Schuldfähigkeit nicht eingeschränkt.

Entscheidend ist also der genaue Inhalt der Nachricht, die bislang im genauen Wortlaut nicht bekannt ist. Wenn sie solche Drohungen enthielt, dass dadurch die Redaktion der Bildzeitung in ihrer freien Willensbildung über die Veröffentlichung beeinträchtigt werden konnte, liegt ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Grundrecht der Pressefreiheit nahe. Dennoch wird es aller Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Anklage kommen. Sollte eine Verletzung der Pressefreiheit offenkundig werden, werden die politischen Gesetzlichkeiten auch ohne Einschaltung des BVerfG wirken.

Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Rektor und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.

 

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Joachim Wieland, Diskussion über Präsidentenanklage: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5306 (abgerufen am: 21.05.2025 )

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