Der amerikanische Albtraum Teil 2: Eine transat­lan­ti­sche Ver­fas­sungs­krise?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Franz C. Mayer, LL.M. (Yale)

27.02.2025

Die neue US-Regierung missachtet nicht nur das eigene Recht, sondern auch das Völkerrecht. Tritt Europa Donald Trump nicht entschieden entgegen, dann wird "lawlessness" nicht auf die USA beschränkt bleiben, warnt Franz C. Mayer.

Dies ist eine Fortsetzung. Teil 1 des "amerikanischen Albtraums" lesen Sie hier.

Nicht nur im Innern handelt die neue Regierung unter Donald Trump unter Missachtung rechtlicher Vorgaben. Vielmehr spiegelt sich diese "lawlessness" nach außen in zahlreichen übergriffigen außen- und handelspolitischen Äußerungen Trumps in den ersten Amtstagen. Unter offener Missachtung der völkerrechtlichen Souveränität wurde Kanada der baldige Anschluss an die USA als 51. Bundesstaat nahegelegt. Den kanadischen Premierminister Justin Trudeau bezeichnet Trump neuerdings nur noch als "Governor". Mit der Begründung, es gehe um amerikanische Sicherheitsinteressen, beanspruchte Trump von Panama die Kontrolle über den Kanal – und von Grönland gleich das ganze Land. Den Einsatz militärischer Mittel schließt Trump dabei ausdrücklich nicht aus. Dies widerspricht tragenden Grundsätzen des Nachkriegsvölkerrechts, dem Gewaltverbot und dem Interventionsverbot, wie Völkerrechtler zu Grönland und Panama gegenüber LTO bereits eingeordnet haben.

Für Gaza schlägt Trump die "Umsiedlung" der Bevölkerung vor, sieht die Lösung für den Nahost-Konflikt offenbar in Immobilienprojekten mit Meeresblick. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker interessiert ihn ersichtlich nicht. Völkerrechtlich entspricht dies einer zwangsweisen Vertreibung, die verschiedene völkerstrafrechtliche Tatbestände erfüllt.

Der Internationale Strafgerichtshof, die Verstetigung der einst von den Amerikanern mit dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal angestoßenen Entwicklung zu einem Völkerstrafrecht, wird von Trump mit Sanktionen und Drohungen überzogen, die sich sogar gegen konkrete Bedienstete richten. Damit gefährdet die US-Administration absichtlich die Funktionsfähigkeit des Gerichts.

Gegen Kanada und Mexiko werden Pauschalzölle verhängt, ebenso gegen die EU und China. Dass die USA damit das Welthandelsrecht und das Freihandelsabkommen USMCA mit Mexiko und Kanada schlicht ignorieren, ist Trump gleichgültig.

Auf der Seite des Aggressors

Bereits in der ersten Amtszeit Trumps kamen Zweifel auf, ob er sich im Falle eines russischen Angriffs auf einen NATO-Staat, etwa im Baltikum, an die Bündnisverpflichtung aus Art. 5 NATO-Vertrag halten würde. Im Wahlkampf ermutigte er Russland sogar zum Angriff auf zahlungssäumige NATO-Staaten. Beunruhigend ist in diesem Kontext, dass Trump sich weigert, die völkerrechtswidrige russische Aggression gegen die Ukraine klar als solche zu benennen. Dies ist deswegen so dramatisch, weil das umfassende Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta) eine der zentralen Errungenschaften des Völkerrechts nach 1945 ist. Auch wenn es seither vielerorts bewaffnete Konflikte gegeben hat: Das gewaltsame Verschieben von territorialen Grenzen ist heutzutage eben nicht mehr die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, das hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen auch im Hinblick auf die russische Aggression gegen die Ukraine mit überwältigender Mehrheit bekräftigt, allerdings nur in Gestalt einer nicht-bindenden Resolution.

Spätestens nachdem sich die Trump-Regierung am dritten Jahrestag der russischen Aggression im UN-Sicherheitsrat im Februar 2025 an der Seite des Aggressors Wladimir Putin positioniert hat, steht fest, dass das Recht für den US-Präsidenten auch in der Außendimension keinen hohen Stellenwert hat. Das umschließt nicht nur Bündnisverpflichtungen. Man wird sich allgemein nicht darauf verlassen können, dass Trump die Fundamentalnorm der regelbasierten internationalen Ordnung respektiert, nämlich dass Verträge einzuhalten sind – pacta sunt servanda.

Insgesamt erinnern die brutal vorgebrachten Territorialansprüche an längst überwunden geglaubte Zeiten. Der Umgang Trumps mit Russland und China deutet auf eine Weltsicht hin, in der die Aufteilung der Welt in Einflusszonen im Vordergrund steht. Konzepte wie Interventionsverbot, Gewaltverbot, souveräne Gleichheit der Staaten stören da nur. In Deutschland wird man an die Großraumtheorien Carl Schmitts aus den 1940er Jahren denken, mit dem "Interventionsverbot für raumfremde Mächte". Die Erfahrungen Deutschlands mit Großraumkonzepten laden weder zur Nachahmung noch zur Wiederholung ein.

Europa muss reagieren

Klar ist, dass die geopolitischen Folgen, wenn die USA als Bündnispartner de facto ausfallen, unmittelbar auch Deutschland betreffen. Wir werden uns in Europa selbst um unsere Sicherheit kümmern müssen. Immerhin waren wir damit schon einmal sehr weit, es gab 1952 bereits einen Vertrag über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft, den Deutschland auch bereits ratifiziert hat. Hier fehlen nur noch zwei Ratifikationen zum Inkrafttreten – und man könnte an diese allererste europäische Gemeinschaft anknüpfen.

Daneben bestehen bereits nach dem geltenden Unionsrecht (Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag) wechselseitige Beistandsverpflichtungen, wie sie Art. 5 NATO-Vertrag vorsieht, so dass in dieser Hinsicht ein gewisses Sicherheitsgerüst auch besteht, wenn die NATO mit einem irrlichternden amerikanischen Präsidenten de facto lahmgelegt ist.

Ist Deutschland gegen eine Verfassungskrise gewappnet?

Für das deutsche Verfassungsgefüge scheinen die Vorgänge in den USA dagegen zunächst sehr weit weg. Das Rechts- und Verfassungsdenken ist hierzulande stark geprägt von der Orientierung am Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt. Die zentrale Frage, die den Studierenden fast von Anfang an eingebläut wird, ist die nach der Ermächtigungsgrundlage. Die Hierarchie zwischen vorrangigem Parlamentsgesetz und exekutivischer Normsetzung ist dabei ziemlich klar. Fast ebenso prägend ist die durchgehende Orientierung der Juristenausbildung (im Öffentlichen Recht) am Grundrechtsschutz. Vor diesem Hintergrund erscheint in Deutschland der imperiale Ausbau und Übergriff einer Bundesexekutive kaum denkbar. Das Berufsbeamtentum und das Ressortprinzip auf der Ebene des Verfassungsrechts sowie die Koalitionsstruktur von Bundesregierungen als Realbefund machen Vorgänge wie in den USA mit politisch motivierten Massenentlassungen von Ministerialbeamten und der Abschaffung von Ministerien und obersten Bundesbehörden aus politischen Gründen ebenfalls schwer vorstellbar.

Gleichwohl zeigt die jüngste Entwicklung in den USA, dass man heute noch – oder wieder – gut daran tut, auch das Unvorstellbare zu antizipieren. Und einige Beobachtungen der jüngeren Zeit sollten zumindest nachdenklich machen.

Vorab ist klarzustellen: Insgesamt sind die verfassungsrechtlichen Grenzlinien hierzulande im Vergleich zu den USA noch recht eindeutig und werden respektiert. So hat es beispielsweise strukturelle Umbauten im Regierungsapparat auch in Deutschland immer wieder gegeben. Gerade die derzeit unter Trump vorangetriebene Eingliederung der Entwicklungshilfe in das Außenministerium wird in Deutschland bei jeder Regierungsbildung thematisiert. Aber die rechtlichen Grenzen werden eingehalten.

Das zeigt das jüngere Beispiel der Kupierung des nach der Pandemie nicht mehr allseits beliebten Robert-Koch-Instituts (RKI) anlässlich der Errichtung eines neues Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit. Die vielfach kritisierten Pläne zur Schrumpfung des RKI endeten mit der Ampel-Regierung, weil keine Mehrheit für die erforderliche parlamentsgesetzliche Regelung bestand. Das Schrumpfungsziel mit rein exekutivischen Maßnahmen durchzusetzen, schied aus – Trump hätte hier sicherlich keine Bedenken gehabt.

Auch die bessere Absicherung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie Ende 2024 noch erfolgt ist, war ein deutliches Signal für die Bereitschaft, die roten Linien von Recht und Verfassung zu respektieren und dafür auch institutionell-organisatorische Vorkehrungen zu treffen.

Auf der anderen Seite gibt es Anzeichen dafür, dass auch in Deutschland die Politisierung der Ministerialbürokratie zunimmt. Teilweise existieren übermäßig aufgeblasene Stäbe auf Minister-/Leistungsebene. So wird etwa im BMJ das, was früher noch Ministerbüro oder überschaubare Leitungseinheit war heute sogar als "Abteilung L" bezeichnet. Solche Arbeitseinheiten mit parteipolitischer Besetzung werden auf die herkömmlichen Behördenstrukturen noch draufgesetzt und überlagern die Ministerialbürokratie und ihre Expertise oder ignorieren sie gar. Hier ist die eigentlich selbstverständliche vorrangige Orientierung an den Vorgaben der Verfassung möglicherweise nicht mehr im gleichen Maße gesichert wie bei den Berufsbeamten.

Neue Bundesregierung muss Trump entgegentreten

Manches aus den USA findet hierzulande (noch) keine Entsprechung. Eine religiöse Komponente der Politik, die mit der Verbindung von Trumpismus und der christlichen Rechten mittlerweile einen an sich doch sehr weltlichen Immobilienmilliardärs messianisch derart überhöhen, dass für den Ausgewählten Wahlen eigentlich nicht mehr erforderlich sind, sehe ich in Deutschland nicht. Auch die immer offener gezeigte, vom US Supreme Court in Citizens United beförderte, heute fast schon kausale Verbindung zwischen enormem Reichtum und politischem Einfluss hat in den USA eine ganz andere Dimension als fraglos bestehende Parteispendenprobleme hierzulande.

In der jüngsten Debatte um die Migrationsfrage war der Einfluss der amerikanischen Entwicklung indessen durchaus spürbar. Bereits der Stellenwert des Themas spiegelt die amerikanische Diskussion. Die Ankündigung eines Kanzlerkandidaten, man werde gleich an Tag 1 dieses oder jenes machen, erinnert an den "Sofortismus" der Trumpschen Präsidialerlasse bei der Amtsübernahme. Vorgeblich einfache Lösungen („Recht auf Vorrang des nationalen Rechts“), einmal mehr unter Hintanstellung der unionsrechtlichen Vorgaben, folgen im Ansatz einem Politikstil, der das Recht dem demonstrativ kraftvollen Handeln unterordnet und der in den USA bereits einige Eskalationsstufen weiter zu besichtigen ist. Sollte es zutreffen, dass ein Politiker einer angehenden Regierungspartei das Problem in der Migrationsfrage zuvörderst bei den Gerichten ausmacht (Zitat: "wegen irgendeines 'Scheiß-Gerichts' gehe dies nicht"), dann sind stilistische und konzeptionelle Parallelen zur amerikanischen Entwicklung unübersehbar.

Auch die Brutalisierung der politischen Auseinandersetzung mit einer Polarisierung der Politik ist längst bei uns angekommen. Gerade nach den Erfahrungen in Polen und Ungarn gilt es, in Deutschland besonders auf politische Kräfte zu achten, die nicht nur im demokratischen Wettbewerb um die Gestaltungsmacht ringen, sondern die auch die Rahmenbedingungen der Demokratie – zu ihren Gunsten – dauerhaft verschieben wollen und einen Systemwechsel fordern. In Ungarn, Polen und nun auch in den USA (Musk und Twitter/X, Bezos und die Washington Post) lässt sich zeigen, dass die Kontrolle über Medien- und Meinungsmacht ein Aspekt dieser Rahmenbedingungen ist. Dass die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen will, ist deswegen nicht nur eine einfache Politik-Frage, die man so oder so sehen kann. Auch die Relativierung des Stellenwerts von Wissen sowie von Wissenschaft und Forschung in der politischen Debatte erweist sich mit Blick auf die USA, wo gerade ein Impfgegner Gesundheitsminister werden konnte, als Indikator für die Kontaminierung der Rahmenbedingungen der Demokratie durch die amerikanischen Entwicklungen.

Vor diesem Hintergrund war die Bundestagswahl vom Februar 2025 auch eine Selbstvergewisserung in Sachen Demokratie und Rechtsstaat, gegen den amerikanischen Trend. Deutschland hat nun gewählt. Eine Regierungsbeteiligung extremer politischer Kräfte von rechts oder links wird es auch weiterhin nicht geben. Damit ist es indessen noch nicht getan; es bedarf auch aktiver Gegenmaßnahmen. Das betrifft zuvörderst die klare Distanzierung von allen inhaltlichen, konzeptionellen oder auch nur stilistisch-habituellen Ansätzen, die auch nur im Keim in Richtung Trumpismus gehen. Der mutmaßliche neue Bundeskanzler Friedrich Merz und die von ihm voraussichtlich geführte „Große Koalition“ müssen darüber hinaus bereit sein, Trump entgegenzutreten und die europäische Gemeinsamkeit als Gegenmodell zur lawlessness nicht nur mitzutragen, sondern auch verantwortlich mitzugestalten.

Wer stattdessen als Politiker "mehr Milei und Musk wagen" will oder als Journalist, von einem Vulgärliberalismus getragen, die Zerstörung von staatlichen Institutionen gutheißt, versteht die Gefahr nicht, die für Europa von der amerikanischen Entwicklung ausgeht. Ein einiges Europa, das Demokratie und Rechtsstaat als Werte hochhält (Art. 2 EU-Vertrag) wird aus dem Trump-Lager aktiv bekämpft. Trump behauptet – wahrheitswidrig – sogar, die EU sei mit dem Ziel gegründet worden, den USA zu schaden. Dass Musk und Vance im deutschen Wahlkampf ausdrücklich die AfD unterstützten – bereits für sich genommen ein ungeheuerlicher Vorgang – erklärt sich auch daraus, dass die AfD die Partei ist, die sich mit der Forderung nach einem Austritt aus der Europäischen Union am klarsten von der europäischen Integration absetzt. In dem Ziel, die EU zu zerstören, treffen sich dann die Interessen von Nationalpopulisten diesseits und jenseits des Atlantiks. Bei Musk tritt das Motiv des unternehmerischen Eigennutzes gegen einen mächtigen Regulierer in Brüssel, die Europäische Kommission, hinzu.

Nicht nur an das politische Personal, sondern an alle richtet sich der Auftrag, die von der Trump-Präsidentschaft ausgehenden oder durch sie verstärkten Verschiebungen im Koordinatensystem der politischen Kultur nicht mitzumachen, populistische Vereinfachungen klar zu benennen und ihnen auch selbst zu widerstehen – ganz im Sinne von Benjamin Franklins Hinweis auf die Verantwortung aller für die Verteidigung der freiheitlichen Verfassungsordnung: "A republic – if you can keep it."

Prof. Dr. Franz C. Mayer ist Professor und Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtspolitik an der Universität Bielefeld.

Zitiervorschlag

Der amerikanische Albtraum Teil 2: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56692 (abgerufen am: 18.03.2025 )

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