Coronavirus: Testpf­licht jetzt auch für Geimpfte!

Gastkommentar von Rolf Merk

23.08.2021

Aktuellen Studien zufolge stecken sich auch Geimpfte häufig mit dem Coronavirus an und weisen hierbei annähernd die gleiche Virenlast auf wie Ungeimpfte. Welche juristische Fragen sich hieraus ergeben, beleuchtet Rolf Merk.

Im Januar 2021 war die (juristische) Welt noch einigermaßen in Ordnung: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Solange nicht wissenschaftlich sicher belegt ist, dass die Impfung auch vor einer Weitergabe des Virus' schützt, kommt eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften gegenüber Nicht-Geimpften nicht infrage".

Zwar wurde der Beleg für die sterile Immunität der Impfstoffe nie erbracht – aber immerhin gab es im Frühjahr 2021 aus der Wissenschaft ermutigende Hinweise darauf, dass tatsächlich – wie es auch jetzt noch auf der Seite des RKI zu lesen ist – "die Impfung das Risiko einer Virusübertragung in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen".

Vor diesem Hintergrund und auf deutliche Hinweise des Bundesverfassungsgerichts wurde sodann § 28c Infektionsschutzgesetz (Verordnungsermächtigung für besondere Regelungen für Geimpfte, Getestete und vergleichbare Personen) ins Leben gerufen, Karlsruhe war beruhigt und die Politik hatte ihr Narrativ gefunden: Lasst euch impfen und ihr kriegt eure Grundrechte zurück!    

In der Folgezeit erließen die Länder in ihren Corona-Verordnungen Ausnahmeregelungen, die meist eine Gleichstellung Getesteter und Geimpfter vorsahen. Politisch konnte man das fragwürdig finden (da im Frühsommer die Mehrheit der Deutschen überhaupt noch kein Impfangebot erhalten hatte) – aus juristischer Sicht war hiergegen aber wenig einzuwenden. Denn wenn eine Person nicht gefährlich (= infektiös) für andere ist, besteht grundsätzlich kein Grund, diese Person in ihren Freiheitsrechten einzuschränken.

Politischer und juristischer Sprengstoff

Erstaunlicherweise befindet sich die Politik noch immer an diesem Punkt und ignoriert weitgehend die aktuellen wissenschaftlichen Studien, die alle zu dem gleichen Ergebnis kommen:

Seitdem die Deltavariante vorherrscht, ist die Zahl der Impfdurchbrüche rapide angestiegen und darüber hinaus weisen die infizierten Geimpften eine annährend so hohe Virenlast auf wie Ungeimpfte.

Laut einer britischen Studie hatten die Geimpften – verglichen mit den Nichtgeimpften – sogar lediglich ein um 50 bis 60 Prozent reduziertes Risiko, sich zu infizieren. Aufgrund der allseits bekannten Schwierigkeit, die jeweilige Infektionsquelle zu finden, können die Studien leider keine Angaben dazu machen, wie hoch der Anteil der durch Geimpfte verursachten Infektionen ist. Wenn aber Jeffrey Shaman von der Columbia University die neuen Ergebnisse so interpretiert, dass "geimpfte Menschen wahrscheinlich in einem beträchtlichen Ausmaß an der Übertragung von Delta beteiligt sind“, wundert man sich schon, warum bei uns – anders als in den USA und England – diese Studien weder in den Medien noch in der Politik oder der Rechtswissenschaft große Resonanz gefunden haben. Dabei bergen sie enormen politischen und juristischen Sprengstoff.

Schutz vor Geimpften?

Infektionsschutzrecht ist bekanntlich Gefahrenabwehrrecht. Die Rechtfertigung, Geimpften mehr Rechte zu geben als Ungeimpften, beruht daher darauf, dass diese Personen im juristischen Sinne nicht "gefährlich" sind. Übertragen aber auch Geimpfte in relevanter Weise das Virus, so fällt der Grund für ihre Bevorzugung weg. Insofern wäre die richtige Fragestellung bei der letzten MPK Anfang August nicht gewesen, ob Schnelltests weiterhin kostenfrei sein sollen, sondern ob von nun an sich auch Geimpfte "freitesten" müssen. Die andere Möglichkeit – dass alles geöffnet wird und sich niemand mehr testen lassen muss – scheint für fast alle politischen Entscheidungsträger aktuell nicht in Betracht zu kommen (einzig Teile der FDP bringen diese Option aufs Tapet).

Aber was heißt das nun – ausgehend von der Prämisse, dass Geimpfte in relevanter Weise zum Infektionsgeschehen beitragen – konkret?

"Die Prävention einer Infektion ist die wirksamste, kostengünstigste und damit wichtigste Maßnahme zum Schutz vorübertragbaren Krankheiten", steht gleich zu Beginn der Begründung des Infektionsschutzgesetzes (BT-Drs. 14/2530). Dass die Politik es mit der Prävention seit Beginn der Pandemie ernst meint steht außer Frage. Hiervon ausgehend würde eine Testpflicht für Geimpfte eine wirksame und einfache Lösung des Problems darstellen (so auch führende Mediziner, etwa Weltärztepräsident Montgomery, der Immunologe Watzl oder der Epidemiologe Scholz - jeweils mit etwas anderen Ansätzen).

Anstieg der Infektionen nicht billigend in Kauf nehmen

Zwar ist zuzugeben, dass das Risiko einer Übertragung im Vergleich zu einem Ungeimpften immer noch erheblich verringert ist und daher auch juristisch zwischen diesen beiden Gruppen unterschieden werden könnte. Indes gibt es zwischen Testen und Nichttesten keinen Zwischenbereich (möglich wäre höchstens in bestimmten Fällen von Nichtgeimpften einen PCR-Test und von Geimpften "nur" einen Schnelltest zu verlangen). Und die Testpflicht bei Geimpften von weiteren Voraussetzungen (etwa Symptomen) abhängig zu machen, dürfte aufgrund der vielen asymptomatischen Infektionen wenig zielführend sein. Nimmt man dann noch die zuletzt so oft bemühte "Schutzpflicht des Staates" ins Visier, ist letztlich nur ein Ergebnis möglich: Sowohl aus epidemiologischer als auch aus juristischer Sicht muss schnellstmöglich eine grundsätzliche Testpflicht auch für Geimpfte eingeführt werden.

Will man aber weiterhin – allein um den Anreiz des Impfens zu erhöhen – hierauf verzichten, handelt man nicht nur rechtswidrig im Sinne einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung, sondern nimmt auch billigend einen Anstieg der Infektionen in Kauf.

Geimpfte nicht rechtswidrig privilegieren

Bedauerlicherweise aber geht die Entwicklung aktuell in die andere Richtung: Die Privilegierung Geimpfter wird unter völliger Ignoranz der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur fortgesetzt, sondern sogar noch vertieft. So müssen etwa Ungeimpfte nach den aktuellen baden-württembergischen und nordrhein-westfälischen Corona-Verordnungen einen negativen PCR-Test vorlegen, um Eintritt zu einer Diskothek zu erhalten, Geimpfte hingegen noch nicht einmal einen Schnelltest. Wie sich das mit dem Präventionsgedanken des Infektionsschutzgesetz und dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz vereinbaren lassen soll erschließt sich nicht und ist aus Sicht des Verfassers daher rechtswidrig.

Laut Medienberichten möchte Hamburg sogar noch einen Schritt weitergehen und plant direkt die Umsetzung von "2G" – und damit den allgemeinen Ausschluss Ungeimpfter vom gesellschaftlichen Leben. Eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin ebnet dafür den Weg: Zutritt zur Disko nur noch für Geimpfte und Genesene!

Interessanterweise ist wenig juristische Kritik an diesem Kurs zu vernehmen. Und nach der Entscheidung des VG Berlin und den bisherigen Erfahrungen mit der Rechtsprechung in der Coronakrise sollte man auch keine große Hoffnung haben, dass die Gerichte den ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen zeitnah ein Ende setzen. Immerhin hat die Bundesjustizministerin inzwischen in einem Interview mit der Welt am Sonntag erklärt, dass sie die "2G-Regelung" für verfassungswidrig halte.

Allerdings wäre für die politische und juristische Diskussion ein anderes Statement der Ministerin wichtiger gewesen: Dass sich der Rechtsstaat nicht dafür interessiert, ob eine Person geimpft oder nicht geimpft ist – sondern allein dafür, ob sie gefährlich für andere ist oder nicht.

Autor Rolf Merk ist Jurist und Vorsitzender des Stadtrechtsausschusses der Stadt Mainz und hat in dieser Funktion unter anderem auch über die Rechtmäßigkeit von Corona-Maßnahmen der Stadt Mainz zu entscheiden.

Zitiervorschlag

Coronavirus: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45795 (abgerufen am: 11.12.2024 )

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