In der Hamburger FDP formiert sich Widerstand gegen die Ankündigung der Parteispitze, gerichtlich gegen die Hotspot-Regelung im Land vorzugehen. Jungliberale warnen vor einem populistischen und juristisch aussichtslosen Schritt.
Kaum hatten Vertreter:innen der rot-grünen Regierung in Hamburg nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) angekündigt, den Stadtstaat künftig zum Corona-Hotspot zu erklären, um bis zum 30. April weiterhin schärfere Corona-Maßnahmen anordnen zu dürfen, empörten sich Vertreter:innen von AfD und FDP massiv und kündigten Klagen an.
Der Senat verlasse den zulässigen Rahmen des IfSG, wenn Hamburg zu einem Corona-Hotspot erklärt werde, so der FDP-Landesvorsitzende Michael Kruse (MdB), der noch vor wenigen Wochen als Mitglied des Bundestages für eine Änderung des IfSG gestimmt hatte. "Vermeintlich hohe Inzidenzen sind keine ausreichende Begründung für das Ausrufen einer Hotspot-Regelung. Auch die Dauerbesorgtheit von Bürgermeister Tschentscher reicht dafür nicht aus", so Kruse gegenüber der dpa. Um Hamburg zum Hotspot zu erklären, müsse eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen. "Dies ist angesichts niedriger Zahlen von Corona-Patienten auf den Hamburger Intensivstationen nicht erkennbar", so Kruse. Ähnlich reagierte auch die AfD.
Seit Mittwoch ist die Hotspot-Regelung in Hamburg nunmehr beschlossene Sache. In der Bürgerschaft bekam ein entsprechender Antrag der rot-grünen Koalition die Mehrheit. "Die Bürgerschaft stellt gemäß § 28a Absatz 8 Satz 1 lfSG fest, dass in der Freien und Hansestadt Hamburg durch eine epidemische Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) die konkrete Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage besteht". Bis zum 30. April besteht daher in Hamburg u.a. Maskenpflicht in Innenräumen und im Einzelhandel. Auch die 2G-plus-Regel für Geimpfte oder Genesene mit zusätzlichem negativem Test bei Tanzveranstaltungen gilt weiter. In den Schulen gilt die Maskenpflicht, Schüler:innen und Lehrer:innen dürfen die Masken allerdings an ihren Arbeitsplätzen im Unterricht abnehmen.
Landesparteitag soll sich gegen Klage aussprechen
Dass nun in den Medien – unter anderem bei LTO – die Aussagen des Landesvorsitzenden so interpretiert werden, als unterstütze die Hamburger FDP geschlossen als Partei ein juristisches Vorgehen gegen die Hotspot-Regelung, treibt nun einige Mitglieder in der Hansestadt zur Weißglut. Vertreter der Jungliberalen (Julis), wie etwa Carl Cevin-Key Coste, wollen auf dem Landesparteitag der FDP am kommenden Wochenende erreichen, dass sich die Partei ausdrücklich von der Ankündigung ihres Landesvorsitzenden distanziert. Der Jurist, der als Sprecher für Innen und Recht zurzeit die Jungen Liberalen im FDP-Landesvorstand vertritt, hat dazu einen Antrag eingereicht, in dem er davor warnt, dem Vorschlag Kruses zu folgen.
Coste ist davon überzeugt, dass das juristische Gefecht gegen die Anwendung einer Regelung, die die Partei im Bund sogar ausdrücklich mitbeschlossen hat, nicht zu gewinnen ist. "Nicht alle Ideen der politischen Mitbewerber sind rechts- oder verfassungswidrig, nicht auf jeden Zug müssen wir aufspringen und Klagen als PR-Aktionen sind für eine Rechtsstaatspartei unwürdig", so Coste.
Am Samstag solle daher der Parteitag beschließen, dass die FDP Hamburg nicht gegen die Feststellung des Corona-Hotspots in Hamburg klagt. Die Position der rot-grünen Bürgerschaftsmehrheit, wonach angesichts der im März stark angestiegen Fallzahlen und der vielen Corona-Fälle unter Beschäftigten in Hamburgs Krankenhäusern eine Überlastung drohe, sei jedenfalls, so Coste, "nicht unvertretbar".
Juli-Vorsitzende Bardenhewer: "Juristische Schritte noch zu diskutieren"
Coste wirft seinem Landesvorsitzenden, der kein Jurist ist, nicht nur fachliche Unzulänglichkeit vor, sondern kritisiert auch dessen unabgestimmtes Auftreten gegenüber den Medien. Mit seinen Äußerungen habe er den Eindruck erweckt, als spreche er bei diesem Thema für die Partei. Dabei, so Coste, liege ein entsprechender Beschluss des Landesvorstandes dazu nicht vor. Außerdem wundere er sich, "dass Herr Kruse für seine Privatangelegenheiten den offiziellen Verteiler der Partei benutzt und sich als Landesvorsitzender zitieren lässt".
Der Parteitag am Wochenende möge daher beschließen, dass in Zukunft Klageankündigung und Klagen im Namen der FDP Hamburg oder in Ausübung eines Amtes der FDP Hamburg nur nach Beschluss des Landesvorstandes durchzuführen seien. Außerdem sollten juristische Schritte "nicht als Mittel der allgemeinen Pressearbeit zu missbraucht werden".
Costes Nachfolgerin, die gerade als erste Frau ins Amt gewählte Juli-Vorsitzende Theresa Bardenhewer, teilt dessen Sorgen. Auch sie sieht die Erfolgsaussichten einer Klage kritisch: "Nicht zuletzt haben die Gerichte in den letzten Monaten immer wieder die weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers betont", sagt die Jurastudentin gegenüber LTO. Ob die FDP Hamburg hier juristisch oder politisch vorgehen sollte, müsse innerparteilich diskutiert werden, etwa im Landesvorstand oder auf dem Landesparteitag.
FDP-Landesvorsitzender: "Großer Zuspruch aus Reihen der Bundespartei"
Unterdessen ist sich der gescholtene Landesvorsitzende selbst auf LTO-Nachfrage keines Fehlverhaltens bewusst – weder was sein Auftreten in der Öffentlichkeit anbelangt noch in der Sache selbst: Schließlich habe er sich als Privatmann, als von den Maßnahmen betroffene Person, entschlossen zu klagen. Ein Beschluss des Landesvorstandes sei insofern nicht erforderlich.
Und ob sich der Landesparteitag überhaupt mit dem gegen ihn gerichteten Antrag befassen werde, darüber müsse erstmal abgestimmt werden. "Es gibt mehrere weitere Personen im FDP-Landesvorstand, die gewillt sind zu klagen", verrät Kruse. Zudem erfahre er großen Zuspruch aus Reihen der Bundespartei und anderer Landesverbände, die klagen wollen oder gegen die Ausrufung einer möglichen landesweiten Hotspot-Regelung ihrer Landesregierungen geklagt hätten.
Anders als die jungen Jurist:innen in seiner Partei beurteilt Volkswirt Kruse die Erfolgswahrscheinlichkeit seiner Klage als sehr hoch: "Hamburg droht aktuell keine Überlastung des Gesundheitssystems. Der Auslastungsgrad der Intensivbetten ist moderat und gehört bundesweit zu den niedrigsten." Ein Hotspot könnte etwa erklärt werden, wenn Patientinnen und Patienten aus Hamburg verlegt werden müssten.
Der gehörige Wirbel um die Voraussetzungen der neuen Hotspot-Regel veranlasste FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann am Mittwoch zu einer Klarstellung auf Twitter: "Für die Hotspot-Regel gelten hohe Hürden, damit wir von den pauschalen und flächendeckenden massiven Freiheitseinschränkungen wegkommen. Denn geht die Gefahr zurück, dann müssen auch die Gefahrenabwehrmaßnahmen zurückgefahren werden."
Hamburger FDP streitet über Klage gegen Hotspot-Regelung: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48007 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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