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BMJV plant Strafbarkeitsausweitung beim Cybergrooming: Eine gefähr­lich schiefe Ebene

Gastkommentar von Priv.-Doz. Dr. Kay H. Schumann

20.04.2019

Cybergrooming ist strafbar - bald auch der untaugliche Versuch?

© Paolese - stock.adobe.com

Wer im Internet Kinder kontaktiert, um sie zu missbrauchen, macht sich strafbar. Nach einem Entwurf des BMJV soll das künftig auch gelten, wenn am anderen Ende gar kein Kind sitzt. Das ist überzogen und gefährlich, meint Kay H. Schumann.

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Studierende der Rechtswissenschaften kennen den folgenden Fall schon aus dem Anfangssemester: A schießt mit seinem Gewehr auf eine Vogelscheuche, die er im Dämmerlicht irrtümlich für seinen Feind F hält. Der Versuch des Totschlags an F ist ein sog. untauglicher Versuch, weil das Vorgehen des Täters aus der Perspektive eines mit den Umständen vertrauten Beobachters zur Tatbestandsverwirklichung ungeeignet erscheint. Auch ein solcher Versuch ist nach dem Strafgesetzbuch (StGB) zu ahnden, jedoch kann hier die Strafe gemildert oder sogar ganz von ihr abgesehen werden (§ 23 Abs. 3 StGB).

Das BMJV hat es sich nun zum Ziel gesetzt, den untauglichen Versuch beim sog. Cybergrooming als eigene Tatbestandsvariante des Kindesmissbrauchs unter Strafe zu stellen. Der derzeit dazu vorliegende Referentenentwurf (RefE) vom 02.04.2019 bietet allerdings einigen Anlass zur Kritik.

Unter Cybergrooming versteht man das gezielte Ansprechen von Personen im Internet zur Anbahnung sexueller Kontakte. Es fand 2016 Aufnahme in den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 4 Nr. 3). Seither sind Einwirkungen auf ein Kind über das Internet zur Anbahnung sexueller Kontakte bzw. zur Vorbereitung von Kindepornographie also strafbar.

Schon diese Regelung ist für das Strafrecht nicht selbstverständlich. Denn in aller Regel ist die Vorbereitung eines Deliktes für sich genommen strafrechtlich irrelevant: Wer sich in einem Kaufhaus schon einmal eine Packung Nylonstrümpfe besorgt, um sie bei einem geplanten Banküberfall als Strumpfmaske einzusetzen, macht sich noch nicht strafbar. Die Schwelle wird erst dann überschritten, wenn die Tat in das Versuchsstadium tritt (in unserem Beispiel also etwa dann, wenn der Täter die Strumpfmaske überzieht und die Bank betritt). Reine Tatvorbereitungen dagegen dürfen nur dann mit Strafe bedroht werden, wenn von ihnen bereits eine beachtliche bzw. unabgeschirmte Gefahr für Rechtsgüter ausgeht. Beispiele sind die Verbrechensverabredung oder die Bildung terroristischer Vereinigungen.

Der Versuch einer Vorbereitungshandlung soll strafbar sein

Ganz selbstverständlich ist es also nicht, dass bereits die Ansprache von Kindern zwecks späteren Missbrauchs unter Strafe gestellt ist. Umso größer ist die Begründungslast dann auch gerade hier: Denn auch wenn der Kindesmissbrauch landläufig als eines der schwersten Delikte überhaupt aufgefasst wird, ist er in seiner Grundform nur als Vergehen ausgestaltet, dessen Mindeststrafe deutlich unter einem Jahr liegt. Das erklärt sich aus dem weiten Anwendungsbereich der Vorschrift: Sie betrifft den erwachsenen Kinderschänder, der sich rücksichtslos an Kleinkindern vergeht ebenso wie die gerade einmal strafmündig gewordene junge Frau, die beim zärtlichen Petting mit ihrem nur noch wenige Tage 13-jährigen Freund erwischt wird, und eben auch reine Vorbereitungshandlungen wie das Cybergrooming.

Bei Vergehen ist es notwendig, dass der Gesetzgeber deren Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich festschreibt. Dies hat er – nachvollziehbar – für die meisten Varianten des sexuellen Missbrauchs von Kindern auch getan. Nach dem derzeit geltenden § 176 Abs. 6 ist der Versuch des eigentlichen Kindesmissbrauchs mit Strafe bedroht, nicht aber der Versuch der im Gesetz genannten Vorbereitungshandlungen.

Gerade dies will das Ministerium nun ändern. Mit seinem RefE schlägt es die Erweiterung des § 176 Abs. 6 auf Fälle vor, in denen das Cybergrooming allein deshalb nicht von Erfolg gekrönt sein kann, weil der Täter irrtümlich kein Kind anspricht.

Begründet wird diese Strafbarkeitsausweitung damit, dass es für die Beurteilung des Täterverhaltens keinen wesentlichen Unterschied mache, ob sein digitales Gegenüber tatsächlich ein Kind ist oder nicht. Der Täter zeige die Absicht, ein Kind durch Einflussnahme über das Internet zu sexuellen Handlungen zu bringen. Diese Absicht manifestiere sich sogar in dem tatsächlichen Versuch einer Kontaktaufnahme, wodurch der Täter eine innere Hemmschwelle überschreite und zu weiteren Taten bestärkt werde, dann ggf. wirklich gegenüber einem Kind. Angesichts der vollständigen Erfüllung des subjektiven Tatbestandes und der darin zum Ausdruck gebrachten kriminellen Energie sei die Bestrafung solcher Handlungen sachgerecht (RefE, S. 5).

Flickschustereien für Einzelphänomene

Die Motive, die hinter dem Entwurf stehen, sind freilich nachvollziehbar. Selbstverständlich ist dem Ministerium daran gelegen, Kindesmissbrauch und damit verbundene Pornographie vollständig und frühzeitig zu verhindern. Doch sollte im Strafrecht immer die Frage gestellt werden, ob der Zweck die Mittel heiligt.

Und so muss es nach der Entwurfsbegründung erst einmal verwundern, warum nur eine bestimmte Art des untauglichen Versuchs des Cybergroomings strafbar sein soll. Wenn bereits eine denkbar abstrakte Gefahr für Kinder unterbunden werden muss, warum nur für den Fall, dass statt eines Kindes ein Erwachsener am anderen Rechner sitzt? Und vor allem: Warum nicht auch den tauglichen Versuch bestrafen, der grundsätzlich erfolgversprechend und damit tatsächlich objektiv gefährlich ist? Zur Verdeutlichung: Nach dem RefE soll sich derjenige strafbar machen, der irrtümlich mit dem Vater des eigentlich vorgestellten Kindes chattet; derjenige, der auf Facebook tatsächlich ein Kind angeht und die Einwirkung nur daran scheitert, dass die Internetverbindung vorzeitig abbricht, nicht.

Wie so häufig bei der Betrachtung der "modernen" Gesetzgebung fällt auf, dass auch hier wieder lediglich ein konkretes Einzelphänomen strafrechtlich geregelt werden soll (nur nebenbei: § 176 StGB erfasst zwar das Cybergrooming, jedoch nicht das unmittelbare "Offline"-Grooming). Durchdachte universellere Vorschriften wären der Sache gewiss dienlicher als solche Flickschustereien, bei denen die nächste Reform bereits im Moment ihrer Verkündung vor der Tür steht.

Allein der böse Wille zählt

Aber dies sind nur handwerkliche Probleme. Schon grundsätzlich viel bedenklicher ist überhaupt die Aufnahme des strafbaren Versuchs des Cybergroomings. Bei Vorbereitungshandlungen ist die Gefahr für fremde Rechtsgüter noch denkbar abstrakt und es bedarf einer besonderen Begründung ihrer selbständigen Strafbarkeit. Nicht umsonst ist die Legitimation nahezu jedes Vorfelddelikts umstritten. Im Fall des Cybergroomings mag man dessen Strafbarkeit gerade noch rechtfertigen können mit der Überlegung, dass der Täter immerhin bereits auf ein bestimmtes Kind einwirkt und damit die Gefahr des beabsichtigten Missbrauchs deutlich erhöht. Das "Einwirken" verlangt auch mehr als nur einfachen Kontakt, nämlich eine aktive unmittelbare und intensive psychische Beeinflussung.

Im RefE haben wir es nun aber sogar mit Sachverhalten zu tun, die nicht einmal mehr eine Tatvorbereitung sind, sondern nur deren Versuch. Wir bewegen uns hier so weit vor dem Bereich der eigentlichen Tatausführung, dass bis auf die Absicht des Täters, später einen Kindesmissbrauch zu begehen, kaum noch etwas übrig bleibt. Und gerade dies ist die Begründung des RefE: Das Verhalten dessen, der sich an einem Cybergrooming – ohne Aussicht auf Erfolg – versuche, sei allein deshalb schon strafwürdig, weil sich damit eine "Absicht manifestiere", eine "innere Hemmschwelle" überwunden werde und der Täter darin "bestärkt" werde, künftig sexuell übergriffig zu werden. Bestraft werden soll der böse Wille, nicht mehr und nicht weniger. Das ist reines Gesinnungsstrafrecht.

Richtig wäre es stattdessen, die – durchaus ja bestehende – Gefahr, die von erkennbar potentiellen Tätern ausgeht, mit den Mitteln des Gefahrenabwehrrechts zu bekämpfen. Hier schon das Strafrecht zum Zuge kommen zu lassen, führt auf eine gefährlich schiefe Ebene.

Der Autor Dr. Kay H. Schumann ist Strafverteidiger in Düsseldorf und lehrt als Privatdozent an der Universität Bonn u. a. IT- und Sexualstrafrecht.

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BMJV plant Strafbarkeitsausweitung beim Cybergrooming: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34989 (abgerufen am: 16.11.2025 )

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