Nancy Faeser geht mit einem Vereinsverbot gegen "geistige Brandstifter" des neurechten Compact-Magazins vor. Doch erlaubt das Vereinsrecht überhaupt ein Verbot von Medien? Experten haben Zweifel.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am Dienstag das vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als rechtsextremistisch eingestufte Compact-Magazin verboten. Das Verbot ist im Bundesanzeiger veröffentlicht. Nach Angaben ihres Ministeriums durchsuchten Einsatzkräfte am frühen Morgen Räumlichkeiten der Redaktion sowie Wohnungen führender Akteure, der Geschäftsführung und von Anteilseignern in Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Ziel der Razzia sei die Beschlagnahmung von Vermögenswerten und Beweismitteln, hieß es in einer Mitteilung des BMI. Unter anderem wurde ein Haus im brandenburgischen Falkensee durchsucht, dessen Adresse im Impressum des Magazins genannt wird.
Faeser begründet das Verbot damit, dass "Compact" ein "zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene" sei. Es ist laut der Mitteilung auf § 3 Abs. 1 Vereinsgesetz (VereinsG) i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) gestützt. Gemäß Art. 9 Abs. 2 GG sind solche Vereinigungen verboten, "deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten". § 3 VereinsG stellt klar, dass das Vorliegen dieser Voraussetzungen durch eine Verbotsbehörde festgestellt werden muss.
Formal handelt es sich damit um ein Vereins- und nicht um ein Medienverbot. Es bezieht sich auf zwei Gesellschaften, die das Magazin bzw. den Online-Kanal "Compact TV" ver- bzw. betreiben: die COMPACT-Magazin GmbH und die CONSPECT FILM GmbH. Die Gesellschaften sind damit zugleich aufgelöst. Demgegenüber sprach Faeser am Montag davon, "das Magazin" verboten zu haben. Auch wird das Verbot laut Mitteilung ausschließlich mit den redaktionellen Inhalten des Magazins und von "Compact TV" begründet. Ist ein solches faktisches Medienverbot über das Vereinsrecht zulässig?
Vereinsgesetz überhaupt anwendbar?
Fraglich ist, ob das VereinsG hier überhaupt anwendbar ist. Denn im Gegensatz zum Vereinsrecht liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Presserecht nicht beim Bund, sondern bei den Ländern. David Werdermann, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), ist der Auffassung, dass es sich bei dem Verbot in der Sache um eine Pressregulierung handele, welche in die Gesetzgebungskompetenz der Länder falle. "Das Vereinsgesetz ist insofern verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Verbote nicht ausschließlich mit den Inhalten eines Presseerzeugnisses begründet werden können", argumentiert Werdermann gegenüber LTO.
Diese Frage war auch schon Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu "linksunten.indymedia" aus dem Jahr 2020, bei der die GFF als amicus curiae auftrat. Das BVerwG entschied allerdings, dass das VereinsG prinzipiell durchaus anwendbar sei, weil es auch Organisationen erfasst, deren Zweck allein Pressetätigkeit ist.
Werdermann bezweifelt, ob das vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte. Dieses hat die Frage noch nicht beantwortet: Im März 2023 nahm es eine gegen die Entscheidung des BVerwG gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Betreiber von linksunten.indymedia hätten eine Grundrechtsverletzung durch das Urteil des BVerwG nicht hinreichend dargelegt. Inwiefern das Vereinsrecht ein Medienverbot stützen kann, ließen die Karlsruher Richter offen. LTO berichtete.
Auch Rechtsprofessor Christoph Gusy (Universität Bielefeld) äußert gegenüber LTO Bedenken, dass mangels Gesetzgebungskompetenz das Vereinsrecht ein solches Presseverbot nicht tragen könne. Er betont, dass § 3 VereinsG eine Schrankenregelung zur Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), nicht aber zur Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) sei. "Selbständige Eingriffe in Art. 5 GG dürfen nicht auf das VereinsG gestützt werden", so Gusy. Ein Verbot könne allenfalls gegen einen Verein ergehen, dessen "notwendiger Zweck" der eines Presseorgans sei. "Dann wäre das Zeitungsverbot eine Art 'Annex' eines Vereinsverbots. Aber selbst das ist noch keineswegs geklärt."
Tragen die Inhalte ein Verbot?
Auch wenn das Vereinsrecht das Verbot grundsätzlich tragen kann, fragt sich, ob die konkreten redaktionellen Inhalte von Compact ein Verbot rechtfertigen. Das wäre nach Art. 9 Abs. 2 GG der Fall, wenn sie "den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten". Faeser stützt das Compact-Verbot auf den zweiten Fall, also eine verfassungsfeindliche Ausrichtung.
Für das Verbot einer Organisation reicht es allerdings nicht, wenn diese eine verfassungsfeindliche Haltung vertritt. Weitere Voraussetzung ist, dass sie dies auch in aggressiv-kämpferischer Form tut. In seiner Mitteilung führt das BMI dazu aus, es sei zu befürchten, dass Leser und Zuschauer der Medienprodukte von Compact durch die Publikationen, die auch "offensiv den Sturz der politischen Ordnung propagieren, aufgewiegelt und zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung animiert werden".
Schon 2022 hatte der Verfassungsschutz festgestellt, das von Chefredakteur Jürgen Elsässer geleitete Magazin trage "als multimediales Unternehmen demokratiefeindliche und menschenwürdewidrige Positionen in die Gesellschaft". 2020 hatte das BfV Compact als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft, seit 2021 beobachtet es die Publikation als gesichert rechtsextrem. Elsässer und andere führende Akteure des Magazins unterhalten Kontakte zu wichtigen Akteuren der sogenannten Neuen Rechten.
Insoweit weist GFF-Jurist Werdermann darauf hin, dass das BVerwG in seiner Entscheidung zu linksunten.indymedia festgestellt habe, dass ein Verbot nicht auf Meinungsäußerungen und Pressetätigkeiten gestützt werden dürfe, die den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit genießen. Damit ist inbesondere fraglich, inwiefern links- oder rechtsextreme Inhalte unterhalb der Strafbarkeitsschwelle ein Verbot einer Publikation rechtfertigen können.
"Wir wollen dieses Regime stürzen"
Klar ist, dass das BMI die Voraussetzungen für ein Verbot anhand einzelner Publikationen genau belegen muss. Auf welche Beiträge das BMI das Verbot genau stützt, ist bislang nicht bekannt.
Am Dienstag begründete Faeser das Verbot allgemein damit, dass das Compact-Magazin "auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie hetzt". Das Verbot zeige, "dass wir auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen, die ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen". Darüber hinaus teilte das BMI zur Begründung mit, es sei zu befürchten, dass Leser und Zuschauer von Compact "aufgewiegelt und zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung animiert werden". Die Publikationen seien "rassistisch, antisemitisch, minderheitenfeindlich, geschichtsrevisionistisch" und "verschwörungstheoretisch", einige "propagieren offensiv den Sturz der politischen Ordnung".
Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird eine Aussage Elsässers auf der Compact-Homepage vom Juni 2023 zitiert : "Wir wollen dieses Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, indem wir uns hinter den warmen Ofen oder den Computer verziehen und irgendwelche Texte wie eine Laubsägenarbeit auf den Markt bringen. Sondern das Ziel ist der Sturz des Regimes." Es dürften solche Aussagen sein, mit denen das BMI eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung zu belegen sucht.
Komplettverbot könnte unverhältnismäßig sein
Gelingt das, müsste es schließlich verhältnismäßig sein, die Verlagsgesellschaft komplett zu verbieten, aufzulösen und ihr Vermögen einzuziehen. In seiner linksunten-Entscheidung betonte das BVerwG, dass im Rahmen der Abwägung die besondere Bedeutung der Medien- und Pressefreiheit zu berücksichtigen sei. Gusy erklärt das gegenüber LTO damit, dass die Pressefreiheit für die freiheitliche Demokratie "schlechthin konstituierend" sei. Auch sei deshalb besondere Vorsicht geboten, weil die besonderen Schrankenbestimmungen des Art. 5 GG für Publikationsorgane "im Vereinsrecht nicht abgebildet werden". Das gilt insbesondere für das Erfordernis eines allgemeinen Gesetzes gemäß Art. 5 Abs. 2 GG und die unmissverständliche Wertung des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG: "Eine Zensur findet nicht statt."
Das BMI teilte dazu am Dienstag nur knapp mit, dass angesichts der vorgenannten, die verfassungsmäßige Ordnung gefährdenden Inhalte die "Meinungs-, Presse-, und Rundfunkfreiheit hinter dem mit dem Vereinsverbot verfolgten Ziel zurückstehen" müssten.
Werdermann mahnt in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit an, dass auch die Möglichkeit milderer Mittel zu prüfen sei. Werden strafbare oder rechtswidrige Beiträge publiziert, so wäre es ggf. angezeigt, dass die Medienaufsicht darauf hinwirkt, dass diese offline gestellt werden, und dass ggf. die Staatsanwaltschaft ermittelt, anstatt die Vertreibergesellschaft insgesamt zu verbieten.
Der GFF-Jurist weist in dem Zusammenhang auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2010 hin. Der Gerichtshof hielt das Komplettverbot mehrerer türkischer Tageszeitungen für einen unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Meinungs- und Pressefreiheit). Nach Einschätzung von Werdermann greifen diese Grundsätze auch im vorliegenden Fall ein. Das Verbot von Compact könnte also ein juristisches Nachspiel nicht nur in Leipzig und Karlsruhe, sondern auch in Straßburg haben – mit ungewissem Ausgang.
• Die wichtigsten Rechtsdebatten des Landes. Verständlich und kurzweilig im LTO-Podcast "Die Rechtslage". Reinhören und abonnieren:
Mit Material der dpa
Der Beitrag wurde am Tag der Veröffentlichung um 18:20 Uhr aktualisiert.
Kritik am Vorgehen des BMI: . In: Legal Tribune Online, 16.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55007 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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