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Corona-Pandemie und Medienregulierung: Lieber kein Shut­down für Live­st­ream-Ange­bote

Gastkommentar von Dr. Frederik Ferreau

26.03.2020

Eine Frau schaut etwas auf ihrem Laptop

© Antonioguillem - stock.adobe.com

Wenn Schulen oder Theater ihre Veranstaltungen live streamen, könnten sie dafür eine Rundfunkzulassung benötigen. Frederik Ferreau begrüßt ein pragmatisches Vorgehen der Medienaufsicht. Für ihn liegt das Problem im gesetzlichen Rundfunkbegriff.

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Die Zeit des Pandemie-Shutdowns ist die Blütezeit des Livestreamings: Wenn Konzerte, Aufführungen, Unterricht oder Gottesdienste nicht mehr als "physische" Veranstaltung stattfinden können, bleibt so noch die digitale Veranstaltung. Rechtlich wandeln die Veranstalter dabei aber auf unsicherem Terrain. Denn sie könnten damit zu "Rundfunkveranstaltern" mutieren und eine Zulassung der Landesmedienanstalten benötigen. Grund hierfür ist eine Regulierung, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. 

Auch wenn das Wort "Rundfunk" eher an Testbild denn an Twitch und ähnliche Portale erinnert, bildet der Begriff nach wie vor das zentrale Steuerungselement der Medienregulierung: Die Veranstaltung von Rundfunk ist zulassungsbedürftig, das Anbieten von "Telemedien" hingegen nicht. Rundfunk ist in § 2 Abs. 1 S. 1 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) definiert als linearer Informations- und Kommunikationsdienst. Gemeint ist damit eine "für die Allgemeinheit zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans". 

Was heißt schon "Bagatellfälle"?

Rundfunkangebote unterscheiden sich von audiovisuellen Telemedien auf individuellen Abruf durch ihre Linearität: Das Merkmal setzt sich aus Liveübertragung ("zum zeitgleichen Empfang") und Regelmäßigkeit des Angebots ("entlang eines Sendeplans") zusammen.

Dass mit Rundfunk keineswegs nur der klassische 24/7-Fernsehsender gemeint ist, zeigte erst jüngst der Fall "Bild TV": Die Landesmedienanstalten bejahten den Rundfunkcharakter von drei Livestreams in den Online-Angeboten der Bild-Zeitung, da ihrer Ausstrahlung aufgrund von Häufigkeit und Regelmäßigkeit ein Sendeplan zugrunde liege. Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat diese Entscheidung bestätigt (Urt. v. 26.09.2019, Az. 27 K 365.18), das Urteil ist rechtskräftig.

Ausnahmen vom Rundfunkbegriff lässt § 2 Abs. 3 RStV für "Bagatellfälle" zu – zum Beispiel für Angebote mit weniger als 500 potenziellen Nutzer oder ohne journalistisch-redaktionelle Gestaltung.

Abschied vom Merkmal der Linearität

Die strengere Regulierung von Rundfunk wird vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit seiner herausgehobenen "Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft" gegenüber anderen Medien begründet (vgl. Urt. v. 25.03.2014, Az. 1 BvF, 4/11). Allerdings ist diese Formel in der Anfangszeit des privaten Rundfunks entwickelt worden, als aufgrund knapper Frequenzen nur eine Handvoll Veranstalter existieren konnte. Damals erschienen hohe Auflagen für sämtliche Rundfunkveranstalter zum Schutz vor Missbrauch von Meinungsmacht geboten. 

Heutzutage ist jedoch Realität, was der SPD-Abgeordnete Fritz Eberhard bereits 1949 im Parlamentarischen Rat bei der Beratung zu Art. 5 GG prophezeite: Die technische Entwicklung hat dazu führt, "dass beinahe jeder seine eigene Wellenlänge hat".  

Es ist daher nicht mehr überzeugend, den Grad der Regulierung von Online-Medien an das Merkmal der Linearität anzuknüpfen. Denn wie stark ein Angebot den Meinungsbildungsprozess zu beeinflussen vermag, hängt nicht (entscheidend) von der linearen Darbietung ab: Während mancher Fernsehsender ein unbemerktes Nischendasein fristet, erreicht Rezo mit einem Abrufvideo auf YouTube kurz vor einer Wahl ein zweistelliges Millionenpublikum – vom Einfluss einer On Demand-Plattform wie Netflix ganz zu schweigen. 

Die Veränderung der Medienrealität setzt die für die Rundfunkgesetzgebung kompetenten Länder unter verfassungsrechtlichen Druck. Mit Blick auf die vom Gesetzgeber auszugestaltende Rundfunkfreiheit (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.06.1981, Az. 1 BvL 89/78) ist es kaum hinnehmbar, dass nichtlineare Angebote mit erheblicher Meinungsmacht nicht adäquat reguliert werden: Aus verfassungsrechtlicher Sicht macht es keinen Unterschied, ob ein audiovisuelles Angebot live oder auf Abruf angeboten wird. 

Überdies ist zweifelhaft, ob die wenig plausible Ungleichbehandlung von linearen und nichtlinearen Angeboten noch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. 

Keine Abhilfe durch den neuen Medienstaatsvertrag

Diese Bedenken wird auch der geplante Medienstaatsvertrag (MStV), welcher den Rundfunkstaatsvertrag ablösen soll, in seiner jetzigen Form nicht völlig ausräumen: Zwar dehnt er die Ausnahmen für bagatellartige Rundfunkprogramme aus; dadurch entfällt künftig die Zulassungspflicht, wenn ein Programm nur geringe Bedeutung für die Meinungsbildung entfaltet oder wenn es im Durchschnitt von sechs Monaten weniger als 20.000 gleichzeitige Nutzer erreicht oder voraussichtlich erreichen wird (§ 54 Abs. 1 MStV). Aber am Merkmal der Linearität hält der Vertrag fest (§ 2 Abs. 1 MStV). 

Für die gegenwärtig entstehenden Livestream-Angebote kommt der Medienstaatsvertrag ohnehin zu spät: Denn der Vertrag ist bislang nur von den Ministerpräsidenten ausgehandelt worden, für seine Verabschiedung ist noch die Zustimmung aller Landesparlamente erforderlich. Das Inkrafttreten ist für den 1. September 2020 vorgesehen. 

Neue Streaming-Anbieter müssen sich demnach fragen, ob ihre Angebote den Rundfunkbegriff erfüllen. Die Beantwortung erleichtert eine Checkliste der  Landesmedienanstalten. Ein Ausweg aus der "Rundfunkfalle" kann demnach der Verzicht auf eine journalistisch-redaktionelle Gestaltung sein: Wer zum Beispiel nur eine fest installierte Kamera zur Übertragung verwendet und auf eine Moderation verzichtet, dürfte auf der sicheren Seite stehen.  

Staatsrundfunk von Schulen und Kultureinrichtungen in Zeiten von Corona?

Zusätzlich haben die Medienanstalten eine pragmatische Handhabung der Rundfunkaufsicht in der Corona-Situation angekündigt. In einem Informationsblatt zum Livestreaming von kulturellen oder religiösen Veranstaltungen sowie Bildungsangeboten kündigen sie an, für "rundfunknah gestaltete" Angebote auf eine Zulassung zu verzichten. Stattdessen genügt eine Anzeige des geplanten Angebots gegenüber der örtlich zuständigen Anstalt. Diese Handhabung gilt zunächst bis zum 19. April.

Bei allem berechtigten Pragmatismus können aber die Medienanstalten gesetzliche Vorgaben nicht gänzlich außer Acht zu lassen: Einrichtungen, denen überhaupt keine Zulassung erteilt werden dürfte, kann auch jetzt die Rundfunkveranstaltung nicht gestattet sein. Solche Einrichtungen sind gemäß § 20a Abs. 3 RStV vor allem juristische Personen des öffentlichen Rechts. Ausgenommen sind hiervon von lediglich die grundrechtsberechtigten Kirchen und Hochschulen. Schulen oder Kultureinrichtungen in staatlicher Trägerschaft ist dagegen eine Rundfunkveranstaltung versagt. 

Diese Regelung – die übrigens auch der Medienstaatsvertrag übernimmt – ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gebots der Staatsferne der Medien. Es soll einen von staatlichen Organen möglichst unbeeinflussten Meinungsbildungsprozess garantieren. Ob aber Streaming-Angebote von Schulen oder Theatern in der gegenwärtigen Situation tatsächlich eine Gefahr für die Meinungsbildung darstellen, darf zumindest bezweifelt werden. 

Hier zeigt sich: Auch die Sicherung der Staatsferne kann nicht allein vom Merkmal der Linearität abhängen. Vielmehr sollte sie punktgenau erfolgen und staatliche Online-Angebote anhand ihres tatsächlichen Einflusspotenzials erlauben oder verbieten. Eine so weitreichende Änderung ist freilich dem Gesetzgeber vorbehalten.

Ein Fall für 16

Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste Boom von Livestreaming-Angeboten legt die Schwachstelle des gesetzlichen Rundfunkbegriffs schonungslos offen. Der pragmatische Ansatz der Medienanstalten ist zu begrüßen, um auch digitale Veranstaltungen vor dem "Shutdown" zu bewahren. Vor allem aber sollten die 16 Landesparlamente in den anstehenden Beratungen des Medienstaatsvertrags den bisherigen Regulierungsansatz noch einmal grundlegend überdenken.

Dr. Frederik Ferreau ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität zu Köln. Er befasst sich insbesondere mit Fragen der digitalen Medienregulierung.

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Corona-Pandemie und Medienregulierung: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41085 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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