Der Fall Oscar Pistorius: Behinderte Athleten - bevorzugt oder diskriminiert?

von Dr. Florian Weichselgärtner

03.09.2012

"Das war kein faires Rennen", klagte Pistorius, nachdem er bei den Paralympics im 200 Meter-Finale überraschend nicht Gold holte. Es ist beinahe ironisch, nachdem zuletzt ihm Wettbewerbsvorteile durch seine Prothesen vorgeworfen wurden – allerdings im Wettkampf der Nichtbehinderten. Dennoch durfte der "Blade Runner" auch an den Olympischen Spielen teilnehmen. Mehr davon wünscht sich Florian Weichselgärtner.

London 2012: Der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius schreibt Sportgeschichte. Weniger wegen seines Weltrekords von 21,30 Sekunden auf 200 Meter bei den Paralympics, den er im Finale nicht wieder erreichen konnte. Vielmehr nahm er Wochen zuvor bereits an den Olympischen Sommerspielen, also dem Wettkampf der Nichtbehinderten teil. Dort lief er gegen nichtbehinderte Sprinter und schaffte es als erster beinamputierter Athlet bis ins Halbfinale.

Zugleich löst er durch seine Teilnahme an den Wettkämpfen der nichtbehinderten Athleten eine Grundsatzdiskussion aus: Ist die Integration behinderter Sportler zu fördern oder verstößt die Aufhebung der strikten Trennung zwischen den Wettkämpfen der behinderten und nichtbehinderten Athleten gegen elementare Grundsätze des Sports?

Die Befürworter einer strikten Trennung zwischen den Wettkämpfen der behinderten und nichtbehinderten Athleten argumentieren, diese sei notwendig, um die Chancengleichheit der nichtbehinderten Athleten zu wahren. Oscar Pistorius wirft man dabei konkret vor, er habe aufgrund seiner Carbonprothesen gegenüber nichtbehinderten Läufern einen klaren Wettbewerbsvorteil. Im Gegensatz zu Sportlern ohne diese Carbonprothesen könne er erheblich an Tempo zulegen, da ihn das Laufen mit Prothesen muskulär weniger stark belaste als das ebenso schnelle Sprinten auf zwei gesunden Beinen. Es wäre daher gegenüber den nichtbehinderten Athleten unfair, wenn Oscar Pistorius mit seinen Sprungfedern an deren Wettkampf teilnehmen dürfe, so die Argumentation.

Internationaler Sportgerichtshof erlaubt Teilnahme auch an den Olympischen Spielen

Dabei hat sich der Internationale Sportgerichtshof (CAS) schon 2008 umfassend mit der Frage beschäftigt, ob der Einsatz von Carbonprothesen dem "Blade Runner" gegenüber anderen Sprintern einen Vorteil verschafft. Am Ende ließ das Sportgericht den Athleten zu dem Wettkampf der nichtbehinderten Kollegen zu.

Zuvor hatte der Weltleichtathletikverband IAAF Pistorius mit Verweis auf die IAAF-Regelung 144.2 von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Die Vorschrift verbietet den Einsatz vorteilsbringender Hilfsmittel. Mit Schiedsurteil vom 16. Mai 2008 stellte der CAS aber fest, dass die Carbonprothesen für Pistorius keinen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen.

Im Gegenteil: Der CAS kam letztlich zu dem Ergebnis, dass die Benutzung der Carbonprothesen in einer Gesamtbetrachtung sogar nachteilig sei. Der Sportgerichtshof warf dem Weltleichtathletikverband IAAF vor, er habe nur diejenige Phase begutachtet, die für den Südafrikaner vorteilhaft sei, die Beschleunigungsphase dagegen, innerhalb derer die Prothesen nachteilig seien, habe der Verband – womöglich bewusst – nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund verlor der Weltleichtathletikverband IAAF das Verfahren vor dem CAS und musste Pistorius die Teilnahme am Wettkampf der nichtbehinderten Athleten gestatten.

Kampf gegen Diskriminierung – außer im Sport?

Zwar ist einzugestehen, dass Vorschriften wie die IAAF-Regel 144.2 unumgänglich sind, um die Chancengleichheit zu wahren. Allerdings ist das Verfahren von Oscar Pistorius ein Paradebeispiel dafür, dass behinderte Sportler oft mit pauschalen Einwänden vom Wettkampf der nichtbehinderten Athleten fern gehalten werden.

Pauschal deswegen, weil die Einwände meist nicht zutreffen, die betroffenen Athleten aber mit dem Beweis belastet werden, das Gegenteil zu belegen. Im Fall Pistorius führte dies dazu, dass er aufgrund des Rechtsstreits mit dem Weltleichtathletikverband IAAF zunächst nicht an den Olympischen Sommerspielen in Peking teilnehmen konnte.

Es ist erstaunlich. Immerhin bemüht man sich in der Berufswelt – nicht zuletzt wegen diskriminierungsrechtlicher Vorschriften wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – um die Integration behinderter Menschen. Das Gesetz verbietet ausdrücklich die unmittelbare und mittelbare Benachteiligung aufgrund einer Behinderung. Im Sport dagegen will man Behinderte vom Wettkampf der Nichtbehinderten ausschließen. Die Rechtfertigung des Ausschlusses ist dabei vielfach kritisch zu hinterfragen.

Sport zur effektiven Integration

Aber es gibt auch Beispiele für gelungene Integration behinderter Sportler. Nachdem man feststellte, dass Schützen, die aufgrund einer SH1-Behinderung nur sitzend schießen können, gegenüber stehenden Schützen keinen Vorteil haben, beschloss der Deutsche Schützenbund (DSB) umgehend eine Änderung des Ligensystems.

Seither erhalten alle Behindertensportler der Schadensklasse SH1 für das Ligensystem des Deutschen Schützenbundes die volle Startberechtigung. Bis hin zur Bundesliga können sie nun in der Kategorie Luftgewehr und Luftpistole gleichberechtigt gegen gesunde Athleten antreten. Der DSB betonte damals, dass der Verein das Thema der Integration behinderter Athleten sehr ernst nehme.

Eine derart aufgeschlossene, moderne Denkweise wäre auch in einigen anderen Sportarten wünschenswert. Die Integration ist ein wichtiger Bestandteil unserer modernen Gesellschaft.  Und d er Sport ist eine der effektivsten Integrationsmöglichkeiten.

Der Autor Dr. Florian Weichselgärtner ist Rechtsanwalt bei Beiten Burkhardt in München. Er war selbst lange Zeit professioneller Basketballspieler und veröffentlichte unter anderem  das Werk "Das AGG im Leistungssport – Diskriminierungen im Sport".

Zitiervorschlag

Der Fall Oscar Pistorius: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6989 (abgerufen am: 11.10.2024 )

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