EU will Crowdfunding regulieren: Ein Tep­pich über 28 Fli­cken

Gastbeitrag von Prof. Dr. Dr. Martin Will, M.A., LL.M. (Cambridge) und Benedikt Quarch, LL.B., M.A.

29.05.2018

Internetbasiertes Crowdfunding boomt. Eine EU-Verordnung soll das zersplitterte Recht vereinheitlichen, wirft aber mit ihrem Zwei-Schichten-Regulierungsmodell mehr Probleme auf als sie löst, meinen Martin Will und Benedikt Quarch.

"Disruption" ist in aller Munde. Die mit diesem Begriff bezeichnete Revolution althergebrachter Industrien trifft im digitalen Zeitalter ganz besonders auch den Finanzsektor. Digital arbeitende Unternehmen, die die Revolution maßgeblich vorantreiben, werden meist verkürzt als FinTechs bezeichnet.

Eines der wichtigsten Segmente des FinTech-Marktes ist das erstmals im Jahr 2005 aufgekommene Crowdfunding. Dabei sammelt der Crowdfunding-Dienstleister von zahlreichen (Klein-)Investoren – der "Crowd" (engl. Menge)  – Finanzmittel ein, um gemeinsam ein Projekt eines Kapitalsuchenden zu finanzieren. Vermittelt wird die Finanzierung durch eine Internetplattform. Historisch gesehen geht das Crowdfunding auf die sog. "Friendly Societies" zurück, die bereits Ende des 17. Jahrhunderts einzelne Kleinbeträge ihrer Mitglieder zusammenführten, um anderen Mitgliedern Kredite zu finanzieren.

Gemeinsam ist diesen Phänomenen die Grundidee, dass sie die Bank als Intermediär umgehen und eine direkte Finanzierung zwischen Investoren und Kapitalsuchenden ermöglichen. Pointiert formulierte Microsoft-Gründer Bill Gates bereits 1994: "Banking is necessary, banks are not" (Bankgeschäfte sind notwendig, Banken nicht). Die Digitalisierung hat diese Entwicklung entscheidend begünstigt. Mit mittlerweile über einer Milliarde Euro jährlichem Marktvolumen in Kontinentaleuropa und unverändert hohen Wachstumszahlen ist Crowdfunding längst in der Finanzbranche etabliert.

Crowdfunding tritt im Markt in verschiedenen Formen auf. Die zwei wichtigsten sind Crowdinvesting und Crowdlending. Beim Crowdinvesting beteiligen sich die einzelnen Anleger klassischerweise mit Eigenkapital oder mit einem partiarischen Nachrangdarlehen an dem jeweils finanzierten Unternehmen. Häufig handelt es sich dabei um Start-Ups, denen so internetgestützt eine schnelle Finanzierungsmöglichkeit geboten wird. Crowdinvesting bietet in Deutschland bspw. Seedmtach an. Demgegenüber gewähren beim praktisch wesentlich bedeutenderen Crowdlending – nach dem Grundprinzip – die einzelnen Anleger dem Kapitalnehmer zusammen ein klassisches Darlehen i.S.v. § 488 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Deutscher Marktführer ist hier derzeit der Plattformbetreiber Auxmoney.

Regulierung innerhalb der EU stark fragmentiert

So rapide sich FinTechs entwickeln, so sehr hinkt die Rechtsordnung den disruptiven Entwicklungen hinterher. Die EU-Kommission konnte nicht mehr länger zögern und hat schon im März daher einen FinTech-Aktionsplan veröffentlicht, mit dem die EU auf den rapiden Technologiefortschritt reagieren will. Eine zentrales Element der hier vorgestellten Maßnahmen ist ein Verordnungsvorschlag zur Regulierung des Crowdfundings in der gesamten EU (COM(2018) 113 final).

Hintergrund ist, dass die Regulierung des Crowdfundingmarktes innerhalb der EU zurzeit noch völlig fragmentiert ist: Jeder Mitgliedstaat reguliert das Crowdfunding anders. Teils wurden, wie bspw. in Frankreich, die Gesetze mit Blick auf das Crowdfunding umfassend reformiert. Teils werden auch schlicht die überkommenen Finanzmarktregelungen auf die neuen Technologien angewandt. Dies führt dazu, dass das Crowdfunding in der EU derzeit – plastisch gesprochen – durch einen Flickenteppich aus 28 unter¬schiedlichen Gesetzen reguliert wird. Auch dies hat dazu beigetragen, dass die aus Effizienzgründen wünschenswerte grenzüberschreitende Tätigkeit der Crowdfundingplattformen derzeit nur sehr schwach ausgeprägt ist. Denn für jeden Mitgliedstaat muss eine gesonderte, u.U. kostspielige Erlaubnis mit teils sehr unterschiedlichen Vorgaben beantragt werden.

Diese Situation steht nicht zuletzt in direktem Widerspruch zum Kernziel der Union, einen voll integrierten Binnenmarkt zu schaffen. Die Verwirklichung der im vorliegenden Zusammenhang einschlägigen sog. Kapitalmarktunion treibt die Kommission seit 2015 intensiviert voran. Dazu dient maßgeblich der Crowdfunding-Verordnungsvorschlag, mit dem die Kommission endlich die Hürden für die grenzüberschreitende Verwirklichung des Crowdfundings beseitigen will.

Der mit Spannung erwartete Vorschlag erfasst dabei sowohl das Crowdinvesting als auch das Crowdlending. Eine Kernregelung besteht darin, dass Plattformbetreiber bei der europäischen Wertpapierbehörde ESMA in Paris eine Zulassung beantragen können. Diese Erlaubnis gilt dann EU-weit, sodass die Plattformen auf Grundlage der EU-Erlaubnis ohne weiteres in allen 28 Mitgliedstaaten tätig werden können.

Nationale Vorschriften bleiben unangetastet

Strukturell besonders bemerkenswert ist allerdings der von der Kommission gewählte Regulierungsansatz. Denn die vorgeschlagene Verordnung gilt in ihren Kernbereichen nur optional. Crowdfunding-Plattformbetreiber können nämlich wählen, ob sie weiterhin den nationalen Regulierungen oder aber der EU-Verordnung unterworfen sein wollen. Die nationalen Vorschriften bleiben also grds. unangetastet.

Der heutige Flickenteppich aus 28 Regulierungssystemen wird also nicht durch einen einheitlichen Teppich ersetzt. Vielmehr wird über den Flickenteppich ein weiterer alle Mitgliedstaaten erfassender Teppich gelegt. Dieser überlagert die einzelnen nationalen Flicken allerdings nur, soweit einzelne Plattformbetreiber durch Beantragung einer Erlaubnis bei der ESMA für das europäische und nicht für das nationale Rechtsregime optiert haben. So entsteht effektiv ein neuartiges Zwei-Schichten-Regulierungsmodell. 

Diesen Ansatz hat die Kommission bislang in anderen Regulierungsfeldern kaum verfolgt. Er kommt den Mitgliedstaaten in gewisser Weise entgegen, da ihre nationalen Regelungen bestehen bleiben. Aus Sicht der Subsidiarität, einem der wesentlichen Prinzipien der EU-Verträge, ist das auf den ersten Blick begrüßenswert. Schaut man näher hin, entsteht so allerdings – wie auch der Bundesrat jüngst betonte (BR-Drs. 69/18) –ein Wettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Regulierungen und denjenigen der EU. Rational agierende Plattformbetreiber werden nämlich die einschlägigen nationalen Regulierungen mit den europäischen Vorgaben vergleichen und sich für die Erlaubnis entscheiden, die ihnen die größten Vorteile, d.h. insbes. Freiheiten, belässt.

Regulierung wird noch unüberschaubarer

Es ist aber sehr fraglich, ob der programmierte Regulierungswettbewerb zwischen EU und Mitgliedstaaten wirklich im Sinne der EU ist. Denn die Fragmentierung der Crowdfunding-Regulierungen wird dadurch nicht behoben. Die Regulierungslage, mit der sich Crowdfunding-Plattformbetreiber konfrontiert sehen, wird vielmehr noch unüberschaubarer. So können nun in einem Mitgliedstaat jeweils zwei Regulierungssysteme nebeneinander bestehen. Eine Kapitalmarktunion lässt sich auf diesem Wege kaum schaffen. Der Bundesrat geht sogar noch weiter und ist der Auffassung, dass das Zwei-Schichten-Modell mit der im "Primärrecht vorgesehenen Kompetenzverteilung zwischen nationalem und EU-Recht" nicht vereinbar sei.

Insofern bleibt abzuwarten, wie Rat und Europäisches Parlament auf den Vorschlag reagieren werden. Zwar ist eine EU-weite Regulierung des FinTech-Sektors in vielen Bereichen dringend geboten. Allerdings demonstrieren die grundsätzlichen Probleme des neuen Zwei-Schichten-Regulierungsmodells, wie sehr die Konzepte noch in den Kinderschuhen stecken. Dass die Verordnung noch vor den Europawahlen 2019 in Kraft tritt, ist daher zumindest fraglich. Während die disruptiven Entwicklungen des FinTech-Sektors unverändert anhalten, wird die gebotene "Disruption" des EU-Rechts wohl weiter auf sich warten lassen.

Prof. Dr. Dr. Martin Will, M.A., LL.M. (Cambridge) ist Inhaber des Lehrstuhls für Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Europarecht, Recht der Neuen Technologien sowie Rechtsgeschichte an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden und forscht seit seinem Grundlagenwerk über Internetwahlen aus dem Jahr 2002 intensiv über die Digitalisierung des Rechts. Benedikt M. Quarch, LL.B., M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesem Lehrstuhl und promoviert zur europäischen Regulierung des Crowdlendings.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Dr. Martin Will, M.A., LL.M. (Cambridge) und Benedikt Quarch, LL.B., M.A., EU will Crowdfunding regulieren: Ein Teppich über 28 Flicken . In: Legal Tribune Online, 29.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28843/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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