Digitalisierung und Fortschritt spielen bei der unternehmerischen Preisbildung eine immer größere Rolle. Patrick D. Buse zu den kartellrechtlichen Risiken, wenn die Maschine den Preis macht.
Nicht nur im Silicon Valley wird die digitale Zukunft gestaltet. Digitalisierung, Algorithmen und Big Data sind die großen Themen des Wirtschaftslebens wie des privaten Alltags. Auch bei Wettbewerbsbehörden und Kartellrechtlern bestimmen diese Themen die aktuelle Diskussion.
So informierte das Bundeskartellamt (BKartA) beispielsweise jüngst zur Erklärung der G7 über den Wettbewerb in der digitalen Wirtschaft und die Flexibilität des Kartellrechts. Auch ist seine Facebook-Entscheidung noch in aller Munde, mit der es eine "innere Entflechtung" der Unternehmensstruktueren und der automatischen Datenweitergabe verlangte. Mit der französischen Schwesterbehörde erarbeitet das BKartA zudem die Bedeutung von Algorithmen im Wettbewerbsrecht.
Auch durch das Gutachten der Europäischen Kommission über Wettbewerbspolitik für das digitale Zeitalter und das International Competition Network, die bedeutendste Vereinigung von Wettbewerbsbehörden weltweit (139 Wettbewerbsbehörden aus 126 Staaten), bringen das Thema prominent auf der internationalen politischen Agenda.
Man sieht: Die Wettbewerbshüter haben den technologischen Fortschritt und die möglichen Gefahren, die er für den freien Markt mit sich bringt, auf dem Radar.
Big Data, Algorithmen und KI für den perfekten Preis
Der Philosoph und Publizist Richard David Precht zeichnet in seinem Buch "Jäger, Hirten, Kritiker" eine Dystopie der Welt im Jahre 2040. In ihr ist denkbar, dass niemanden mehr aufrege, wenn alles durch Algorithmen bestimmt wird. Niemand verzichte mehr auf Digital Pricing. Alle Preise, online und offline, verlören an Verlässlichkeit, und richteten sich nach dem, wer kauft, wann er kauft und wie viele etwas kaufen. So lässt sich der Kunde in der düsteren Vision Prechts optimal ausnehmen, Verbraucher würden im Wettstreit mit intelligenten Maschinen den Kürzeren ziehen.
Doch wie viel ist dran an dieser Vorstellung? Was gilt es schon heute zu beachten? Für die Marktakteure stellen sich im Digitalzeitalter in der Tat neue Fragen – gerade mit kartellrechtlicher Dimension.
Technische Beschleunigung und erhöhte Transparenz können kollusives Verhalten von Marktteilnehmern begünstigen. Die Nutzung cleverer Algorithmen birgt die Gefahr, dass ein Marktergebnis erzielt wird, bei dem Unternehmen durch Koordinierung ihrer Aktivitäten höhere Gewinne als im Wettbewerb erzielen, zum Beispiel indem sie Preise oder Mengen abstimmen. Big Data, Algorithmen und Künstliche Intelligenz können so etwas massiv vereinfachen. Die jederzeitige Verfügbarkeit aller Preise könnte zu illegaler Preiskoordination führen.
Sicher, auch Verbraucher haben Vorteile durch die Digitalisierung und können von Algorithmen profitieren, indem sie sie beispielsweise für Preisvergleiche nutzen. Nur: Zwar erhöht Big Data etwa die Markttransparenz, technische Lösungen zur Preissetzung machen deren Zustandekommen aber noch viel schwieriger nachvollziehbar. Das könnte Verbrauchern wiederum zum Nachteil gereichen. So steht die Frage im Raum: Können (und dürfen) sich Unternehmen und Händler hinter ihren Algorithmen "verstecken"?
Durch Digitalisierung über Umwege zum Kartell
Für sie ist es daher unabdingbar zu wissen, wer in der Marktkette welchen Zugang zu welchen Daten hat und was mit diesen Daten geschieht. Ob zum Beispiel ein Algorithmus kartellrechtlich bedenklich ist, hängt von seiner konkreten Ausprägung ab. Sammelt und überprüft er nur Daten, trifft letztlich immer noch ein Mensch die tatsächlichen Entscheidungen. In diesem Fall ist klar: Geltendes Kartellrecht gibt die Antworten - Preisabsprachen, Preisbindung der zweiten Hand sowie Signalisieren von Kollusionsabsichten sind verboten. Die Aktivitäten des Algorithmus sind dabei dem Unternehmen zuzurechnen. Ein Verstecken hinter einem Algorithmus ist nicht möglich.
Kritischer liegt der Fall, wenn zum Beispiel mehrere Wettbewerber denselben Algorithmus verwenden und durch Nutzung desselben Preisalgorithmus womöglich ein sogenanntes Hub-and-Spoke-Kartell geschaffen wird. Generell beschreibt das Hub-and-Spoke-Modell, dass zwei Endpunkte nicht direkt, sondern über einen Knotenpunkt miteinander verbunden sind. Auf das Kartellrecht übertragen bedeutet das: Ein Akteur auf einer nachgelagerten Marktstufe steht häufig im Kontakt zu mehreren miteinander in Wettbewerb stehenden Akteuren einer vorgelagerten Marktstufe – oder andersherum – und koordiniert diese, sodass es zum Beispiel indirekt zu einer Preisanpassung kommt.
Solche Situationen können insbesondere auftreten, wenn Marktteilnehmer zum Wirtschaften auf Plattformen zusammenkommen. Etwa werden auf Verkaufsplattformen häufig Waren von konkurrierenden Herstellern vertrieben. Die wettbewerbsschädigende Koordination der Hersteller kann dann über die Plattform erfolgen.
Plattformbetreiber sind daher gehalten, Zugriffsbeschränkungen auf Daten einzurichten und die digitalen Umgebungen von Teilnehmern gleicher Marktstufe voneinander zu isolieren. Es darf keinen Austausch wettbewerblich sensitiver Informationen, keine Erhöhung der Markttransparenz für die Anbieter, kein Informationsaustausch über wettbewerbsrelevante Parameter geben. Was in der analogen Welt gilt, gilt auch in der digitalen.
Wenn Algorithmen lernen – und Preise absprechen
Kartellrechtlich am wenigsten geklärt ist die Frage, was passiert, wenn Preisalgorithmen selbst lernen und miteinander kommunizieren. Damit ist das nächste Level der Abgrenzungsfrage zwischen zulässigem Parallelverhalten und unzulässiger Fühlungnahme erreicht. Durch Nutzung von Algorithmen wird vieles berechenbarer – auch und gerade für Wettbewerber. Dies kann zu identischen Reaktionen auf Veränderungen im Markt führen. Dabei muss man aber differenzieren: Nicht alles ist in so einem Fall auch zwangsläufig kartellrechtlich bedenklich.
Handelt es sich zum Beispiel bei der Nutzung von automatisierten Wettbewerbsbeobachtern, sogenannten Crawlern, um zulässiges Parallelverhalten oder unzulässige Fühlungnahme? Maßgeblich ist dann die Frage, ob sie miteinander in Kontakt treten und Preise entsprechend anpassen können. Proaktive Algorithmen könnten anhand von Marktbeobachtungen, wie beispielsweise Preisentwicklung und aktueller Nachfrage, tatsächlich die Preise hochtreiben.
Eine kartellrechtswidrige abgestimmte Verhaltensweise setzt neben einer Abstimmung aber auch ein entsprechendes Agieren auf dem Markt und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Abstimmung und Agieren voraus. Das Wettbewerbsrecht kommt hier an Grenzen, wenn sich nicht ermitteln lässt, ob ein Ursächlichkeitszusammenhang dadurch entsteht, wenn Algorithmen miteinander kommunizieren. Die hohe technische Komplexität solcher Algorithmen und die Vielschichtigkeit der Marktfaktoren und Einflüsse erschweren die Abgrenzung - von ihrer Aufdeckung ganz zu schweigen.
"Die Maschine war's" ist keine Ausrede
Das hält Politik und Behörden entsprechend weiter beschäftigt. Ob sie in diesem Zusammenhang Vorschläge wie etwa den, die Beweislast darüber umzukehren, dass die Algorithmen eben keine unzulässige Fühlungnahme vorgenommen haben, weiter verfolgen werden, wird sich zeigen. Die digitale Dimension des Kartellrechts jedenfalls wächst. Datenverfügbarkeit und steigende Komplexität übersteigen Größenordnungen, die in der analogen Welt des Rechts das Ende der Skala darstellen.
Die Nutzung von Algorithmen darf nicht in einer Weise erfolgen, die kritisch wäre, wenn "nur" ein Mensch die hiermit verbundenen Aktionen durchführen oder Entscheidungen treffen würde. Ebenfalls ein Risiko: Schon die Veröffentlichung von Informationen über die verwendeten Algorithmen kann als Hinweis auf unerlaubte Herstellung von Preistransparenz verstanden werden.
Für Unternehmen, die Algorithmen nutzen, gilt daher: Man kann sich der Verantwortung nicht per Knopfdruck entziehen. Angesichts der zahlreichen Initiativen nationaler und internationaler Wettbewerbshüter ist aber auch nicht zu erwarten, dass Prechts Dystopie Realität wird. Schon der heutige kartellrechtliche Rahmen hält für viele Digital-Rechtsfragen Lösungen bereit.
Es wird sich zeigen, inwieweit eine Anpassung des Kartellrechts an den technischen Fortschritt notwendig wird. Für die Entscheidungsträger in Politik und Behörden, aber auch für Wissenschaft und Unternehmen bedeuten die hier dargestellten Problemkreise jedenfalls, dass sie sich eingehend mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das (Kartell-)Recht beschäftigen müssen.
Dr. Patrick D. Buse, LL.M ist Legal Counsel und Syndikusrechtsanwalt bei Anheuser-Busch InBev in Deutschland und dort u.a. mit Kartellrechtsthemen betraut.
Digitale Agenda im Kartellrecht: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36773 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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