In manchen Ländern ist die Dashcam aus dem Verkehrsalltag nicht mehr hinwegzudenken, während die deutschen Verkehrsteilnehmer weiterhin eher zurückhaltend sind. Auch weil die Rechtsprechung nach wie vor uneinheitlich ist.
In Hongkong ist es gang und gäbe: In einem jeden Taxi fährt auch die Dashcam mit und filmt während der gesamten Fahrt das Verkehrsgeschehen. Ebenso in vielen Privatfahrzeugen und an Fahrrädern. Dieser ursprünglich aus Russland hinübergeschwappte Trend ist in vielen Ländern nicht mehr aus dem Verkehrsalltag hinwegzudenken.
Der Grund der starken Verbreitung liegt auf der Hand: Es klingt verlockend mit einer Videokamera das Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers zu filmen und hierbei den Beweis in seiner Hand und das Recht auf seiner Seite zu wissen. Jedoch nur solange die Nutzung der Minikameras auch tatsächlich vom Recht gedeckt und unbedenklich ist.
Und das ist in Deutschland alles andere als eindeutig. Seit Jahren wird über die Zulässigkeit der Minikameras sowie über die Verwertbarkeit der Aufnahmen vor Gericht diskutiert. Dabei geht es um die Vereinbarkeit mit dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und dem Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) sowie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs.1 des Grundgesetzes (GG).
Wer Dashcams verwendet, möchte hingegen schlicht wissen, ob er im Ernstfall eines Unfalls die gemachten Aufnahmen als Beweis vor Gericht anbringen darf. Bisher gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung zur Verwertbarkeit von Dashcam-Videoaufnahmen und die Rechtsprechung der Instanzgerichte ist uneinheitlich.
Mal zulässig, mal nicht, mal anlassbezogen
So hat das Amtsgericht München am 06. Juni 2013 die Verwertbarkeit der von einem Fahrradfahrer mit einer Minikamera aufgenommenen Videoaufzeichnung für zulässig erachtet (AG München, Urt. v. 06.06.2013 - Az.: 343 C 4445/13), während dasselbe Gericht in einem Hinweisbeschluss vom 13. August 2014 die Auffassung vertreten hat, dass die Bestimmungen des Datenschutzrechts und des Kunsturhebergesetzes einer Verwertung der Videoaufnahmen entgegenstehen (AG München, Hinweisbeschluss v. 13.08.2014 – Az.: 345 C 5551/14).
Auch das Landgericht Heilbronn entschied, dass die mittels einer Autokamera angefertigten Aufnahmen im Zivilprozess nicht als Beweismittel für den Unfallhergang verwertet werden dürfen (LG Heilbronn, Urt. v. 03.2.2015 - Az.: I 3 S 19/14).
Das Landgericht München vertrat wiederum die Auffassung, dass eine Verwertung der Dashcam-Videoaufnahmen im Zivilprozess zulässig sei, wenn diese Aufnahmen nur anlassbezogen erfolgen und sichergestellt ist, dass diese nach einer bestimmten Zeit wieder gelöscht oder zumindest überschrieben werden (LG München I, Beschl. vom 14.10.2016, Az.: 17 S 6473/16).
Jedenfalls geht es um eine Interessenabwägung
Zu einer Zulässigkeit der Verwertung von Dashcam-Aufnahmen gelangten auch das Amtsgericht Nienburg (AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – Az.: 4 DS 520 Js 39473/14) und das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 - Az.: 4 Ss 543/15) - jedoch nur in eng zu setzenden Grenzen.
Diese Grenze besteht nach Auffassung des AG Nienburg aus der Anlassbezogenheit der Aufnahme und einer vorzunehmenden Interessenabwägung. So wurde die Dashcam im zugrundeliegenden Fall erst nach dem sehr dichten Auffahren des Angeklagten eingeschaltet und sogleich nach Ende des Geschehnisses wieder ausgeschaltet.
Die Interessenabwägung des Gerichts ergab, dass das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung überwiege, zumal die gemachte Aufzeichnung sehr kurz und rein anlassbezogen war und der Angeklagte nicht direkt zu sehen gewesen sei. Auch das OLG Stuttgart hebt in seiner Entscheidung die Erforderlichkeit einer Einzelfallabwägung der widerstreitenden Interessen hervor.
Insofern ließ sich in den letzten Jahren eine Tendenz dahingehend erkennen, dass die Verwertung von Dashcam-Aufnahmen zulässig ist, soweit nur eine anlassbezogene Videoaufnahme stattgefunden hat und das Interesse an der Verwertbarkeit der Videoaufnahmen im Rahmen einer Interessenabwägung überwiegt.
2/2 Waren die Aufnahmen rechtswidrig, droht ein Bußgeld
Zuletzt verurteilte jedoch das Amtsgericht München eine Frau zu einer Geldbuße von 150 Euro, da diese ihren Pkw vorne und hinten mit einer Videokamera ausgestattet und laufend das Verkehrsgeschehen aufgenommen und gespeichert hat (AG München, Urt. v. 09.08.2017 - Az.: 1112 OWi 300 Js 121012/17). So konnte diese auch aufzeichnen wie ein anderes Fahrzeug den parkenden Pkw der 52-jährigen Frau touchierte und beschädigte, wobei auch mindestens drei weitere Fahrzeuge aufgezeichnet wurden.
Die Frau übergab die Videoaufnahme der Polizei als Beweismittel und trug vor, dass die Fahrer der Fahrzeuge auf den Bildern nicht zu erkennen seien und keine schützenswerten Daten gespeichert worden wären. Dies sah das Amtsgericht München jedoch anders. Es entschied, dass im vorliegenden Fall das permanente und anlasslose Überwachen des Straßenverkehrsraums gegen § 6b Abs. 1 Nr.3 BDSG sowie gegen § 22 S.1 KunstUrhG verstoße und zugleich die Gefilmten in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs.1 GG verletze. Dieses Recht überwiege das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung einer potenziellen Straftat.
Auch das VG Göttingen entschied mit Urteil vom 31. Mai 2017 über einen ähnlich gelagerten Fall und urteilte zum Nachteil des als "Knöllchen-Horst" bekannt gewordenen und selbsternannten Privatermittlers. Er hatte sein Fahrzeug vorne und hinten mit Minikameras ausgestattet und den Verkehrsraum dauerhaft aufgenommen. Sein Ziel war es, die Verkehrsverstöße anderer Verkehrsteilnehmer aufzuzeichnen und zur Anzeige zu bringen (VG Göttingen, Urt. v. 31.05.2017 - Az.: 1 A 170/16).
Demgegenüber geht das Oberlandesgericht Nürnberg in seinem Hinweisbeschluss vom 10. August 2017 wiederum von einer Verwertbarkeit der Videoaufnahmen im Ergebnis aus (Az.: 13 U 851/17). Das OLG Nürnberg geht hierbei sogar einen Schritt weiter als die letztjährigen Entscheidungen des LG München und AG Nienburg und vertritt die Auffassung, dass es auch grundsätzlich nicht darauf ankäme, wie lang der Aufzeichnungszeitraum vor dem Unfall war.
Weniger widersprüchlich als man meinen könnte
Auf den ersten Blick scheinen die jüngsten Entscheidungen des AG München und VG Göttingen wieder auf eine Unverwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen hinzudeuten. Gegenstand beider Entscheidungen waren jedoch anlasslose und dauerhafte Videoaufzeichnungen – dass die für unzulässig erklärt wurden, widerspricht nicht unbedingt den Dashcam-freundlichen Entscheidungen.
Das Kriterium der Anlassbezogenheit scheint sich auch in Anbetracht dieser Rechtsprechung zu manifestieren, ebenso wie die Interessenabwägung. Es lässt sich auch weiterhin die Tendenz erkennen, dass die Gerichte das Interesse des Betroffenen an der Verwertbarkeit der Videoaufnahmen bei schwerwiegenden Unfällen oder Verkehrsverstößen eher als überwiegend bewerten.
Zu den bisherigen Unsicherheiten treten, auch in Anbetracht der jüngsten Entscheidung des OLG Nürnberg, aber weitere Fragen und Unklarheiten hinzu: Ab wann ist eine Videoaufnahme anlassbezogen? Ab welchem Zeitpunkt darf die Kamera eingeschaltet werden? Und wann hat eine Aufnahme zu enden?
Von einer einheitlichen Instanzenrechtsprechung kann nach wie vor keine Rede sein. Es bedarf einer höchstrichterlichen Entscheidung, um für den potentiellen Verwender der sogenannten Dashcam einen klaren und transparenten Rechtsrahmen abzustecken.
Prof. Dr. Christian Wolf ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover, Nadja Flegler ist an diesem Lehrstuhl wissenschaftliche Assistentin.
Prof. Dr. Christian Wolf und Nadja Flegler, Dashcams im Straßenverkehr: Darf ich oder darf ich nicht? . In: Legal Tribune Online, 03.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25365/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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