Der Fall Weiler vs. Calvo-Goller: Mehr als eine Frage der "Ehre oder Schande"

Hermann Horstkotte

05.03.2011

Mit einer Verleumdungsklage wollte sich eine Jura-Dozentin aus Israel gegen die Buchbesprechung eines Kölner Professors wehren. Am Donnerstag scheiterte sie damit in Paris. Das Urteil ist nicht zuletzt international wegweisend für die Verfolgung von Straftaten im Internet.

In einer kurzen Rezension auf der Webseite Global Law Books lässt der Kölner Strafrechtler Thomas Weigend keinen Zweifel an seiner Enttäuschung von einem dicken Buch über "The Trial Proceedings of the International Criminal Court" (2006) in Den Haag. Die umgekehrt ebenfalls enttäuschte Autorin Karine Calvo-Goller, Dozentin an einer Hochschule in der Nähe von Tel Aviv, verlangte im Juni 2007, die Kritik zu löschen.

Der Herausgeber der Webseite, der weltweit renommierte Völkerrechtler Joseph Weiler von der New York University, lehnte das ab. Aus seiner Sicht beschäftigt sich die Rezension allein mit dem Buchinhalt, ohne falsche Tatsachenbehauptungen über die Autorin selber aufzustellen. Gleichwohl bot er ihr eine Entgegnung auf seiner Webseite an. Das war ihr aber zu wenig.

Verbalkritik gleich Körperverletzung

Vielmehr zeigte Calvo-Goller Weiler in Paris wegen Verleumdung an. Ausgerechnet in Frankreich, weil Verleumdung dort vom Staatsanwalt streng wie eine strafbare Körperverletzung verfolgt wird. Im Januar dieses Jahres verhandelte das Tribunal de Grande Instance de Paris die Sache Französische Republik contra Weiler.

Für den Beschuldigten ist das Strafverfahren eine Frage der persönlichen "Ehre oder Schande" und mehr. Falls er nachgegeben hätte oder unterliegen würde, so Weilers Überzeugung, "wäre die abschreckende Wirkung auf Buchbesprechungen auch über Frankreich hinaus beträchtlich." So streiten gegenwärtig auch deutsche Rechtslehrer und Literaturkritiker gegen einander vor Gericht heftig über Meinungen oder Tatsachen.

Missbräuchliches "forum shopping"

Am 3. März gab das Pariser Tribunal Weiler Recht und verurteilte Calvo-Goller sogar zu achttausend Euro Schadensersatz an den Beschuldigten. Die Buchbesprechung habe nicht die Grenzen der "akademischen Kritik" überschritten, "der sich jeder Autor eines wissenschaftlichen Werkes (d´une oeuvre intellectuelle) aussetzt". In der Rezension sei Calvo-Goller nicht persönlich angegriffen worden, sondern allein ihr Buch.

Zwar sei das Internet weltweit zugänglich, Frankreich aber für eine Strafverfolgung überhaupt nicht zuständig: Denn das Portal Global Law Books wird in den USA betrieben, der Buchverlag sitzt in den Niederlanden, die Autorin ist Israelin. Für die Strafanzeige in Frankreich statt in einem betroffenen Sitzland habe sie sich durch völlig sachwidriges "forum shopping" entschieden: weil sie dort offensichtlich die höchsten Erfolgsaussichten und geringsten Kosten vermutete. Sie habe das Pariser Tribunal materiell- wie verfahrensrechtlich missbräuchlich in Anspruch genommen.

Insoweit erweist sich das Urteil international wegweisend für die Verfolgung (angeblicher) Straftaten im Internet. Dabei stellt es zudem klar, dass wissenschaftliche Buchkritik vor persönlichen Empfindlichkeiten nicht zu kuschen braucht.

Der Autor Hermann Horstkotte arbeitet als selbständiger Journalist mit Schwerpunkt Hochschulthemen in Bonn. Er ist zugleich Privatdozent an der Technischen Hochschule Aachen.

 

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Zitiervorschlag

Hermann Horstkotte, Der Fall Weiler vs. Calvo-Goller: Mehr als eine Frage der "Ehre oder Schande" . In: Legal Tribune Online, 05.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2700/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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