Deutschland setzt Digitale-Inhalte-Richtlinie um: End­lich offi­ziell mit Daten bezahlen

von Dr. Kristina Schreiber

01.07.2021

Das neue digitale Vertragsrecht stellt die Überlassung von Daten für vermeintlich kostenlose Online-Dienste mit einer Geldzahlung gleich. Warum das einen großen Unterschied macht und welche Idee dahinter steckt, zeigt Kristina Schreiber.

Mit Schlagworten wie "umsonst" oder "kostenlos" werben Anbieter digitaler Produkte regelmäßig. Soziale Medien werden ohne Geldzahlung genutzt. Sportevents können "kostenlos" im Internet gestreamt werden. Im Gegenzug nimmt der User dafür Werbeeinblendungen in Kauf. Payback, das Rabattprogramm großer Einzelhändler, vergibt "Bonuspunkte", wenn Verbraucher Einkäufe teilen.

Altruistisch motiviert sind diese Angebote alle nicht. Die Anbieter stützen ihren kommerziellen Erfolg nämlich auf ein anderes, bisweilen deutlich wertvolleres Gut als Geld: die Daten, die sie dafür erhalten. Diese Daten sind Informationen über Interessen, Lebensweise oder Psyche von Nutzern. Ihren Umsatz erwirtschaften die Anbieter durch die Weiterverwendung der Daten, zum Beispiel durch den Verkauf passgenauer Werbeplätze oder den Verkauf der Daten selbst.

Der Gesetzgeber hat vor dieser langjährigen Praxis bislang oft die Augen verschlossen. Zivilrechtlich war seit langem umstritten, wie der Austausch "Leistung gegen Daten" zu behandeln ist. Im Datenschutzrecht schwelen die Diskussionen um die Zulässigkeit dieser Kopplung nicht erst seit Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Jetzt wurde der Gesetzgeber aktiv. In einer letzten großen Marathonsitzung der endenden Legislaturperiode hat der Bundestag das Gesetz zur Neuregelung von Verbraucherverträgen über digitale Produkte auf den Weg gebracht. Damit wird es zwei Neuregelungen zum Bezahlen mit Daten im BGB geben. Der deutsche Gesetzgeber setzt so die Vorgaben aus der Digitale Inhalte-Richtlinie (EU) Nr. 2019/770 um.

Beide Neuregelungen stellen klar: Wenn ein Verbraucher für den Erhalt einer Leistung personenbezogene Daten bereitstellt, dann ist das so, als wäre es die Zahlung eines Geldbetrages. Unmittelbare Folge dieser Ergänzung (§ 312 Abs. 1a und § 327 Abs. 3 BGB-E) ist, dass das Verbraucherschutzrecht anwendbar ist – das ist der große Kniff an der Gesetzesänderung.

Wann die Gleichstellung mit Bargeldzahlung gilt

Das Verbraucherschutzrecht gilt nach den Neuregelungen dann, wenn ein Verbraucher dem Anbieter personenbezogene Daten i.S.d. DSGVO bereitstellt oder sich dazu verpflichtet. Ausgenommen sind personenbezogene Daten, die der Anbieter braucht, um seine Leistung zu erbringen. Wenn der Anbieter die bereitgestellten Daten nur zur Vertragserfüllung oder zur Erfüllung anderer rechtlicher Pflichten verarbeitet, ist das Verbraucherschutzrecht nicht anwendbar. Beispiele hierfür sind etwa die überlassene E-Mail-Adresse, um ein digitales Angebot zuzuschicken. Oder die Angabe von Rechnungsdaten, die der Anbieter zur Erfüllung von steuerrechtlichen Pflichten benötigt.

Der Verbraucher kann die Daten aktiv bereitstellen, dem Anbieter also mitteilen. Oder der Verbraucher lässt es passiv zu, dass der Anbieter die Daten bei ihm erhebt. Beide Fälle sind erfasst. Der Gesetzgeber will sogar die Einwilligung in das Setzen von Cookies oder ein Werbetracking auf Webseiten ausreichen lassen, wenn darüber ein Vertrag geschlossen wird.

Wann es allerdings zu einem Vertragsschluss kommt, ist in der Praxis genau zu betrachten. Hierfür gelten allgemeine Regeln: Ein Vertrag kommt nur zustande, wenn zwei übereinstimmende Willenserklärungen mit Rechtsbindungswillen abgegeben werden. Vielen Verbrauchern wird beim Surfen im Internet genau dieser Rechtsbindungswille fehlen, wenn sie im Cookie-Banner auf "alle akzeptieren" klicken.

Die Gleichstellung von Geld und Daten findet sich künftig in zwei Einzelnormen des BGB (§ 312 Abs. 1a und in § 327 Abs. 3 BGB-E). Die allgemeinen Verbraucherschutzvorschriften gelten bislang für Verbraucherverträge über entgeltliche Leistungen. Dies wird künftig differenzierter: Der Anwendungsbereich ist dann eröffnet, wenn der Verbraucher einen Preis zahlt oder personenbezogene Daten bereitstellt.

Besserer Schutz für Verbraucher

Die klare Anwendbarkeit des Verbraucherschutzrechts rückt das Bezahlen mit Daten in den Fokus. Anbieter müssen die Verbraucherschutzvorschriften komplett einhalten. Das gilt sowohl für die allgemeinen Vorgaben der §§ 312 ff. BGB als auch für das neue digitale Vertragsrecht in den §§ 327 ff. BGB. Nutzer und auch Verbraucherschutzverbände können das durchsetzen. Bisher war das umstritten. Viele digitale Angebote wurden entsprechend als "umsonst" oder "kostenlos" ohne Einhaltung des Verbraucherschutzrechts angeboten.

Mit der Neuregelung greifen künftig die allgemeinen Informationspflichten: Der Anbieter muss die Hauptleistungspflichten klar benennen. Er muss genau beschreiben, dass eine Leistung mit Daten bezahlt wird. Auch mit welchen Daten und zu welchem Zweck er die Daten nutzen wird, muss klar werden. Das Verbraucherwiderrufsrecht gilt auch. Diese zivilrechtlichen Mechanismen treten neben die Informationspflichten und das Widerrufsrecht aus dem EU-Datenschutzrecht.

Der Anbieter muss die Verbindung von Leistung und personenbezogenen Daten künftig klar benennen. Er muss den Verbraucher im Rahmen des Vertragsschlusses nach überwiegender Meinung zur datenschutzrechtlichen Einwilligung aktiv auffordern. Diese Verzahnung von Vertragsrecht und Datenschutzrecht ist vom Gesetzgeber noch nicht optimal gelöst. Es fehlt eine eindeutige Aussage, ein Spannungsverhältnis bleibt also bestehen. Aber die Neuregelung macht zumindest deutlich, dass eine Kopplung der Art Leistung gegen Daten zulässig sein kann, wenn bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden. Viele Stimmen argumentieren auch zur DSGVO für eine Zulässigkeit, wenn der Nutzer auf die Leistung nicht angewiesen ist.

Schlagworte wie "umsonst" und "kostenfrei" werden in Zukunft bei rechtssicher gestalteten Angeboten verschwinden. Unternehmen müssen aufklären: Ein digitales Produkt ist nur ohne Entgelt zu erhalten, wenn der Verbraucher Daten preisgibt. Mit diesen Daten wird dann personalisierte Werbung ausgespielt. Oder diese Daten werden für die Entwicklung neuer Angebote vom Anbieter verwendet. Verbraucher müssen das künftig im Registrierungsprozess für neue Angebote finden können. Sie können dann frei entscheiden, ob sie damit einverstanden sind oder auch nicht. Wenn sich Verbraucher dagegen entscheiden, können sie das Angebot nicht oder nur gegen Zahlung eines Entgelts nutzen. Verbraucher profitieren von der Transparenz. Sie können informierter entscheiden und werden in ihrer Datensouveränität gestärkt.

Sicherheit auch für Unternehmen

Die Gleichstellung von Geld und Daten bringt aber auch für Anbieter Vorteile. Bisher war unklar, ob die Verbraucherschutzvorschriften greifen und eine Kopplung Leistung gegen Daten zulässig ist. Die Neuregelungen bringen jetzt mehr Klarheit. Damit können Anbieter ihre Produkte rechtssicherer gestalten.

Besonders vorteilhaft für Anbieter ist das neue Kündigungsrecht: Wenn Verbraucher ihre datenschutzrechtliche Einwilligung zum Bezahlen mit Daten widerrufen oder einer weiteren Verarbeitung widersprechen, kann der Anbieter den Vertrag kündigen. Der Anbieter muss seine Leistungen nicht umsonst weiter bereitstellen. Voraussetzung für das Kündigungsrecht ist, dass dem Anbieter die weitere Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 327q Abs. 2 BGB-E). Dann ist auch eine außerordentliche, sofortige Kündigung zulässig.

Die Einführung der Neuregelungen war hoch umstritten. Kritiker befürchteten einen "Ausverkauf der Daten". Durchgesetzt haben sich die Befürworter der Regelungen: Die Normierung und Regulierung der ohnehin seit Jahren gelebten Praxis Leistung gegen Daten schützt Verbraucher. Sie bringt mehr Transparenz und Wahlfreiheit für die Verbraucher. Und sie beendet den Rechtsunsicherheit schaffenden Streit, ob Daten ein Entgelt sind oder nicht. Auch Anbieter profitieren von dieser neuen Rechtssicherheit.

Dr. Kristina Schreiber ist Partnerin bei Loschelder Rechtsanwälte, Köln. Sie ist spezialisiert auf die rechtliche Beratung bei der Bereitstellung digitaler Produkte und bei Digitalisierungsprozessen, im Datenschutz- und verbundenen Regulierungsrecht.

Zitiervorschlag

Deutschland setzt Digitale-Inhalte-Richtlinie um: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45353 (abgerufen am: 12.11.2024 )

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