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VW nach dem Dieselskandal: Die Stra­tegie ist auf­ge­gangen

von Pia Lorenz

30.07.2020

VW Wolfsburg Gelände

(c) stock.adobe.com - Blickfang

Nach dem Grundsatzurteil des BGH zur sittenwidrigen Schädigung der VW-Kunden im Abgasskandal wähnte Deutschland VW als Verlierer auf ganzer Linie. Tatsächlich aber ist die Strategie des Konzerns voll aufgegangen.

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Am Dienstag hat der BGH die wohl letzten wichtigen zivilrechtlichen Weichen im sog. Abgasskandal gestellt. Die Grundsatzentscheidung hatte der BGH schon im Mai getroffen: Mit dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen, die auf dem Prüfstand einen niedrigeren Emissions-Ausstoß anzeigten als im Realbetrieb, habe VW seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Und ihnen schon allein durch den Kauf solcher vom Dieselskandal betroffenen Pkw auch einen Schaden zugefügt, obwohl sie die fahrtüchtigen und einsatzbereiten Fahrzeuge über Jahre nutzen konnten.

Mit deutlichen Worten hatte der Vorsitzende von systematischer und langjähriger Täuschung gesprochen, auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung habe VW arglistig Arglosigkeit und Vertrauen der Kunden missbraucht. Das klang nach der Aufarbeitung eines Skandals, der die Auto-Nation Deutschland erschüttert hatte. Es klang, als sei Realität geworden, was viele Verbraucheranwälte sich aus Karlsruhe erhofft hatten: Dass VW sich „warm anziehen“ müsse, und mit den Wolfsburgern alle anderen Autobauer, die ebenfalls unzulässige Software verbaut hatten, um neue Grenzwerte einzuhalten.

Nachdem nun die weiteren wichtigsten Urteile ergangen sind, stellt sich die Lage anders dar. Der BGH hat seinen Job gemacht. Er hat auf der Grundlage geltenden Rechts nachvollziehbare Urteile gefällt; mal gegen, mal für VW. Und konnte, trotz aller deutlichen Worte in seiner Grundsatzentscheidung, doch nicht verhindern, dass am Ende VW erfolgreich war mit einer Verschleppungstaktik, die über Jahre hunderte Instanzgerichte beschäftigte.

Der BGH hielt sich ans Zivilrecht

Eine grundsätzliche deliktische Haftung von VW wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung seiner Kunden, und zwar auch von Kunden irgendwelcher VW-Gebrauchtwagenhändler, anzunehmen, das war nicht selbstverständlich. Aber es war wahrscheinlich. Juristisch schon mutiger, aber sehr gut vertretbar, auch ohne ausgetretene Pfade des Rechts zu verlassen, war die Annahme eines Schadens der VW-Kunden, obwohl die ihre Pkw nutzen konnten. Und der entfällt auch nicht später, wenn VW ein Softwareupdate aufspielt.

Mehr aber haben Deutschlands VW-Kunden aus Karlsruhe nicht bekommen. Es kann nicht sein, dass die geprellten VW-Kunden sich die von ihnen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen, obwohl sie doch getäuscht wurden? Fehlanzeige, der BGH ließ sich auf das Weil-nicht-sein-kann-was-nicht-sein-darf-Argument nicht ein. Wer Nutzungen zieht, muss sie sich anrechnen lassen. Und wer besonders viel profitiert, muss sich auch besonders viel anrechnen lassen. Es war fast schon unnötig, per Urteil zu erklären, dass das auch dann gilt, wenn besonders viele Kilometer gefahren wurden, vom Kaufpreis also nichts mehr übrig bleibt.

Ebenso wenig erfolgreich waren findige Verbraucheranwälte mit den Deliktszinsen. Die Idee: Wenn die VW-Käufer sich schon anrechnen lassen müssen, dass sie das Auto fahren konnten, dann sollte der Konzern seinerseits dafür bezahlen müssen, dass er den Kaufpreis bekommen hat. Das hätte sich rechnen können. Die Verfahren liefen lang, die Zinsen auf die oft hohen Kaufpreise der nicht günstigen Mittelklassewagen hätten sich summiert. Doch auch hier: Fehlanzeige. Sonst würden die Käufer quasi doppelt profitieren, argumentierte der BGH. Einen Strafschadensersatz wie im US-amerikanischen Recht gibt es im deutschen Recht eben nicht.

Die Verschleppungstaktik war erfolgreich

Der Autokonzern, der von Anfang an damit rechnen musste, dem Grunde nach verurteilt zu werden, hatte es in der Hand, den Rückabwicklungsanspruch massiv zu drücken. Und so war jeder Tag, der verging, ein guter Tag für VW: Je länger die Verfahren dauerten, desto mehr verloren die Pkw an Wert. Die Strategie ist aufgegangen. Es profitiert VW – das Unternehmen, das seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom Mai dieses Jahres gebetsmühlenartig wiederholt, man wolle jetzt die vergleichbaren Verfahren zeitnah beenden, um die Justiz schnellstmöglich zu entlasten.

Zuvor hat VW über Jahre praktisch die gesamte deutsche Justiz über Jahre beschäftigt. Und gleichzeitig alles getan, um eine Grundsatzentscheidung zu verhindern. Mit Hilfe der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer koordinierte der Konzern die tausenden Verfahren bundesweit. VW verschleppte, legte auch in klaren Fällen Rechtsmittel ein.

Waren die Verfahren aber beim BGH angekommen, tat der Konzern alles, um eine Grundsatzentscheidung zu verhindern. Kurz vor knapp wurden Revisionen zurückgenommen und – dem Vernehmen nach auch für den Konzern sehr teure – Vergleiche abgeschlossen. Im Parteiprozess des Zivilrechts kann der Richter, wenn die Parteien nicht mehr wollen, nichts mehr tun. Das ging so weit, dass der BGH 2019 einen Hinweisbeschluss erließ, um die Abschalteinrichtung als Mangel zu qualifizieren. Die Grünen wollten im Herbst 2019 wegen dieser Freikauf-Taktik den BGH sogar ermächtigen, über Grundsatzfragen auch dann zu entscheiden, wenn die Parteien sich vor einem Urteil einigen.

Perfektes Timing, meisterhafte Schadensbegrenzung

Zu einer Grundsatzentscheidung gegen VW kam es dann aber erst, als der Konzern sich schon mit über 240.000 Kunden nach einem Vergleich in der ersten deutschen Musterfeststellungsklage geeinigt hatte. Heute sind nach Angaben des Autobauers nur noch ca. 60.000 Verfahren anhängig. Eine geradezu meisterhafte Schadensbegrenzung.

Auch wenn die Gerichte sich in Prozessen gegen andere Autobauer, die ebenfalls betrogen haben, an den Urteilen des BGH orientieren werden, ist in Sachen VW ganz klar VW der Gewinner. Weil das Timing perfekt war. Weil das Unternehmen, das mit dem Abgasskandal so viel kriminelle Energie gezeigt hat, bei dessen prozessualer Aufbereitung juristisch legitime Mittel genutzt hat. Dazu gehört auch die Ausschöpfung des Rechtswegs bis zum Ende. Das ist in einem Rechtsstaat legitim; auch wenn es weh tut.

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Pia Lorenz, VW nach dem Dieselskandal: Die Strategie ist aufgegangen . In: Legal Tribune Online, 30.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42364/ (abgerufen am: 28.09.2023 )

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