Einen Monat nach Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump im Weißen Haus lässt sich eine Umgestaltung der Verfassungsordnung beobachten. Einige sprechen von einem Staatsstreich. Franz C. Mayer hat sich die Vorgänge näher angesehen.
Was wohl Benjamin Franklin, einer der Urheber der US-Verfassung, zur Demontage der von ihm mitgestalteten Ordnung durch eine demokratisch gewählte US-Regierung gesagt hätte? Als er nach dem Verfassungskonvent 1787 auf der Straße nach der Natur der neuen Ordnung gefragt wurde, soll er geantwortet haben: "A republic – if you can keep it." Er wusste wohl: Auf alle Zeiten garantiert ist eine Republik mit Demokratie und Rechtsstaat nicht.
Seit der Übernahme des Amtes durch Donald Trump als 47. US-Präsident am 20. Januar 2025 wird immer deutlicher, dass in den USA nicht nur ein Regierungswechsel erfolgt, sondern ein Regimewechsel, hin zu einem "American Authoritarianism". Eine Verfassungskrise baut sich auf, in der die weitgehende Zerstörung einer politischen Ordnung droht, die mehr als 240 Jahre überdauert hat.
Antworten auf die Frage nach möglichen Haltepunkten in der sich beschleunigenden verfassungspolitischen Abwärtsspirale werden immer schwieriger. Immer deutlicher wird zudem, dass der Verfassungsverfall im Inneren sich geopolitisch nach außen spiegelt. Nach der Bundestagswahl vom Sonntag stellt sich zudem die Frage, was aus den US-amerikanischen Entwicklungen für Deutschland und Europa folgt.
Präsidialerlasse als Bühnenspektakel
Der Generalangriff auf die bestehende Verfassungsordnung begann unverzüglich nach Amtsübernahme. Mit der vor Tausenden von Anhängern noch am 20. Januar 2025 von Trump als Bühnenspektakel inszenierten Unterzeichnung von mehr als 100 Präsidialerlassen (executive orders) wurde bereits deutlich, welche Merkmale der Angriff auf die amerikanische Demokratie hat.
Da ist zunächst die Überwältigung durch Quantität: Die Flut von Erlassen hat einen Eigenzweck, als Prinzip des "flood the zone". Durch die Anzahl und Geschwindigkeit der Erlasse soll politische Gegenrede weitgehend verunmöglicht und juristische Gegenwehr erschwert werden. Entsprechend ist es vorliegend auch nicht möglich, die Vielzahl von Grenzüberschreitungen durch diese Präsidialerlasse auch nur im Einzelnen aufzuzählen. Etliches richtet sich an die in ideologischen Schützengräben eines selbsterklärten Kulturkriegs tief eingegrabene Kernwählerschaft von Trumps "MAGA"-Bewegung.
Das gilt etwa für die Anordnung, dass nur noch zwei Geschlechter gelten sollen, männlich und weiblich, die zahlreichen gegen Zuwanderung gerichteten Maßnahmen wie etwa die Verhängung eines militärischen Notstandes an der mexikanischen Grenze oder die durchgehende Ausmerzung von "DEI". Das steht für Diversity, Equity and Inclusion und beschreibt die Förderung von Benachteiligten und Minderheiten. An diese Verfügungen knüpfen sich zahlreiche rechtliche und organisatorische Folgen, von der Auflösung von Antidiskriminierungsstellen bis zum Abbruch der Förderung von Forschungsprojekten mit DEI-Bezug, in deren Beschreibung Schlüsselworte wie "female", "disability", "LGBT" auftauchen. Ideologisch aufgeladen war sicher auch die pauschale Begnadigung durch den US-Präsidenten aller wegen der Vorgänge vom 6. Januar Angeklagten auch bei schwersten Straftaten und Schuldeingeständnis.
Gesetze werden ignoriert, Gelder eingefroren, Beamten entlassen
Paradigmatisch für das den Präsidialerlassen nach Amtsübernahme zugrundeliegende hochproblematische Amts- und Selbstverständnis Trumps einer imperialen, keinen Einschränkungen ausgesetzten Präsidentschaft ist die Anweisung an das Justizministerium, das Verbot von TikTok 75 Tage lang nicht durchzusetzen. Dies unterläuft ein Parlamentsgesetz, das TikTok den Betrieb in den USA untersagt.
Auch etliche vom Parlament genehmigte Ausgaben wurden eingefroren, was gegen gesetzliche Vorgaben verstößt. Die medizinische Forschung an den National Institutes of Health im Umfang vieler Milliarden Dollar wurde auf Halt gestellt. Die US-Entwicklungshilfeagentur USAID wurde aufgelöst, obwohl diese auf einer parlamentsgesetzlichen Grundlage beruht. Die Leiter interner Kontrolleinheiten für Verwaltungsagenturen (inspectors general) wurden unter Verletzung der gesetzlichen Verfahrensvorgaben entlassen.
Es wurden darüber hinaus zahlreiche Entlassungen von Bundesbediensteten verfügt, ohne dass die bestehenden gesetzlichen Vorschriften, etwa zur Anhörung vor dem Merit System Protection Board, eingehalten wurden.
Entlassen wurden unter anderen auch die Bundesstaatsanwälte, die in dem Verfahren gegen Donald Trump wegen seiner Rolle bei den Angriffen auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beteiligt waren. In allen möglichen Bundesbehörden, von der Nationalparkverwaltung über die Veteranenverwaltung bis zur Flugaufsicht, wurden offenbar wahllos sofortige Entlassungen angeordnet.
Diese Beliebigkeit hatte zum Teil groteske Folgen, wenn etwa die für nukleare Sicherheit Verantwortlichen oder die an einer Eindämmung von grassierenden Tierseuchen arbeitenden Bediensteten zunächst gefeuert und dann nach Erfassen der Folgen dieser Entlassungen – soweit noch verfügbar – sofort wieder eingestellt wurden.
Milliardär mit Generalschlüssel und Kettensäge
Besonders irritierend ist bei den internen Umbauten der Ministerial- und sonstigen Bundesverwaltung die Rolle von Elon Musk. Der Milliardär und Eigentümer der Plattform X fungiert unter Trump als Leiter einer Einheit zur Verwaltungsreform (DOGE). Dabei sind weder für das DOGE noch für Musk selbst (derzeit ein sog. special government employee) Status und Befugnisse abschließend geklärt. Trotz unklarer Befugnisgrundlage haben Musk und sein Team unbegrenzten Zugang zur gesamten Ministerial- und Bundesverwaltung. Dies ohne jede Sicherheitsüberprüfung oder Senatsbestätigung und trotz zahlreicher Interessensverflechtungen über Musks zahlreiche Unternehmen und deren Geschäftsbeziehungen mit der US-Regierung.
Milliardäre wie Musk oder Trump sind nicht auf einen funktionierenden Staat angewiesen, sie können sich von Sicherheit bis Gesundheit alles kaufen. Diese Leute mit einer Staatsreform zu betrauen, erscheint völlig fernliegend.
Entsprechend erscheint DOGE im Wesentlichen nicht nur mit der Kettensäge, sondern entsprechend der Trumpschen Neigung zu Ansätzen aus der Immobilienwirtschaft mit der Abrissbirne unterwegs zu sein. Es besteht das ernsthafte Risiko, dass am Ende eine in vielen Bereichen dysfunktionale Bundesverwaltung übrigbleibt.
Offene Missachtung von Verfahren und Zuständigkeiten
Gemeinsamer Zug fast aller Maßnahmen ist die offene Missachtung von Verfahren und Zuständigkeiten. Dies macht auch vor der Verfassung nicht halt. So soll nach einem Präsidialerlass der 14. Verfassungszusatz entgegen seinem Wortlaut nicht mehr so verstanden werden, dass auch Kinder von Personen ohne legalen Aufenthalt nach der Territorialprinzip bei Geburt in den USA die amerikanische Staatsangehörigkeit erwerben (birthright citizenship). Trump weist die Behörden an, solchen Kindern keine die Staatsangehörigkeit bestätigenden Dokumente, wie z. B. Sozialversicherungsausweise, auszustellen.
In diesen Kontext gehören auch die sich wiederholenden Andeutungen Trumps dazu, sich nicht an die Amtszeitbegrenzung (zwei Wahlperioden, so der 22. Verfassungszusatz) gebunden zu sehen. Auszuschließen ist nicht, dass Trump den eigentlich klaren Verfassungswortlaut entsprechend umdeuten wird.
All dies ergibt das Bild eines transformativen Umbaus der bestehenden Ordnung, der in Thinktanks konzeptionell ("Project 2025") und personell vorbereitet wurde. Es geht dabei – wie bereits in Ungarn und Polen zu besichtigen war – darum, den äußeren Rahmen, der dem demokratischen Wettstreit gesetzt ist, so zu verändern, dass man die Macht nicht mehr abgeben muss. Dies betrifft Wahlverfahren, Institutionen, aber auch Medienmacht. Hier rücken wieder Musk und die Rolle des von ihm übernommenen Kurznachrichtendienstes Twitter in den Blick, den er dann in "X" umbenannte.
Die Verfassungsordnung ist nicht auf ihre Missachtung vorbereitet
Eine nennenswerte Gegenwehr gesellschaftlicher Kräfte findet bisher kaum statt. Dies könnte sich perspektivisch vielleicht verändern, wenn Trump weiterhin die Bekämpfung der hohen Lebenshaltungskosten, für viele vermutlich entscheidendes Motiv für die Wahl von Trump, weiterhin nicht prioritär und nicht effektiv angeht.
Vorrangig ist das Ziel ein Regimewechsel. Rechtliche Bedenken stören dabei nur. Eine der zentralen Figuren im Trumpschen Machtapparat ist Russell Vought, nun Leiter des Office of Management and Budget, der zentralen Haushaltsbehörde. Er betont, dass der Präsident (Trump) seine Entscheidungen ohne Einwände von Juristen treffen können muss (wörtlich: "I don’t want President Trump having to lose a moment of time having fights in the Oval Office about whether something is legal").
Was ist mit den checks and balances der US Verfassung? Die in der Verfassung eingebauten Sicherungen beruhen auf der Annahme einer Gewaltenteilung, die sicherstellt, dass Gewalten sich wechselseitig in Schach halten. Dass die Judikative (Supreme Court) und die Legislative (Kongress) als Kontrolleure der Exekutive derart ausfallen, wie derzeit zu besichtigen ist, hat die Verfassung nicht antizipiert. Die für ein erfolgreiches Amtsenthebungsverfahren nach Art. I Abs. 3 Unterabs. 6 der US-Verfassung (impeachment) erforderliche Zweidrittelmehrheit im Senat ist nicht in Sicht. Während der ersten Amtszeit Trump waren zwei Impeachment-Verfahren gescheitert.
Mit einer Pseudotheorie von der "unitary executive", der einheitlichen Exekutivgewalt, haben konservative Extremkräfte einen Argumentationsfundus zusammengebastelt, aus dem in diesem Kontext geschöpft wird und der die Gewaltenteilung unterläuft. Flankiert wird diese durch die jüngste Rechtsprechung des US Supreme Court zur absoluten Immunität des US-Präsidenten.
Als Barrieren gegen eine übergriffige Präsidialmacht gelten nach dem Ausfall des Parlaments vor allem noch die Bundesgerichte in ihrer Breite sowie die föderale Struktur der USA, in der die Einzelstaaten machtvolle Akteure sind.
Bundesgerichte als Hoffnungsträger?
Tatsächlich ist Trump mit etlichen Vorhaben bereits von Bundesgerichten vorläufig gestoppt worden. Ein litigation tracker zählt einen Monat nach Trumps Amtsantritt 80 anhängige Gerichtsverfahren. Die Bundesebene verfügt über ein von den Einzelstaaten getrenntes mehrinstanzliches Gerichtssystem, in dem fast jeder Fall vor der Bundesinstanzgerichtsbarkeit beginnt. Der US Supreme Court kommt erst am Ende ins Spiel. Mithin ist die Reaktion der erstinstanzlichen Bundesgerichte (im Eilrechtsschutz) von erheblicher Bedeutung.
Der Versuch, den 14. Verfassungszusatz umzudeuten und Kindern von Zuwanderern die US-Staatsangehörigkeit zu verweigern, ist von Bundesgerichten in acht verschiedenen Bundesstaaten gestoppt worden. Bisher erschien dabei vielen die Parteilichkeit des Supreme Court als größtes Risiko einer Verlagerung des Kampfes um Rechtsstaat und Demokratie vor die Gerichte. In den vier Jahren seiner ersten Amtszeit hat Trump allein drei der derzeitigen neun Richter ernannt; die konservative Mehrheit im Gericht liegt bei sechs Richtern. Sicherlich spekuliert Trump bei einigen seiner Vorhaben wie etwa dem Ausschluss von bestimmten Zuwandererkindern vom Staatsangehörigkeitserwerb auf eine ihm folgende Richtermehrheit im Supreme Court und die möglichst schnelle Befassung des Höchstgerichts.
Mittlerweile ist das deutlich beunruhigendere Szenario, dass Trump Gerichtsentscheidungen einfach gar nicht befolgt, als Ausdruck eines radical constitutional change. Dies könnte wiederum Gerichte bis sogar zum Supreme Court dazu veranlassen, aus Furcht vor dem Verlust der eigenen Relevanz Trump weit entgegenzukommen. Oder in den offenen Konflikt zum Präsidenten zu geraten. Äußerungen von Trump ("He who saves his Country does not violate any Law") und Vizepräsident Vance ("judges aren't allowed to control the executive's legitimate power") lassen jedenfalls deutlich erkennen, dass die Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen nicht garantiert ist.
Der Föderalismus als Bollwerk?
Neben der Bundesgerichtsbarkeit sind es die Einzelstaaten, auf die es ankommen wird, um Trumps Streben nach ungebremster Macht Einhalt zu gebieten. So haben die noch durch Demokraten regierten Einzelstaaten durch koordinierte Klagen vor den Bundesgerichten begonnen, eine wichtige Taktgeberrolle im Kampf um das Recht einzunehmen.
Die Trump-Regierung hat das erkannt und versucht, mit Strategien entgegenzusteuern, die eigentlich eher an die Welt des organisierten Verbrechens erinnern. Zu nennen ist die Einschüchterung von Gouverneuren durch Androhung von Nachteilen (Klagen wegen Behinderung der Migrationsbehörden). Daneben versucht man es mit Absprachen an den Regierungen der Einzelstaaten vorbei. Beispiel für Letzteres ist der mutmaßliche Zusammenhang zwischen der Aussetzung – nicht Beendigung – der Bundesermittlungen gegen den Bürgermeister von New York wegen Korruption und der Zusage, in New York Maßnahmen der Einwanderungsbehörde zu unterstützen. Etliche zum Teil ausgewiesen konservative Bundesstaatsanwälte haben die Vorgaben der neuen Hausleitung nicht mittragen wollen und lieber den Dienst quittiert.
Insgesamt ergibt sich nach knapp einem Monat der zweiten Amtszeit von Donald Trump der Eindruck einer tiefgreifenden Umgestaltung der Verfassungsordnung, die mit dem Ziel einer Akkumulation von Macht beim Präsidenten für manche bereits erste Züge eines Staatsstreichs – von oben – trägt.
Wie diese Entwicklung über die Grenzen der USA hinauswirkt und insbesondere auch Folgen für Deutschland und Europa zeitigt, wird in Teil 2 dieses Beitrags näher beleuchtet werden. Dieser erscheint in den kommenden Tagen.
Aktualisierte Fassung vom 25.02.2025, 21:48 Uhr: Die Sätze zum Impeachment-Verfahren wurden hinzugefügt (mk).
Prof. Dr. Franz C. Mayer ist Professor und Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtspolitik an der Universität Bielefeld.
Der amerikanische Albtraum Teil 1: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56670 (abgerufen am: 18.03.2025 )
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