Ausnahmeverordnung für Geimpfte und Genesene: Wenige Wochen Ung­leich­heit

von Dr. Christian Rath

07.05.2021

Nun hat auch der Bundesrat zugestimmt: Die Verordnung, die Geimpften und Genesenen Freiheiten zurückgibt, kann am Wochenende in Kraft treten. Bald werden aber die meisten Einschränkungen für alle fallen, tröstet Christian Rath.

Im Bundesrat sprach nur einer: Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Er pries die Solidarität in der "größten gesundheitlichen Krise unserer Lebenszeit" und machte sich Sorgen, dass der Zusammenhalt nun gefährdet sein könnte. Das Aufeinandertreffen "derjenigen, die auf Impfung hoffen", mit den bereits Geimpften könne zu "Frustration, Neid und gesellschaftlicher Spaltung" führen. Deshalb appellierte Laschet an einen "verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Glück". Die Geimpften sollen Ihre Freiheiten nicht "im triumphalistischen Überschwang" ausleben, sondern "Gesten des Respekts" gegenüber den Ungeimpften zeigen.

Nach Laschets Rede stimmte der Bundesrat der "Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV)" zu.

Neue Rechtsgrundlage, ungewöhnliches Verfahren

Als die Bundes-Notbremse als § 28b am 22. April ins Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgenommen wurde, blieb die Frage offen, ob es Ausnahmen für Geimpfte und Genesene geben würde. Der Gesetzgeber hatte lediglich in § 28c eine Verordnungsermächtigung vorgesehen (die übrigens am gestrigen Donnerstag im Bundestag noch einmal nachgebessert werden musste, versteckt in Art. 6* des Gesetzes zum Schutz der Gerichtsvollzieher).

Dass es eine derartige Ausnahmeverordnung geben würde, war aber bald klar. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte sie am 26. April nach dem Impfgipfel mit den Ministerpräsident:innen an. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzte im Anschluss jedoch einen großzügigen Zeitplan. Die Verordnung solle erst nach der Bundesratssitzung am 28. Mai in Kraft treten.

In der Bundesregierung machte vor allem Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) Druck. Sie legte bereits zum Impfgipfel ein erstes Eckpunktepapier vor und Anfang Mai einen Verordnungsentwurf. Ursprünglich sollte das zögerliche Gesundheitsministerium federführend sein, was angesichts der Tatkraft der Justizministerin aber bald korrigiert wurde.

Am vergangenen Wochenende verhandelten Bundesregierung, Koalitionsfraktionen und Länder bereits intensiv. Denn die bemerkenswerte Konstruktion des § 28c IfSG sieht vor, dass eine Ausnahmeverordnung der Bundesregierung nur in Kraft treten kann, wenn sowohl Bundestag als auch Bundesrat zustimmen.

Als am Montagabend ein Konsens gefunden war, beschloss die Bundesregierung die Verordnung am Dienstag, 4. Mai. Der Beschluss erging im Umlaufverfahren, die Regierung wartete also nicht einmal mehr die reguläre Kabinettssitzung am Mittwoch ab, auch um der Opposition mehr Zeit zur Vorbereitung zu geben. Die Zustimmung im Bundestag und im Bundesrat war dann nur noch Formsache. Der Bundestag nutzte sie immerhin für eine lebhafte Debatte.

Was nun geht und was weiterhin nicht geht

Die Ausnahmeverordnung legt nun fest, welche Corona-bedingten Verbote für Geimpfte und Genesene nicht mehr gelten: nächtliche Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen und Sportverbote sind die wichtigsten. Bei der Einreise aus einem Risikogebiet oder nach dem Kontakt mit einem Virusträger müssen sie in der Regel nicht in Quarantäne.

Immer wenn der Zugang zu einem Laden oder einer Dienstleistung nur mit einem negativen Test möglich ist, können Geimpfte und Genesene künftig auf den Test verzichten. Sie dürfen also ohne Test einkaufen, in den Zoo oder zum Hairstyling.

Diese Befreiungen sind immer wirksam, wenn es entsprechende Verbote und Testvorgaben gibt. Es kommt nicht darauf an, ob das Verbot und die Testvorgabe aufgrund der Bundes-Notbremse gem. § 28b IfSG gelten oder aufgrund einer Landes-Verordnung gem. § 32 iVm. § 28a IfSG.

Geimpfte und Genesene müssen aber weiterhin bestimmte Pflichten erfüllen. So müssen sie Masken tragen, Abstand halten und Hygieneregeln beachten. Damit soll zum einen das Restrisiko, das von ihnen ausgeht, reduziert werden. Zum anderen soll die Bereitschaft der Allgemeinheit zur Einhaltung dieser Regeln geschützt werden.

Es ist auch nicht vorgesehen, dass geschlossene Restaurants, Hotels und Theater öffnen, um ausschließlich Leistungen für Geimpfte und Genesene anzubieten.

Eine politische Entscheidung

Die Frage, wie weit die Lockerungen für Geimpfte und Genesene gehen, war durchaus umstritten. So fragte die FDP im Bundestag, warum es weiterhin nicht erlaubt ist, dass Gasthäuser, Hotels und Kunsthallen speziell für Geimpfte und Genesene öffnen. Wenn der Wegfall von Beschränkungen zwingend geboten ist, warum dann nicht auch hier?

Jan-Marco Luczak, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, verwies auf das durchaus noch bestehende Restrisiko. Auch Geimpfte und Genesene seien nicht völlig immun, die Ansteckungsgefahr sei nur sehr stark gesenkt. Damit räumte er en passant aber ein, dass auch die jetzt beschlossene Öffnung nicht alternativlos war. Man hätte unter Verweis auf das Restrisiko wohl auch länger abwarten können. Es war eben eine politische Entscheidung

Aber wäre es dann nicht besser gewesen, zunächst den darbenden Gastronomen, Hoteliers und Künstlern neue Umsätze mit Geimpften und Genesenen zu ermöglichen? Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD, betonte, dass zunächst der höchstpersönliche Bereich gelockert werden sollte, während in Restaurants und Hotels ja oft das Personal noch nicht geimpft ist. Auch das hätte man anders entscheiden können, aber die Begründung leuchtet ein.

Die Gruppe ist kleiner, als viele denken

In der Berichterstattung über die Ausnahmeverordnung ist meist von "Geimpften und Genesenen" die Rede, ohne näher zu erläutern, wer hiermit genau gemeint ist. Tatsächlich ist die bedachte Gruppe deutlich kleiner als es zunächst den Anschein hat. Gemeint sind nicht alle 26,2 Millionen Menschen, die zumindest eine erste Covid-Impfung erhalten haben und auch nicht alle 3,4 Millionen, die sich bereits einmal mit Covid infiziert hatten.

Die Befreiungen gelten nur für die vollständig Geimpften. Bei den meisten Impfstoffen sind zwei Impfungen plus ein zeitlicher Puffer von 14 Tagen erforderlich. Derzeit sind bundesweit 7,3 Millionen Personen vollständig geimpft, das sind nur 8,8 Prozent der Bevölkerung.

Die Zahl der Zweitimpfungen wächst auch deutlich langsamer als die Zahl der Erstimpfungen. Unter den rund 930.000 Impfungen am gestrigen Donnerstag waren nur rund 200.000 Zweitimpfungen, aber 730.000 Erstimpfungen. Letztere schützen zwar bereits gegen schwere Krankheitsverläufe, verschaffen aber noch keinen Status als Geimpfter im Sinne der Verordnung.

Auch bei den Genesenen muss unterschieden werden. Die Befreiungen gelten nur, wenn die Infektion im vergangenen halben Jahr erfolgt war und mindestens 28 Tage zurückliegt. Der Nachweis, dass man zu dieser Gruppe gehört, kann nur mit einem positiven PCR-Test aus diesem Zeitraum erbracht werden. Ein positiver Antigen-Test genügt nicht, weil er zu ungenau ist.

Wer vor längerer Zeit, zum Beispiel vor einem Jahr, mit dem Coronavirus infiziert war, gilt deshalb nicht mehr als Genesener, da die Immunität nachlässt. Hier genügt jedoch eine einzige Impfung (statt zwei), um als vollständig geimpft zu gelten.

Druck aus Karlsruhe

Dass die Ausnahmeverordnung nun doch drei Wochen früher kam als zunächst von Gesundheitsminister Spahn angekündigt, ist vor allem eine Folge der Verfassungsbeschwerden gegen die Bundes-Notbremse. Bis Donnerstagmittag sind in Karlsruhe 334 Verfassungsbeschwerden eingegangen, von denen 165 als so substanziell eingestuft wurden, dass sie ins Verfahrensregister eingetragen wurden (die übrigen stehen im allgemeinen Register).

Ein großer Teil der Verfassungsbeschwerden und Eilanträge kritisierte die fehlenden Ausnahmen für Geimpfte und Genesene. Auch der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nahm diese Bedenken Ernst. Er wählte drei Klagen als Musterverfahren aus - die Beschwerde von 80 FDP-Abgeordneten sowie zwei Beschwerden von Privatpersonen - und bat einen großen Kreis an politischen und fachlichen Institutionen um Stellungnahme bis zum 4. Mai. Der Fragenkatalog des Gerichts verdeutlichte, dass die Rechte der Geimpften und Genesenen im Mittelpunkt des Karlsruher Interesses stehen.

Es ist daher gut nachvollziehbar, dass die Bundesregierung nach Lektüre des Karlsruher Fragenkatalogs aufs Tempo drückte und es nicht mehr darauf ankommen lassen wollte, die Ausnahmeverordnung erst Ende Mai in Kraft treten zu lassen. Marco Buschmann, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion jubelte insofern durchaus zu Recht: "Unsere Verfassungsbeschwerde war ein Erfolg."

Eine Karlsruher Entscheidung über den Eilantrag der FDP-Abgeordneten liegt aber noch nicht vor. Im Beschluss des Ersten Senats von Mittwochabend wurden zwar bereits einige Eilanträge zu den Ausgangsbeschränkungen abgelehnt, insbesondere der Antrag der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), der FDP-Antrag war aber noch nicht dabei. Nachdem nun die Ausnahmeverordnung in Kraft tritt, ist die Ablehnung auch des FDP-Antrags allerdings äußerst naheliegend. Der Senat (oder auch eine Kammer) werden das in den kommenden Wochen zu Papier bringen.

Soweit den FDP-Abgeordneten die Lockerung für die Geimpften nicht konsequent genug ist, müssten sie nun die Verordnung selbst angreifen, wohl durch einen Feststellungsantrag beim Verwaltungsgericht Berlin.

Der Sommer kommt

Zwar reden derzeit alle über die Geimpften und Genesenen. Doch auch die Perspektiven für die (noch) Ungeimpften sind erfreulich, denn die Inzidenzrate sinkt schon seit über einer Woche und sie wird voraussichtlich weiter fallen. Dafür spricht, dass warmes Wetter dem Virus schadet und dass die Impfkampagne zügig vorwärts geht.

Zwar liegen noch 267 der 412 Stadt- und Landkreise über dem Inzidenzwert von 100 (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen in einer Woche). Aber die Zahl dieser Kreise sinkt von Tag zu Tag. Wenn der Inzidenzwert fünf Tage hintereinander unter 100 lag, schaltet sich die Bundes-Notbremse im betreffenenden Kreis automatisch ab. Das heißt: die obligatorische nächtliche Ausgangssperre tritt ebenso außer Kraft wie die Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Gastronomie, Kultur und Freizeiteinrichtungen.

Was in Stadt- und Landkreisen mit einer stabilen Inzidenz unter 100 gilt, das regeln dann wieder die Bundesländer. Das Infektionsschutzgesetz lässt ihnen dabei in § 28a relativ viel Spielraum. Es gibt auch keine Bund-Länder-Treffen zur Koordinierung mehr. Deshalb könnte es wieder zu einen ziemlich unübersichtlichen Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen kommen.

Dabei ist der Trend aber wohl überall derselbe. Angesichts der tendenziell sinkenden Inzidenzwerte soll in den Ländern der Shutdown peu à peu gelockert werden. Einzelhandel, Gastronomie, Kultur und Freizeitstätten sollen wieder öffnen dürfen - in der Regel mit einem Testkonzept. Die krasse Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften dürfte sich also auf nur wenige Wochen beschränken.

Ministerpräsident Laschet sprach bereits - etwas weitgehend - von der Rückkehr zu einer Situation, in der die Grundrechte "ohne jede Einschränkung" jedem zugestanden werden - ob geimpft oder nicht.

*Korrektur am 10. Mai 2021, 12.58 Uhr: Es ist Art. 6 des Gesetzes, nicht wie ursprünglich angegeben Art. 5. Wir danken recht herzlich für den aufmerksamen Leserhinweis.

Zitiervorschlag

Ausnahmeverordnung für Geimpfte und Genesene: Wenige Wochen Ungleichheit . In: Legal Tribune Online, 07.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44915/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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