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Eilanträge Berliner Gastronomen gegen Lockdown: "Ver­fas­sungs­wid­rig­keit auf die Stirn geschrieben"

von Hasso Suliak

02.11.2020

Ein leeres Restaurant

(c) Riku/stock.adobe.com

"Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz, unverhältnismäßig und ohne hinreichende gesetzliche Legitimation" – Berliner Gastronomen haben Eilanträge gegen die Schließungen ihrer Betriebe eingereicht. Das VG Berlin hat mit ihrer Prüfung begonnen.

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Mit Spannung wird erwartet, wie die Gerichte über Klagen gegen die neuen Corona-Regeln entscheiden. Ob sie erfolgreich sein werden, wird insbesondere angesichts gestiegener Infektionszahlen sowie geplanter staatlicher Entschädigungen von Einigen bezweifelt. Noch in dieser Woche könnte nunmehr das Verwaltungsgericht (VG) Berlin über erste Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen von Berliner Gastronomen entscheiden. Sie protestieren gegen die seit Montag geltende vollständige Schließung ihrer Betriebe. Beim VG sind bis Montagmittag bereits rund 30 entsprechender Anträge eingegangen. Die meisten von ihnen vertritt der Berliner Rechtsanwalt Prof. Niko Härting.

In seinem 55-seitigen Schriftsatz, der LTO vorliegt und in dem die Eilanträge von 22 Gastronomen zusammengefasst sind, wird ausführlich begründet, warum der Gastro-Lockdown aus seiner Sicht unter diversen Aspekten verfassungswidrig ist. Der Berliner Verordnung, die die Gastronomie hart treffe, stehe u.a. der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art.3 Grundgesetz) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip geradezu "auf die Stirn geschrieben".

Berliner Brauereigasthöfe, Cocktailbars, Cafés oder Restaurants: Sie alle wehren sich gegen eine erneute Betriebsschließung, die ihnen auf Grundlage der neuen Berliner Corona-Verordnung mindestens bis zum 30.November blüht. Wie bereits im Frühjahr drohen ihnen erhebliche Umsatzeinbußen – und zwar laut Rechtsanwalt Härting auch für den Fall, dass die Bundesregierung ihre Ankündigung wahrmacht und den Betreibern bis zu 75 Prozent des letztjährigen November-Umsatzes erstattet.

Reichen zehn Milliarden für Entschädigungen?

Auch dann liefen die Betreiber laut Antrag Gefahr, dass sie ihre Existenz verlieren. Ein Umsatzverlust in Höhe von 25 Prozent sei für sie erheblich, heißt es. Dieser lasse sich nicht durch Einrichtung eines aufwändigen und kostenintensiven Liefer- und Abholservices kompensieren. Und überhaupt haben die Antragsteller Zweifel an einer angemessenen staatlichen Entschädigung: Ob die von der Regierung angekündigten zehn Milliarden Euro überhaupt ausreichten, um die ebenfalls neben den rund 184.000 gastronomischen Einrichtungen erfassten Schließungen von Theatern, Messen, Kinos, Opern, Schwimmbädern, Bordellen, Fitnessstudios oder Kosmetikstudios ausgleichen zu können, sei fraglich.

Warum der "Lockdown" für die Gastronomie rechtswidrig ist, begründen Härting und sein Anwaltsteam minutiös und anhand diverser Hinweise auf Äußerungen des Robert Koch-Instituts (RKI) und von Verfassungsrechtlern. Vorneweg stellt er gegenüber dem Gericht klar: Bei seiner Mandantschaft handele es sich keineswegs um "Corona-Leugner oder Verschwörungstheoretiker". Im Gegenteil: "Allen ist der Ernst der pandemischen Lage bewusst. Niemand verkenne, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das Infektionsgeschehen zu bremsen".

Allerdings verlange man vom Berliner Senat ein "faires und stimmiges Konzept" der Krisenbewältigung. "Es kann nicht richtig sein, dass Gaststätten nur deshalb geschlossen werden, weil man dort mit geringerem Widerstand rechnet als dies bei einer Schließung von Autohäusern, Shopping-Malls oder Baumärkten der Fall wäre", heißt es im Schriftsatz.

Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit bis zu 50 Personen zulässig

Die Gastronomen rügen unter verschieden Aspekten "eklatante Verstöße" gegen die Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit: Dorn im Auge ist ihnen vor allem, dass die Berliner Verordnung nach § 6 Abs. 2 zulässt, dass Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen bis zu 50 Personen erlaubt seien, solange dort keine Gastronomie stattfindet oder Theater gespielt wird. "Man denkt, nicht richtig gelesen zu haben", heißt es in dem Schriftsatz verwundert. Nicht zuletzt habe auch das RKI immer wieder klargestellt, dass es keine Hinweise auf gesteigerte Infektionsrisiken in der Gastronomie gebe.

Das Institut hatte seinerzeit bestätigt, dass Restaurants letztlich keine "Treiber der Pandemie" sind und die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln in der Gastronomie mehrheitlich erfolgreich funktionieren würde. Auch in den konkreten Gasstätten der Antragsteller habe es niemals Corona-Ausbrüche gegeben, schreibt Härting. Vielmehr hätten diese mit viel finanziellem Aufwand und Anstrengungen umfassende Hygienekonzepte erstellt und umgesetzt. "Dies taten sie im Vertrauen darauf, ihre Gaststätten geöffnet halten zu können und nicht wieder schließen zu müssen."

Statt einer kompletten Schließung, so der Anwalt, kämen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch mildere Mittel, etwa die Einführung verschärfter Hygieneregeln, in Betracht: "Es besteht die Möglichkeit, die Abstände zwischen den Tischen oder die Anzahl der Gäste strenger zu regeln", so Härting.

"U-Bahnen weiterhin überfüllt"

Nicht nachvollziehen können die Berliner Gastronomen überdies, warum in andere Branchen und an anderen Orten Menschenansammlungen weiterhin erlaubt bleiben, in Restaurants jedoch nicht: Friseursalons, Groß- und Einzelhandel, Gottesdienste sowie generell Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit bis zu 50 Personen, aber auch Fertigungsbetriebe, Büros, Kindergärten und Schulen dürften im November offen bleiben:  "Warum hier zahlreiche Menschen auf engem Raum über einen längerem Raum zusammen kommen können, in Gaststätten mit teilweise weniger Platzangebot und mit ebenso effizienten Hygiene- und Abstandsregeln jedoch nicht, ist nicht nachvollziehbar."

Auch ein Vergleich mit dem öffentlichen Nahverkehr wird herangezogen: "Die Antragsteller fragen sich auch, weshalb die U-Bahnen weiterhin überfüllt sind und Gasträume nicht einmal mit einer verringerten Gästezahl betrieben werden dürfen."

"Ohne hinreichende gesetzliche Legitimation"

Neben hinreichender Würdigung der Aspekte Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit vermissen die Gastronomen aber vor allem auch eine angemessene gesetzliche Grundlage für die Schließungen. Schließlich handele es sich bei ihnen um schwere Grundrechtseingriffe, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einer parlamentarischen Grundlage bedürfen, sagt Härting. Rechtsstaatlich bedenklich und ein Verstoß gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts sei es, dass alle Corona-Maßnahmen seit mehr als sieben Monaten auf dem Verordnungswege angeordnet würden.

"Im neunten Monat der Pandemie lassen sich Corona-Maßnahmen nicht mehr auf die dünne Verordnungsermächtigung des § 32 Infektionsschutzgesetz stützen", so Härting. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es daher rechtswidrig, wenn der Berliner Senat per Verordnung und ohne hinreichende gesetzliche Legitimation Verbote erlässt, die gesamte Branchen betreffen.

Kritik von Verfassungsrechtlern und Richterbund

Um diese Argumentation zu stützen, bemüht Härting die Expertise namhafter Juristen, die sich "dieser wachsenden Kritik an mangelnden Gesetzesgrundlagen und parlamentarischer Beteiligung" angeschlossen hätten. Im Schriftsatz folgen Einschätzungen der ehemaligen Bundesverfassungsrichter Prof. Ferdinand Kirchhof, Hans-Jürgen Papier, aber auch Staatsrechtler und Verfassungsrechtler wie Prof. Christoph Degenhart oder Prof. Christoph Möllers werden zitiert. Ebenso zu Wort kommt der Deutsche Richterbund (DRB): Dieser hatte im Oktober gegenüber dem Handelsblatt eine stärkere Parlamentsbeteiligung angemahnt. Nur in der ersten Phase der Pandemie sei es vertretbar gewesen, Freiheitsrechte durch Verordnungen der exekutive einzuschränken.

Wann das VG Berlin über die Anträge der Berliner Gastronomen nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung befinden wird, ist noch offen. Gerechnet wird mit ersten Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz gegen die neuen Corona-Maßnahmen noch in dieser Woche.

Für Rechtsanwalt Niko Härting und seine 22 Mandanten ist jedenfalls klar: "Ein Abwarten auf das Hauptsacheverfahren ist für die Antragsteller nicht zumutbar, da ihnen andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre." Einige der Antragsteller bezifferten ihre Umsatzausfälle infolge der Auswirkungen der Pandemie im Jahr 2020 schon jetzt auf hohe sechsstellige Eurobeträge.

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Hasso Suliak, Eilanträge Berliner Gastronomen gegen Lockdown: "Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben" . In: Legal Tribune Online, 02.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43287/ (abgerufen am: 05.06.2023 )

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