Ende Juni hat der Bundestag das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten neugefasst. Eine wenig ambitionierte Verbesserung, die dazu führen wird, dass Investoren auch weiterhin ihr Recht in New York und Amsterdam suchen werden, meint Axel Halfmeier.
Das deutsche Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), das geschädigten Anlegern die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtern soll, indem es Musterverfahren wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen ermöglicht, hängt auch in der Version 2.0 anderen Staaten beim kollektiven Rechtsschutz deutlich hinterher.
Im Wettbewerb der Justizstandorte allen voran sind vor allem die Niederlande, die konzeptionell mutige Instrumente einsetzen. Etwas mehr Mut hätte man sich auch bei der Neufassung des deutschen KapMuG gewünscht – etwa die Ausweitung auf weitere Rechtsgebiete sowie die Umgestaltung zu einer Gruppenklage im Opt-In oder Opt-Out-Modus. All das blieb aus.
Stattdessen fügte der Gesetzgeber dem KapMuG einige Zinnen und Türmchen hinzu, besserte defekte Teile aus und baute am Ende gleich wieder eine Befristung ein. Diesmal auf acht Jahre, um noch mehr Erfahrungen sammeln zu können und dann erneut weiterzubasteln.
Opt-Out beim Vergleich, aber nur für die Beteiligten
Eine Neuheit ist der Opt-Out-Vergleich. Er orientiert sich ein wenig am niederländischen Vorbild: Musterkläger und Musterbeklagter machen einen Vergleichsvorschlag, der dann vom Gericht inhaltlich geprüft und genehmigt wird. Anschließend erhalten die Beteiligten die Möglichkeit, aus den Vergleichsverhandlungen auszutreten, wenn sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind.
Anders als in den Niederlanden wirkt der KapMuG-Vergleich aber nur für die Beteiligten des Musterverfahrens, während er nach niederländischem Recht für sämtliche Anspruchsinhaber ohne Rücksicht auf eine Klageerhebung gilt.
Dieser kleinteilige Ansatz des KapMuG geht auf Kosten der gesellschaftlichen Wirkungskraft: Nach niederländischem Recht gilt ein Vergleich etwa in einer Kapitalmarktsache für alle geschädigten Aktionäre; nach dem KapMuG nur für diejenigen, die bereits geklagt haben, alle anderen gehen leer aus. Der Anreiz zum rechtskonformen Verhalten ist damit in den Niederlanden deutlich höher.
Anspruchsanmeldung im laufenden Verfahren möglich
Neu ist auch, dass Betroffene ihre Ansprüche während eines laufenden Musterverfahrens anmelden können. Das ist eine stark abgespeckte Version der von vielen Autoren vorgeschlagenen "einfachen Teilnahme": Der Anmelder wird nicht Partei im laufenden Verfahren, die Entscheidung im Musterverfahren entfaltet für ihn auch keine rechtliche Wirkung.
Immerhin hemmt die Anmeldung seiner Ansprüche aber die Verjährung und ist einfacher und kostengünstiger als eine Klageerhebung. Für Klägeranwälte bietet sich die Möglichkeit, den Pool der Anspruchsteller zu erweitern; man wird sehen, ob dieses Potential in der Praxis genutzt werden kann.
Der beschränkte Anwendungsbereich des Gesetzes – im Wesentlichen auf das Kapitalmarktdeliktsrecht – ist in seiner historischen Zufälligkeit erhalten geblieben. Auslöser des KapMuG war der Telekom-Prospekthaftungsprozess mit etwa 16.000 Klägern, der nach über zehn Jahren immer noch nicht beendet ist und beim Bundesgerichtshof der weiteren Bearbeitung harrt.
Weiterhin kein kollektiver Rechtsschutz für andere Geschädigte
Warum aber Kapitalanleger gegenüber etwa massenweise geschädigten Versicherungskunden nun für weitere acht Jahre privilegiert bleiben sollen, ist schlichtweg unverständlich.
Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich des neuen KapMuG nur ein klein wenig erweitert. Kapitalanleger können künftig auch Ansprüche wegen mangelnder Aufklärung über fehlerhafte Kapitalmarktinformationen in einem Musterverfahren durchsetzen. So können also auch entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) vertragliche Ansprüche gegen Banken nach dem KapMuG verhandelt werden.
Diese Änderung wirft allerdings ein neues Problem auf: Warum soll ein Kläger dazu gezwungen werden, seine Ansprüche in einem Musterverfahren nach dem KapMuG durchzusetzen, wenn er vielleicht auf ganz anderen Wegen zum Ziel kommen möchte? Gerade diese Überlegung hatte den BGH veranlasst, den Anwendungsbereich des bisher geltenden KapMuG eher eng zu fassen.
Auch hier zeigt sich die problematische Konzeption des Gesetzes als Zwangsordnung, die weder ein Opt-In noch ein Opt-Out kennt (letzteres nun immerhin bei einem Vergleich) – eine unverständliche Abweichung von internationalen Standards im kollektiven Rechtsschutz.
Trotz kleinteiliger Verbesserungen: Rechtsschutz in New York und Amsterdam weiterhin überlegen
Das Justizministerium hat an vielen Stellen in sorgfältiger Kleinarbeit versucht, in der Praxis festgestellte Defizite durch eine verbesserte Gesetzestechnik abzubauen: So hat etwa das Oberlandesgericht künftig die Kompetenz zur Entscheidung über eine Erweiterung des Verfahrensgegenstandes, so dass die mühselige und zeitraubende Aktenrotation zwischen Landgericht und Oberlandesgericht verringert wird.
Außerdem führt das neue KapMuG eine Soll-Bearbeitungsfrist von sechs Monaten für Musterverfahrensanträge ein, um Verzögerungstaktiken einzelner Gerichte entgegenzuwirken. Klägeranwälte hatten berichtet, dass ihre Anträge von den Gerichten nicht bearbeitet wurden, weil die Gerichte sich scheuten, das komplexe Musterverfahren einzuleiten, ohne dafür in der gerichtsinternen Arbeitsverteilung belohnt zu werden.
Am KapMuG wird also weitergebastelt und es werden kleinteilige Verbesserungen erreicht. Für die Praxis bleibt es aber dabei, dass deutschen Investoren oft geraten werden muss, ihre Rechte eher in New York oder Amsterdam durchzusetzen.
Der Autor Axel Halfmeier ist Professor für Bürgerliches Recht sowie Internationales Privat- und Verfahrensrecht an der Leuphana Universität Lüneburg.
Das neue KapMuG: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6606 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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