Nach einer Klage der Europäischen Kommission vor dem EuGH erhofften sich zahlreiche Wettbewerber der Deutschen Bahn eine Verschärfung der Eisenbahnregulierung in Deutschland. Nun empfiehlt der Generalanwalt dem EuGH jedoch, die Klage abzuweisen. Warum eine Trennung von Verkehr und Schiene damit aber noch nicht endgültig vom Tisch ist, erklärt Anselm Grün.
Die Europäische Kommission hat, neben zahlreichen anderen Mitgliedstaaten, auch die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt. Nach Ansicht der Brüsseler Behörde wurden unionsrechtliche Vorgaben zur Regulierung der Eisenbahnmärkte hierzulande nicht ausreichend umgesetzt. Kern des Streits sind dabei die Trennung von Netz und Bahnbetrieb sowie Anreize zur Senkung der Trassenentgelte.
Die Holdinggesellschaft Deutsche Bahn AG hält gleichzeitig die Mehrheit an den Transportgesellschaften der Deutschen Bahn sowie der Schienenwegsbetreiberin DB Netz AG. Diese Mehrheitsbeteiligung nährt in Brüssel den Verdacht einer Abhängigkeit. Deshalb verlangt die Kommission besondere Sicherungsmaßnahmen, zu denen etwa das Verbot eines Doppelmandats in den Vorständen, eine Karenzzeit für Mitarbeiter für den Wechsel zwischen den Sparten und Vorkehrungen gegen jeden Informationsaustausch zwischen den Sparten zähle.
Sie stützt sich dabei auf die europäischen Richtlinien 91/440/EWG und 2001/14/EG, die vorschreiben, dass so genannte wesentliche Funktionen von einer unabhängigen Stelle vorgenommen werden müssen. Dazu zählen netzzugangsrelevante Maßnahmen wie die Zuweisung von Trassen und Entscheidungen über die Trassenentgelte. Diese Stelle muss rechtlich, organisatorisch und in ihrer Entscheidungsfindung von Unternehmen getrennt sein, die selber Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen.
Die Schlussanträge von Generalanwalt Niilo Jääskinen endeten nun mit einer Überraschung: Am vergangenen Donnerstag wies er die Argumente der Kommission zurück und empfahl dem EuGH, die Klage abzuweisen.
Generalanwalt geht von Unabhängigkeit der DB Netz AG aus
Die Bundesregierung hat die Forderungen der Kommission stets zurückgewiesen. Auch der im Januar 2012 veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums für ein neues "Eisenbahn-Regulierungsgesetz" enthielt keine der von der Kommission geforderten Maßnahmen. Dafür hat Raumsauers Ministerium viel Kritik von Wettbewerberverbänden erhalten – auch und gerade unter Verweis auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren.
Der Generalanwalt stellte vergangene Woche aber fest, dass die Richtlinien die von der Kommission geforderten Sicherungsmaßnahmen gerade nicht vorsähen. Zudem vermisst er konkrete Beweise dafür, dass die Holding Einfluss auf die Wahrnehmung der wesentlichen Funktionen bei der DB Netz AG nähme.
Die Faktenlage, nämlich entsprechende Passagen im Beherrschungsvertrag zwischen Holding und DB Netz AG sowie in der Geschäftsordnung des Vorstandes der DB Netz AG, weise eher auf eine gesicherte Unabhängigkeit hin, so Jääskinen in seinen Schlussanträgen.
Entscheiden wird der Recast
Sollten die Luxemburger Richter wie häufig im Sinne des Generalanwaltes entscheiden, ist die weitergehende Herauslösung der Infrastruktursparte aus dem DB-Konzern aber noch nicht vom Tisch: Im Rahmen des so genannten Recast könnten sich die rechtlichen Voraussetzungen ändern.
Der Recast, den der Ministerrat voraussichtlich im dritten Quartal 2012 verabschieden wird, sieht eine Überarbeitung und Konsolidierung der Richtlinien des "ersten Eisenbahnpakets" vor, zu denen auch die hier im Streit stehenden gehören. Gleichzeitig enthält er für die Kommission auch den Auftrag, über weitergehenden Handlungsbedarf im Eisenbahnsektor zu berichten.
Die Kommission kann dies zum Anlass nehmen, weitergehende Trennungsvorschriften für das Unionsrecht zu verlangen, um die durch das nun zu erwartende EuGH-Urteil von ihr angenommenen Defizite zu schließen.
Anreize für Kostensenkung geschaffen
Eine weitere zentrale Rüge der Kommission betrifft Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG, der Vorgaben für die Infrastrukturentgelte, insbesondere die Schienenwege, aufstellt. Auch hier bemängelt Brüssel, dass die Vorschrift nicht ausreichend in deutsches Recht umgesetzt worden sei. Es fehlten Mechanismen, dem Betreiber der Infrastruktur Anreize zu setzen, damit dieser die mit der Fahrwegbereitstellung verbundenen Kosten und Entgelte senkt. Es sei deshalb nicht zu erwarten, dass die Preise für die Schienennutzung sinken.
Auch dem widerspricht der Generalanwalt: Die zwischen der Bundesrepublik und der DB Netz AG vertraglich vereinbarte "Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung" (LuFV) sehe neben Qualitätsvorgaben und verpflichtenden Eigenbeiträgen der DB Netz AG für Ersatzinvestitionen auch vor, dass die Zuwendungen des Bundes für Investitionen ins Schienennetz weiter sinken. Das schafft nach Ansicht von Jääskinen durchaus einen Anreiz für Kostensenkungen. Dass diese auch zu einer Entgeltsenkung für die Schienenwege führen müssten, kann der Generalanwalt dem Unionsrecht hingegen nicht entnehmen.
Vorrang hat für ihn der mit der Kostensenkung verbundene Abbau staatlicher Zuschüsse. Wenn dieser einmal erfolgt sei, dürfte das Prinzip, wonach die Entgelte für die Schienenwege nicht mehr als die tatsächlichen Kosten erfassen dürfen, seiner Ansicht nach automatisch zu sinkenden Entgelten führen.
Regulierung muss die Investitionskosten berücksichtigen
Die Aussage des Generalanwalts ist für den deutschen Gesetzgeber hochaktuell: Der derzeit in der Ressortabstimmung befindliche Entwurf für das neue "Eisenbahn-Regulierungsgesetz" sieht unter anderem auch vor, eine anreizbasierte Entgeltregulierung durch die Bundesnetzagentur für diejenigen Entgelte einzuführen, die für die Nutzung der Schienenwege und Bahnhöfe erhoben werden.
Streitig ist dabei bislang noch die Reichweite der Regulierungsbefugnisse für die Bundesnetzagentur. Während der Referentenentwurf ihr zuletzt nur eingeschränkte Rechte einräumte, die Entgelte für die Nutzung der Schienenwege und Bahnhöfe zu regulieren, fordern Kritiker hier deutlich weitere Befugnisse.
Sollte der EuGH im Sinne des Generalanwaltes entscheiden, wird den Kritikern des bisherigen Gesetzentwurfs die Argumentation erschwert, das Unionsrecht erfordere eine umfassende Regulierung der Entgelte für die Schienenwege und Bahnhöfe. Ihnen bleibt freilich das ordnungspolitische Argument, wonach eine echte Anreizregulierung den wichtigsten Kostenfaktor der Schiene, die Investitionen für Erhalt und Ausbau, nicht ausblenden darf. Jedenfalls dann, wenn sie als Regulierung noch ernst genommen werden soll.
Der Autor Dr. Anselm Grün ist Rechtanwalt in Berlin und Partner der Sozietät Orth Kluth Rechtsanwälte.
Dr. Anselm Grün, Deutsche Eisenbahnregulierung gebilligt: Generalanwalt sieht keine Defizite bei der Deutschen Bahn . In: Legal Tribune Online, 12.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7057/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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