2/2: Nur selten gelangt ein Fall bis zum Gerichtshof
Das Gericht urteilt auf der Grundlage des französischen Strafrechts, Lagarde würden im Falle einer Verurteilung bis zu ein Jahr Haft und 15.000 Euro Geldstrafe drohen.
Ihr Anwalt Patrick Maisonneuve wies den Vorwurf der Fahrlässigkeit zurück, er und die übrigen Verteidiger wollten den Beginn des Verfahrens sogar vertagen lassen, weil die Ermittlungen der Behörden im ordentlichen Verfahren noch liefen : "Ich sehe nicht, wie der Gerichtshof in wenigen Tagen sagen könnte, ob es eine Veruntreuung gab, obwohl selbst die Pariser Ermittlungsrichter seit mehreren Jahren mit dieser Frage befasst sind und noch nicht entschieden haben."
Sogar die Staatsanwaltschaft plädierte für die Einstellung des Verfahrens gegen Lagarde. Und dennoch muss man nicht zwingend davon ausgehen, dass das Verfahren gegen die ehemalige Chefin der internationalen Großkanzlei Baker McKenzie ergebnislos verlaufen wird, erklärt Prof. Dr. Florian Bien von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg: "Bevor ein Fall vor den Gerichtshof der Republik gelangt, wird er von der Commission des requêtes und der Commission d'instruction geprüft. Das sind immerhin Gremien, die nicht politisch zusammengesetzt sind. Sie bestehen vielmehr aus Mitgliedern der obersten französischen Gerichte – und damit aus hoch angesehenen Richtern und Beamten, die eben nicht aus dem Parlament stammen." Der ganz überwiegende Teil aller Fälle, fast 97 Prozent, scheitere schon an dieser Art Vorauswahl, sagt Bien.
Verfahren besonders öffentlichkeits- und medienwirksam
Doch auch wenn zwei mit Top-Juristen besetzte Instanzen darüber entscheiden, ob ein Fall vor dem Gerichtshof der Republik landet, entschärft das nicht die Kritik, dass letztendlich juristische Laien über eine strafrechtliche Verurteilung maßgeblich mitentscheiden.
Die werde vielmehr durch die Entscheidungspraxis abgedämpft: "Auch wenn die Stimmen der Parlamentarier denen der Berufsrichter gleichwertig sind, dürften sich zumindest einige der juristischen Laien unter den abstimmenden Parlamentariern von der fachlichen Autorität der Berufsrichter leiten lassen", so Bien. Das Risiko einer zu stark politisierenden Entscheidung werde zudem dadurch minimiert, dass die sechs Richter aus dem Parlament in geheimer Wahl die absolute Mehrheit erreichen müssen. "Das dürfte Extremkandidaten verhindern", so der Professor.
Zuletzt könnte die ehemalige Finanzministerin gegen eine Verurteilung noch vor das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, den Kassationshof, ziehen, erläutert Bien: "Eine Berufung gegen Urteile des Gerichtshofs der Republik ist nicht möglich, aber immerhin die Revision. Der Cour de Cassation wäre so wiederum beteiligt, wenn Rechtsmittel eingelegt werden." Damit würden wieder Berufsrichter entscheiden und den Fall gegebenenfalls an ein neu zusammengestelltes Gremium am Gerichtshof der Republik zurückverweisen. "In der Praxis droht also weniger die willkürliche Abrechnung mit einem politischen Gegner, sondern eher das Gegenteil: ein zu mildes Urteil. Das zeigt zumindest die Bilanz der bisherigen Fälle", fasst Bien zusammen.
Ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Republik unterscheidet sich von einem der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Wesentlichen also durch seine besondere öffentliche Wirkung, die Medienwirksamkeit und damit einhergehend durch den politischen Druck, den eine Verurteilung ausübt. Denn ob Lagarde in einem solchen Falle ihren derzeitigen Posten beim IWF verlöre, steht nicht fest. Darüber müsste die Organisation im Anschluss selbst entscheiden.
Mit Material von dpa
Marcel Schneider, Gerichtshof der Republik Frankreich: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21434 (abgerufen am: 12.09.2024 )
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