Im Streit mit dem BKartA gibt es für die Investorenclubs aus Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim Rückendeckung vom Ligaverband: Die rechtlichen Bedenken an den Ausnahmen der 50+1 Regel seien unbegründet.
Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat die kartellrechtlichen Bedenken des Bundeskartellamtes (BKartA) in einer jetzt bekannt gewordenen Stellungnahme zurückgewiesen. In dem 16-seitigen Schreiben, das an die Beschlussabteilung des Kartellamtes in Bonn gerichtet ist, begründet der Ligaverband, warum aus seiner Sicht die geltende 50+1 Regel inklusive der sog. Förderausnahmen für die konzern- oder investorengeführten Bundesligisten Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und TSG 1899 Hoffenheim kartellrechtlich unbedenklich ist. Das BKartA hat Bedenken an den Ausnahmen von der Regel für diese Clubs angemeldet und u.a. die DFL um Stellungnahme gebeten.
Ob sich die obersten Wettbewerbshüter indes davon überzeugen lassen oder der DFL nach den §§ 32 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nunmehr kartellrechtliche Sanktionen drohen, bleibt abzuwarten. Nach Angaben eines BKartA-Sprechers ist in dem 50+1-Verfahren die bisher letzte Stellungnahme eines Verfahrensbeteiligten erst Anfang November eingegangen. Jetzt würden die eingegangenen Positionen ausgewertet.
Nach LTO-Informationen befindet sich darunter auch die des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sowie eine gemeinsame Stellungnahme der drei Klubs aus Leverkusen, Hoffenheim und Wolfsburg. Diese hatten zuvor in einem "Brandbrief" das BKartA heftig angegriffen und sogar für den Fall, dass die DFL künftig eine 50+1-Regel ohne Ausnahmen beschließen sollte, mit rechtlichen Schritten gedroht, mit der möglichen Konsequenz, "dass wir künftig gar keine 50+1-Regel mehr im deutschen Fußball haben werden".
DFL: 50+1 inkl. Förderausnahmen sind "kartellrechtsneutral"
Das BKartA hatte im Mai - sehr zum Unmut der drei betroffenen Vereine - festgestellt, dass die 50+1-Regel zwar im Grundsatz mit dem Kartellrecht vereinbar sei, gleichzeitig aber die derzeit geltenden Ausnahmegenehmigungen für die konzern- oder investorengeführten Klubs kritisiert. Die Initiative zur Überprüfung durch die Bonner Behörde hatte die DFL zuvor mit einem Antrag selbst ergriffen. Danach sollte das BKartA gemäß § 32c GWB gegenüber der DFL feststellen, dass es aus wettbewerbsrechtlichen Gründen keinen Anlass zum Tätigwerden sieht. Doch der Schuss ging nach hinten los: "Wir haben in unserer vorläufigen Einschätzung deutlich gemacht, dass wir eine solche Erklärung aus verschiedenen Gründen derzeit nicht abgeben können", bekräftigte Kartellamts-Präsident Mundt seinerzeit im LTO-Interview.
Mit der 50+1-Regel soll verhindert werden, dass Investoren in den Klubs die Stimmenmehrheit erlangen. Sie hat zum Ziel, dass an den Wettbewerben Bundesliga und 2.Bundesliga "vereinsgeprägte" Klubs teilnehmen. Nach der umstrittenen Förderausnahme darf allerdings ein Investor, der einen Verein mehr als 20 Jahre in "erheblichem" Umfang unterstützt hat, diesen auch kontrollieren. "Wenn einigen Clubs größere Möglichkeiten zur Einwerbung von Eigenkapital zur Verfügung stehen als anderen, dürfte dies nicht zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs beitragen, sondern ihn eher verzerren", monierte seinerzeit das BKartA.
In ihrer Stellungnahme an die Bonner Behörde weist die DFL diese Kritik nunmehr zurück: Die 50+1 -"Grundregel" sei sowohl allein als auch mit der Förderausnahme zusammen als Gesamtregel "kartellrechtsneutral". Wenn das BKartA, so die DFL, "zutreffend" selber festgestellt habe, dass die 50+1-Grundregel an sich voraussichtlich kartellrechtsneutral sei, so müsse diese Annahme erst recht für die Gesamtregel inklusive der "weniger beschränkenden" Förderausnahmen gelten.
DFL: Förderausnahme bedeutet "Stabilität und Krisenfestigkeit"
Mit ihnen, so die DFL, würden die mit 50+1 verfolgten legitimen Ziele wie etwa die Ausgeglichenheit und Stabilität des Wettbewerbs oder die Verbindung von Amateur- und Jugendfußball mit dem Profifußball "kohärent und stringent" fortgesetzt. Und im Übrigen stehe der DFL in diesem Kontext aufgrund ihrer Verbandsautonomie ein "Gestaltungs- und beurteilungsspielraum" zu.
Dem BKartA unterstellt die DFL, es verstehe den Begriff der "Vereinsprägung", die 50+1 zum Ziel habe, vorranging als "vereinsmitgliedergeprägt" statt als vereinswerte- oder vereinszweckgeprägt. "Vereinszwecke und –werte lassen sich unter den engen Voraussetzungen der Förderausnahme auch ohne beherrschenden Einfluss des Muttervereins hinreichend wahren", heißt es in der DFL-Stellungnahme. Ein Unternehmen, das den betreffenden Club 20 Jahre lang ununterbrochen und erheblich gefördert habe, dokumentiere zudem Stabilität und Krisenfestigkeit sowie seine soziale Verbundenheit mit dem Club. Dass sich ein solches Unternehmen kurzfristig zurückziehe, sei "unwahrscheinlich".
"Bayern, Dortmund und Gladbach seit 2008/2009 noch nicht abgestiegen"
Auch den immer wieder geäußerten Vorwurf, die von ihren Mehrheitsinvestoren profitierenden Klubs würden sportlich den Wettbewerb in der Bundesliga verzerren, weist die DFL entschieden zurück. Zwar seien Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim bislang noch nicht in die 2.Liga abgestiegen, das sei aber allenfalls nur ein "Anhaltspunkt" dafür, einen Vorteil im Wettbewerb anzunehmen: "Seit sie die drei Förderklubs in der Bundesliga spielen, also seit der Saison 2008/2009, sind beispielsweise neben diesen auch der FC Bayern München, Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach nicht aus der Bundesliga abgestiegen."
Außerdem, so die DFL, hätten die betroffenen Klubs es in den vergangenen Jahren nicht immer geschafft, sich für europäische Wettbewerbe zu qualifizieren. Aus der Bundesliga hätten in den vergangenen Jahren viel mehr Klubs als aus anderen europäischen Staaten an den internationalen Wettbewerben teilgenommen.
Sportrechtler bewerten die Lage unterschiedlich
Unterdessen fallen die Reaktionen von Sport- und Wettbewerbsrechtlern auf die Stellungnahme der DFL unterschiedlich aus. LTO hat mehrere Stimmen zusammengetragen.
Der Kölner Sportrechtler Prof. Jan F. Orth etwa lobte die Ausführungen des Ligaverbandes. Dieser habe mit seiner Stellungnahme "eine echte Chance erreicht, dass auch das BKartA die Rechtmäßigkeit der sog. Förderausnahme anerkennen wird". Die DFL weise zu Recht auf ihre von der Rechtsprechung anerkannte Einschätzungsprärogative hin. Orth zufolge sei es abwegig, "Mitgliederpartizipation im Mutterverein schwerpunktmäßig dahin zu verstehen, dass die Mitgliederversammlung oder der von ihr bestimmte Vorstand jederzeit durch Weisungen oder Beschlüsse in das operative Geschäft der Fußball-Tochtergesellschaft eingreifen können soll". Das widerspreche der Historie der Regel und dem geborenen Anspruch an eine professionelle Unternehmensführung der Fußballkapitalgesellschaften.
Konkrete Lösungsansätze in der Stellungnahme der DFL, wie nach der Kritik des BKartA mit den konkreten Förderausnahmen umzugehen ist, vermisst indes der Berliner Sportrechtler und Strafverteidiger René Lau. Der Anwalt hofft, dass die DFL gemeinsam mit dem BKartA eine Lösung findet, um 50+1 zu erhalten. "Alles andere wäre fatal und würde zu englischen Verhältnissen führen, die kein Fußballfan will", so Lau.
"Das Ende von 50+1 ist eingeläutet"
Dass bei dem Streit um die Fördermaßnahmen letztlich die gesamte 50+1 Regel auf dem Spiel steht, glauben auch andere Juristen, wie etwa Dr. Paul Lambertz. Der Düsseldorfer Fachanwalt für Sportecht ist pessimistisch: "Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich das BKartA von diesem Schreiben überzeugen lässt, denn es wurden kaum neue Argumente vorgebracht." So wie die Regelung jetzt sei, werde sie keinen Bestand haben können. "Das Ende von 50+1 ist eingeläutet, denn ich sehe keine Möglichkeit, wie die DFL die Regelung noch retten kann", prophezeit Lambertz.
Sportrechtler Dr. Fabian Reinholz von der Berliner Kanzlei Härting widerspricht vor allem dem Vorbringen der DFL, die drei Klubs hätten keine Wettbewerbsvorteile: Leverkusen habe sich seit der Jahrtausendwende oben festgesetzt, bei Wolfsburg sei das ähnlich, "wenn auch unterbrochen durch Leistungsknicks, aber das waren immer Jahre, nach denen wichtige Spieler verkauft worden waren." Hoffenheims Leistungskurve sei zwar deutlich volatiler, "aber die sind ja auch noch nicht so lange dabei und verstehen sich nach meiner Erinnerung auch eher als Ausbildungsclub", so der Anwalt.
Bedenken in diesem Punkt hat auch der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Stephan Dittl. Der Sportrechtler zeigte sich im Gespräch mit LTO von der Vorgehensweise der DFL verwundert, "die bestehende Diskriminierung zwischen den Ausnahme-Vereinen und den anderen Bundesligisten zu verschleiern". Dass die DFL mit ihrer Argumentation, Geld schieße in Wahrheit doch keine Tore, beim Kartellamt Erfolg haben werde, sei kaum zu erwarten, so Dittl. "Wenn man die sportlichen Ergebnisse bei der Bewertung des wirtschaftlichen Wettbewerbs berücksichtigen möchte, müsste man vielmehr vergleichen, wie der sportliche Wettbewerb aussähe, wenn man sich 50+1-Regel bzw. die Förderausnahme wegdenkt: Wären die drei Vereine genauso erfolgreich, wenn die Investoren keinen Einfluss mehr ausüben könnten und die Kapitalzuflüsse dann ausblieben? Oder wenn alle Vereine Investoren hätten?"
Taugen Finanzmodelle von US-Profiligen als Vorbild?
Was für Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim gelte, könne anderen Interessenten nur schwerlich vorenthalten werden, erklärte Sportrechtler und Zivilrechtslehrer Prof. Dr. Helmut Grothe von der FU Berlin gegenüber LTO. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den 36 DFL-Clubs, so Grothe, sei ein gewaltiges Problem für den sportlichen Wettbewerb, die 50+1-Regel erfasse aber nur einen Ausschnitt hieraus. Langfristig wird die DFL Grothes Meinung nach nicht umhinkommen, "sich der vom BKartA geforderten Ausgeglichenheit des Wettbewerbs in anderer Form zuzuwenden, etwa durch Orientierung an den Finanzmodellen aus den US-Profiligen".
Nicht überzeugt von der DFL-Stellungnahme zeigte sich auch der Bayreuther Sport- und Zivilrechtslehrer Prof. Dr. Peter W. Heermann. Schon die 50+1-Grundregel sei im Lichte der bislang vorgebrachten und angeblich verfolgten Ziele erheblichen kartellrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die dadurch bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen ließen sich auch nach den vom EuGH geprägten Prüfungsmaßstäben ("Meca-Medina-Test") nicht rechtfertigen. Das gelte erst recht für die Förderausnahme, so Heermann. "Allen Bundesligisten steht unter näher festgelegten Voraussetzungen die Möglichkeit offen, in den Genuss der Förderausnahme zu kommen. Was wird von der 50+1-Regel und den mit ihr primär verfolgten Zielen noch übrigbleiben, wenn künftig immer mehr Bundesligisten hieran nicht mehr gebunden sein könnten bzw. sein werden?"
Heermanns Kollege Prof. Dr. Martin Nolte von der Sporthochschule Köln hofft unterdessen wie viele Fußballfans, dass die 50+1 Regel Bestand haben wird. Die Regel sei vergleichbar mit dem Hambacher Forst in der Diskussion um die Energiewende: "Für sich genommen fast verloren, aber umso wichtiger als klarer Standpunkt zur Verteidigung zentraler Werte des Fußballsports."
Die DFL jedenfalls signalisiert in ihrer Stellungnahme gegenüber dem BKartA Dialogbereitschaft. Auch über "Möglichkeiten und Formen von Bestandsschutz für bereits erteilte Ausnahmen" könne gesprochen werden. Diesen Passus dürften in Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim nicht alle gerne zur Kenntnis genommen haben.
DFL will an 50+1-Ausnahmen festhalten: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46653 (abgerufen am: 13.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag