Zahlreiche Sicherheitsbehörden arbeiten an Strategien, mittels derer man gegen kriminelle Clanstrukturen vorgehen möchte. Dabei wird ein besonders wirkungsvoller Ansatz aus dem Gefahrenabwehrrecht außer Acht gelassen, so Florian Albrecht.
Ein einheitliches Verständnis über den Begriff "Clankriminalität" gibt es bislang nicht. Fest steht allerdings, dass unter dieses Phänomen vor allem bestimmte türkisch-arabischstämmige bzw. libanesische Großfamilien zu rechnen sind, sofern diese ihre Familienstrukturen bewusst einsetzen, um mittels Gewaltanwendung und anderen kriminellen Mitteln Familieninteressen durchzusetzen. Zunächst einmal handelt es sich bei den Clans also um Großfamilien.
Für sich allein genommen ist diese Bewertung allerdings zu einseitig. Sofern Angehörige von Großfamilien kriminelle Strukturen schaffen, wird es sich bei diesen nämlich zusätzlich auch um Vereine im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bzw. § 2 Abs. 1 Vereinsgesetz (VereinsG) handeln. Maßgeblich ist insoweit nicht unser tradiertes Vereinsverständnis vom "eingetragenen Sportverein", sondern vielmehr, dass sich in den Clans mehrere Personen für eine längere Zeit zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks freiwillig zusammengeschlossen haben und hierzu nach einem die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen beschränkenden Clanwillen handeln.
Dies führt zu dem Ergebnis, dass man die legale Ziele verfolgende Familie mit Ihren Angehörigen von dem kriminellen Clan mit seinen Mitgliedern zumindest in juristischer Hinsicht unterscheiden muss. Freilich kann es hier auch eine ggf. vollständige personelle Identität geben, was aber rechtlich gesehen nichts Außergewöhnliches ist, denn schließlich kann sich auch eine Familie entscheiden, geschlossen in einen Sportverein einzutreten oder diesen zu gründen. Überdies können sich Familienangehörige aber auch aus den Clanaktivitäten gänzlich heraushalten. Letztgenannte sind dann auch kein Vereinsmitglied.
Zwingendes Verbot bei verfassungswidrigen Bestrebungen
Verfolgen nun solche vereinsmäßig organisierten Clans strafgesetzwidrige oder verfassungsfeindliche Ziele, so müssen sie zwingend verboten werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jüngst nämlich darauf hingewiesen, dass ein Verein, der einen Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt, verboten werden muss (BVerfG, Beschl. v. 13.07.2018, Az. 1 BvR 1474/12). Wer trotz des Fehlens wirkungsvoller Alternativen dennoch nicht verbietet, stellt sich folglich gegen das Grundgesetz. Durch diese klare Positionierung gegen eine in das behördliche Ermessen gestellte Verbotspraxis soll bspw. eine politische Instrumentalisierung und Inszenierung des vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens verhindert werden.
Entscheidend für das Vorliegen eines Verbotsgrundes ist hier nun die Feststellung der kriminellen Prägung eines ins Visier der Behörden geratenen Clans. Die einschlägige Rechtsprechung lässt es in bestimmten Fällen bereits ausreichen, wenn nur eine einzelne Straftat festgestellt wird, die man einer solchen Gruppierung zurechnen kann (vgl. Oberverwaltungsgericht Schleswig, Urt. v. 13.11.2012, Az. 4 KS 1/10). Nach dem aktuellen Lagebild Clankriminalität von Nordrhein-Westfalen werden den erfassten Großfamilien viele tausende Straftaten zugerechnet, darunter auch 26 Tötungsdelikte (in den Jahren 2016 bis 2018).
Diese Straftaten wird man den Clans überdies auch regelmäßig zurechnen können, sofern sie über Strukturen verfügen, die ihre Mitglieder bei der Tatbegehung bestärken, die Taten erleichtern, ermöglichen oder sofern die kriminellen Handlung zumindest gebilligt werden. Dass solche strafgesetzwidrigen Vereine bislang nicht verboten wurden, ist unverständlich. Sollten Clans zudem auf dem Gebiet der Terrorismusfinanzierung tätig sein, wofür es bisher keine offiziellen Belege gibt, so wäre zudem auch über Verbote wegen kämpferisch-aggressiven Vorgehens gegen unsere verfassungsmäßige Ordnung nachzudenken (zur Verbotsfolge dann § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch).
Eingriff in Familienleben wäre irrelevant
Unerheblich ist übrigens, dass sich solche Vereins- bzw. Clanverbote auch auf das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben auswirken können. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass man aus juristischer Sicht zwischen der durch legale Aktivitäten (bspw. Hochzeiten) geprägten Familie einerseits und dem kriminellen Verein andererseits unterscheiden muss. Das Vereinsverbot führt nur zur Zerschlagung krimineller Strukturen, nicht aber der Familie an sich.
Sieht man dennoch den Schutz der Familie als tangiert an, so wird diese mit der negativen Verwaltungsentscheidung, dem Vereinsverbot, leben müssen. Der Eingriff wäre nämlich gerechtfertigt, sofern aus ihr heraus Straftaten begangen und Schäden angerichtet wurden, ohne dass sich Familienangehörigen hiervon distanziert und bspw. mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet hätten.
Nur eine klare und unzweifelhafte Distanzierung von kriminellen Aktivitäten wird rechtsstaatlichen Anforderungen des Gefahrenabwehrrechts gerecht. Deswegen kann etwa auch ein Verein, dessen Mitglieder kriminelle Handlungen begehen, ein Vereinsverbot dadurch verhindern, dass er mit den Mitteln des Vereinsstrafrechts wirkungsvolle Sanktionen ergreift, die bis hin zum Ausschluss der Täter führen können. Ein Clan bzw. eine Großfamilie muss staatliche Sanktionen nicht befürchten, wenn sie sich entschlossen auf die Seite des Rechts stellt. Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?
Folge des Verbots: Entzug des verstrickten Vermögens
Das vereinsgesetzliche Verbot hat zunächst einmal zur Folge, dass den Clans ihr in verfassungswidrige Bestrebungen verstricktes Vermögen entzogen wird (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG). Weitergehende Strafsanktionen treffen die Mitglieder einer solchen Großfamilie nur dann, wenn ihre Angehörigen weiterhin in zurechenbare strafgesetzwidrige oder verfassungsfeindliche Aktivitäten verwickelt sind. Der polizeiliche Kontrollaufwand wird in diesem Zusammenhang freilich hoch sein.
Sinnvoll scheint es überdies, dass sich die Sicherheitsbehörden praktische Erfahrungen im Umgang mit Clans zunutze machen. Der deutsche Islamwissenschaftler und Clankenner Ghadban weist im Interview mit Welt Online darauf hin, dass sich seine persönliche Bedrohungslage erst durch ein arabischsprachiges TV-Interview zugespitzt habe. Die damit einhergehende Information der arabischen Öffentlichkeit über kriminelle Clanaktivitäten in Deutschland werde von den betroffenen Familien nämlich als Ehrverlust verstanden, der in unserer von ihnen verachteten Gesellschaft nicht bewirkt werden könne.
Wenn man aus diesen Einschätzungen die richtigen Schlussfolgerungen zieht, steht eigentlich fest, wo die Sicherheitsbehörden den Hebel bei der Bekämpfung der Clankriminalität effektiv ansetzen können: Gegen kriminelle Clans gerichtete Verbotsverfügungen müssen zwingend auch in die einschlägigen Landessprachen übersetzt und in den Herkunftsländern publik gemacht werden. Der damit einhergehende Ehrverlust kann zum Gegensteuern veranlassen. Jedem Clanmitglied steht es dann nämlich frei, sich durch wirkungsvolle Distanzierung auf die Seite unseres Rechtsstaats zu stellen und so die durch kriminelle Aktivitäten beschmutzte "Familienehre" wiederherzustellen.
Der Autor ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Überdies ist er Mitherausgeber und –autor eines Kommentars zum Vereinsgesetz.
Bekämpfung von Clankriminalität: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36125 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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