Fehlende Sicherheitssysteme an Signalanlagen, Defekte an Weichen und Oberleitungen - die Bahn kommt nicht aus den Negativschlagzeilen. Nun sollte noch der jährliche Gewinn von 500 Millionen Euro an den Bund gezahlt werden, statt ihn für eine bessere Wartung und Technik zu verwenden. Hohe Dividende bei zugleich großer Unzuverlässigkeit, wie geht das zusammen? Von Anton Kumanoff.
Die Deutsche Bahn steckt in einem Zielkonflikt: Einerseits muss das Unternehmen Gewinne erwirtschaften, um fit für einen möglichen Börsengang zu sein. Dieser soll dem Staat durch Anteilsverkäufe Geld zuführen. Außerdem ist geplant, Kapitalerhöhungen an der Börse zu platzieren, damit der Bahn zusätzliche Mittel zufließen. Diese sollen dann weitere Investitionen finanzieren, die die Leistungsfähigkeit erhöhen.
All das ermöglichte die Privatisierung des vormals staatlichen Sondervermögens Bahn und seine Einbringung in eine Aktiengesellschaft im Jahre 1993. Im Einklang mit dem dafür geänderten Art. 87e III des Grundgesetzes (GG) wurde die Bahn ein privatrechtlich strukturiertes Unternehmen, das fortan gewinnorientiert und vermögenserhaltend arbeiten sollte. Anlass für die Bahnprivatisierung war nämlich die defizitäre Situation des Staatsbetriebes Eisenbahn.
Auf der anderen Seite dient die Eisenbahn dem Gemeinwohl und dem Verkehrswesen (Art. 87 e IV GG). Aus diesem Grund erhält die Bahn erhebliche Zuwendungen für Investitionen und für die Bedienung von Strecken. Grund dieser Zuwendungen ist, dass das Unternehmen unter anderem aus Gründen des Umweltschutzes gehalten ist, eine leistungsfähige Eisenbahn-Infrastruktur vorzuhalten und zu bedienen.
Der Markt bestraft alle – nur die Bahn kommt ungeschoren davon
Wird der Schwerpunkt nun auf einen möglichst schnellen Gang zur Börse gelegt, sind alle Maßnahmen sinnvoll, die geeignet sind, kurzfristig die Profitabilität zu steigern. Schnell wirkt das so genannte Cost-Cutting. Dabei werden betriebliche Abläufe auf eine kostengünstigere Gestaltung hin untersucht und Kapazitätsreserven hinsichtlich ihrer Notwendigkeit hinterfragt. Die Einsparung von Sachkosten und Personal, die Minimierung von Ersatz-Investitionen und damit von Abschreibungen führt regelmäßig kurzfristig zu einer deutlichen Verbesserung der Ertragslage.
Oft wird dabei allerdings "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet", weil gleichzeitig nämlich die Leistungsfähigkeit des Unternehmens sinkt. In einer Marktwirtschaft werden solche Fehlentscheidungen durch den Wettbewerb schnell bestraft, so dass Unternehmen in der Regel sehr wohl darauf achten, die Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Da die Eisenbahn allerdings auch aus historischen Gründen über eine starke Marktposition als Schienenverkehrsanbieter verfügt, tritt eine derartige Bestrafung durch den Markt in diesem Fall nicht ein. Kostenminderungen und Kapazitätseinschränkungen zu Lasten der Leistung führen "lediglich" zu einer Verärgerung der Kunden.
Bei der Deutschen Bahn ging man zusätzlich den Weg, weitere Einnahmequellen wie zum Beispiel Transportkapazitäten (Schenker & Co.) oder ausländische Eisenbahngesellschaften (Arriva in Großbritannien) zu erwerben. Diese Investitionen erfolgten in der Erwartung, langfristig zusätzliche Erträge zu erwirtschaften. Ebenso langfristig wurden aber auch die Finanzmittel in diese Investitionen eingebunden. Die Rückführung der aufgenommenen Fremdmittel erfolgt über den erworbenen Cash-Flow. Diese höhere Verschuldung verringert Investitionsspielräume, die für die Aufrechterhaltung der Leistungskapazität erforderlich sind.
Verzicht auf die Dividende als Beweis, dass der Gemeinwohlauftrag ernst genommen wird
Stellt man hingegen in erster Linie auf den Gemeinwohl- und Infrastruktur-Auftrag ab, soll zwar auch wirtschaftlich gearbeitet werden. Darüber hinaus ist aber auch alles zu tun, um den Verfassungsauftrag zu erfüllen. Dies führt dazu, dass Kapazitäten vorgehalten sowie – falls erforderlich - zusätzliche Kosten in Kauf genommen werden. Dadurch werden Gewinnchancen gemindert und die Investitionspolitik vorrangig auf die Sicherstellung des Auftrages ausgerichtet.
Bei der Bahn wurde das Ziel Gemeinwohl- und Infrastruktursicherungsauftrag offenbar zu Gunsten eines kurzfristigen Börsengangs in den Hintergrund gedrängt. Hieraus entstand ein dividendenfähiger Gewinn als "vergiftetes Geschenk" an den Anteilseigner Bundesrepublik Deutschland. Wenn der Staat Art. 87 e IV GG ernst nimmt, würde er auf die Ausschüttung verzichten und seine Gesellschaftsrechte für die Durchsetzung des Gemeinwohlauftrages einsetzen.
Ein anderer Weg wäre natürlich der Verzicht auf § 87 e IV GG und die vollkommene Privatisierung des Eisenbahnwesens - in der Hoffnung, dass der Markt es schon richten wird. Wohin das führt, sieht man bei den USA: Dort schrumpfte die Infrastruktureinrichtung Eisenbahn zu Gunsten des Straßenverkehrs zur relativen Bedeutungslosigkeit. Dies kann jedoch, auch aus ökologischer Sicht, nicht das Ziel sein.
Der Autor Ass. jur. Anton Kumanoff ist für eine international ausgerichtete Unternehmensberatungsgesellschaft tätig.
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Deutsche Bahn: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2446 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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