Druckversion
Donnerstag, 6.11.2025, 03:26 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/deutscher-verkehrsgerichtstag-vorsichtige-oeffnung-fuer-angehoerigen-schmerzensgeld
Fenster schließen
Artikel drucken
5441

Deutscher Verkehrsgerichtstag: "Vor­sich­tige Öff­nung für Ange­hö­rigen-Sch­mer­zens­geld"

LTO-Redaktion

30.01.2012

Verkehrsgerichtstag

© Manfred Steinbach - Fotolia.com

Zum 50. Mal haben namhafte Experten in Goslar über aktuelle Entwicklungen des Verkehrsrechts beraten. Auf der Agenda stand unter anderem der Umgang mit krankheitsbedingten Gefahren und die Einführung eines "Trauergeldes" für Angehörige von Unfallopfern. Über die dabei an den Gesetzgeber formulierten Forderungen spricht Verkehrsgerichtstags-Präsident Kay Nehm im Interview.

Anzeige

LTO:  Herr Nehm, der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar konnte 2012 auf eine 50-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Viele wichtige verkehrspolitische Impulse sind seit 1963 von der Veranstaltung ausgegangen, unter anderem die Herabsetzung der Promillegrenzen. Jüngst hat nun der Verkehrssicherheitsrat gefordert, Alkohol am Steuer ganz zu verbieten. Inwieweit war dieser Dauerbrenner auch Thema des diesjährigen Verkehrsgerichtstages?

Kay Nehm: Das Thema Alkohol und Drogen gehörte dieses Jahr nicht zum Arbeitsprogramm. Selbstverständlich wurde es bisweilen intern diskutiert. Stattdessen haben sich die Rechts- und Verkehrsmediziner diesmal mit den Risiken befasst, die von erkrankten Verkehrsteilnehmern ausgehen.

LTO: Welches sind denn die häufigsten Gebrechen, die zu Unfällen führen?

Nehm: Leider gibt die Unfallstatistik auf diese Frage keine Antwort. Die erörterten Zahlen beruhen auf Erkenntnissen der Mediziner. Risikoreiche Erkrankungen sind insbesondere Herzinfarkt, Schlaganfall, Epilepsie und Diabetes. Hier kann das Folgerisiko im Allgemeinen durch Behandlung verringert werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat sich zur Risikobewertung einer plausiblen Formel bedient: Sie berücksichtigt unter anderem die Zeit am Steuer, die Art des Fahrzeuges und die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Kontrollverlustes. Entsprechendes fordert der Verkehrsgerichtstag auch für andere Krankheiten. Problematisch wird es bei altersbedingten Ausfallerscheinungen. Das gilt vor allem bei uneinsichtigen oder unverständigen Patienten.

LTO: Hier würde ich gerne einhaken: Es gibt ja speziell bei Senioren immer wieder Forderungen nach verpflichtenden Fahrsicherheitstrainings, mitunter wird sogar über Fahrverbote nachgedacht. Besteht aus Ihrer Sicht insoweit tatsächlich Handlungsbedarf, oder sind die Experten hier möglicherweise zu einer anderen Empfehlung gekommen?

Nehm: Ein Fahrsicherheitstraining ist generell für alle Kraftfahrer empfehlenswert. Die Frage ist, wer den fahruntüchtigen uneinsichtigen Kraftfahrer ausbremst. Der Verkehrsgerichtstag hat hier seine frühere Auffassung bekräftigt, dass der behandelnde Arzt in Extremfällen nicht an die ärztliche Schweigepflicht gebunden ist. Nun wurde für Fälle akuter Gefährdung das Recht des Arztes befürwortet, den krankheitsbedingt nicht fahrtüchtigen Patienten der Polizei zu melden.

Höhe von Entschädigungsanspruch muss Sache der Gerichte bleiben

LTO: Ein weiteres Thema beim Verkehrsgerichtstag war die Frage, ob nahe Angehörige von getöteten Unfallopfern einen eigenen Anspruch auf Schmerzensgeld haben sollen.  Im Gegensatz zu Deutschland können diese Personen in anderen europäischen Ländern das so genannte Trauergeld bereits gerichtlich geltend machen. Warum ist das hierzulande nach gegenwärtiger Rechtslage so schwierig?

Nehm: Im Unterschied zu manchen anderen Ländern ist bei uns der Kreis der Berechtigten in Anlehnung an unser Familienrecht eng begrenzt. Trotz Ausweitung der Schadensersatzleistungen auf weitere Angehörige bleiben übrigens die Gesamtaufwendungen in annähernd vergleichbarer Höhe. Das ist ein Hinweis auf die unterschiedlichen Parameter in Europa. Anderenorts genießt der Personenschaden Vorrang vor der Summe der häufig geringfügigen Schadenspositionen beim Sachschaden.

LTO: Zu welchen Empfehlungen ist der Verkehrsgerichtstag hier nun gekommen?

Nehm: Zum Thema Angehörigen-Schmerzengeld hat sich der Verkehrsgerichtstag für eine vorsichtige Öffnung des Deutschen Rechts ausgesprochen. Bei Tötung eines nahen Angehörigen zum Beispiel sollte ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch für Ehe- und Lebenspartner sowie für Eltern und Kinder geschaffen werden, dessen Bemessung allerdings den Gerichten überlassen bleiben müsste.

Wer beim Pedelec in die Pedale tritt, soll als Fahrradfahrer gelten

LTO: Kommen wir noch zu neuen Fortbewegungsmitteln und technische Entwicklungen, die natürlich auch vor Verkehrsjuristen nicht haltmachen. So ging es in Goslar auch um den rechtlichen Umgang mit als Pedelec bezeichneten Elektrofahrrädern und so genannte Bierbikes.

Gerade die Bierbikes sind ja in jüngerer Vergangenheit vermehrt in die Schlagzeilen geraten. So hat das OVG Münster entschieden, dass man für derartige Fahrzeuge eine Sondernutzungserlaubnis braucht. Inwieweit haben die Experten bei diesen unterschiedlichen Fahrzeugen differenziert und zu welchen Ergebnissen sind sie dabei gekommen?

Nehm: Die Bierbikes dienen nicht der Fortbewegung, sondern der Belustigung. Sie gehören nicht auf öffentliche Strassen.

Bei den Pedelecs lautet die entscheidende Frage: Fahrrad oder Kraftfahrzeug? Der Verkehrsgerichtstag hat sich hier für eine Differenzierung ausgesprochen: Pedelecs, deren Motor nur als Schiebehilfe beim Anfahren dient oder nur dann eingreift, wenn der Fahrer in die Pedale tritt, sollten Fahrrädern gleichgestellt werden. Allerdings werden Helm und Haftpflichversicherung empfohlen. Pedelecs mit einer motorunterstützten Geschwindigkeit bis zu 45 km/h sollten als Kleinkrafträder mit entsprechenden Konsequenzen eingestuft werden.

LTO: Herrn Nehm, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Kay Nehm, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und Generalbundesanwalt a.D. ist Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages e.V.

Die Fragen stellte Steffen Heidt.

 

Mehr auf LTO.de:

Jubiläum: Deutscher Verkehrsgerichtstag wird 50

Angehörigenschmerzensgeld: Mehr Gerechtigkeit für Witwen und Waisen

50. Verkehrsgerichtstag: Fahrverbote für Alte und Kranke?

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Deutscher Verkehrsgerichtstag: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5441 (abgerufen am: 08.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Verkehrsrecht
    • Straßenverkehr
    • Verkehrsgerichtstag
    • Verkehrssicherheit
Ein fliegender Fasan 07.11.2025
Nachrichten

OLG Oldenburg zur Betriebsgefahr bei Motorrädern:

Ein flie­gender Fasan ist keine höhere Gewalt

Für Unfallschäden hat das Straßenverkehrsrecht eigentlich eine klare Haftungsverteilung. Aber wer haftet, wenn der Beifahrer auf einem Motorrad stürzt, weil ein Fasan gegen seinen Helm fliegt? Damit hat sich das OLG Oldenburg beschäftigt.

Artikel lesen
Mann fotografiert einen Falschparker mit seinem Smartphone. 06.11.2025
Datenschutz

Vom Hilfssheriff zum Datensünder:

Falsch­parker-Melder muss 100 Euro Scha­dens­er­satz zahlen

Ein Mann meldet per App einen Falschparker – und schießt dabei übers Ziel hinaus. Weil er auch den Beifahrer fotografierte, muss er 100 Euro Schadensersatz und die gegnerischen Anwaltskosten von über 600 Euro zahlen, so das OLG Dresden.

Artikel lesen
Cannabis 06.11.2025
Cannabis-Legalisierung

AG Hamburg-Wandsbek verhängt Fahrverbot:

"Cannabis-Aus­weis" nach Zoom-Sprech­stunde genügt nicht

In Ausnahmefällen dürfen Menschen auch nach Cannabiskonsum noch Autofahren. Hierfür gelten aber strenge Voraussetzungen, die das AG Hamburg-Wandsbek nun konkretisierte. Freifahrtscheinen per Zoom erteilte es eine Absage.

Artikel lesen
Ein Schlagloch auf offener Straße 23.10.2025
Amtshaftung

LG Flensburg verneint Amtshaftung:

Mann tritt in Schla­g­loch und reißt sich ein Außen­band

Dunkel, Regen, der Magen knurrt: Ein warmer Döner hätte den hungrigen Arbeiter wieder nach vorn gebracht. Stattdessen verletzt er sich beim Aussteigen aus dem Auto schmerzhaft, weil er in ein Schlagloch tritt. Das Amt haftet dafür nicht.

Artikel lesen
Radarkontrolle in Nizza 21.10.2025
Straßenverkehr

Digitaler Führerschein, unionsweite Fahrverbote:

EU besch­ließt neue Regeln im Stra­ßen­ver­kehrs­recht

Ein digitaler Führerschein bis 2030 und grenzüberschreitende Fahrverbote: Diese und weitere Reformen im Straßenverkehrsrecht hat der EU-Gesetzgeber beschlossen. Verpflichtende Gesundheitschecks für ältere Fahrer soll es aber nicht geben.

Artikel lesen
E-Zigarette am Steuer 02.10.2025
Straßenverkehr

OLG Köln legt Straßenverkehrsordnung aus:

E-Ziga­rette am Steuer fällt unters Handy-Verbot beim Auto­fahren

Egal ob Handy oder E-Zigarette: Am Steuer sollte man keine Touchdisplays bedienen. Ansonsten drohen dreistellige Bußgelder, wie das OLG Köln jetzt klargestellt hat.

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle , Hil­des­heim

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
As­so­cia­tes (m/w/d) – Öf­f­ent­li­ches Recht mit Fo­kus En­er­gie- und...

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat
Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat , Wies­ba­den

Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Düs­sel­dorf...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Düs­sel­dorf

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle , Sta­de

Logo von Gleiss Lutz
Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­beit (m/w/d) M&A

Gleiss Lutz , Ham­burg

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle , Ver­den (Al­ler)

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
§ 15 FAO - Krisenprävention, Insolvenzreifeprüfung und Haftungsszenarien

17.11.2025, Hamburg

Logo von AnwaltVerein Stuttgart e.V. | AnwaltService Stuttgart GmbH
Baden-Württembergischer Mietrechtstag 2025

18.11.2025

Digitale Kamingespräche: Wie arbeitet man eigentlich im DFG-Fachkollegium Privatrecht?

19.11.2025

§ 15 FAO - AGB- und Vertragsrecht für Praktiker:innen

18.11.2025, Hamburg

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Hoch hinaus und großes Spiel: Privates Baurecht am Beispiel von Hochhäusern und Fußballstadien

27.11.2025, Frankfurt am Main

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH