Vorermittlungen gegen Lindner wegen Vorteilsannahme: Pres­se­aus­kunft der Staats­an­walt­schaft rechts­widrig?

Gastbeitrag von Dr. Christian Conrad

09.01.2023

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Medien mitgeteilt, dass sie die Aufnahme von Ermittlungen gegen Christian Lindner prüfe. Für Christian Conrad verletzt eine solche Mitteilung ohne Anfangsverdacht die Persönlichkeitsrechte des Finanzministers.

Medial verursachte der "Exklusiv-Artikel" des Tagesspiegel vom 08.01.2023 einen Riesenwirbel: Die "Korruptionsabteilung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft" prüfe die "Aufhebung von Lindners Immunität als Abgeordneter, um förmlich ermitteln zu können". Es drohe ein "Strafverfahren wegen Vorteilsannahme" (vgl. § 331 Strafgesetzbuch (StGB)). Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft wurde konkret wie folgt zitiert:

"Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ist – wie in solchen Fällen üblich und ohne dass damit schon eine Aussage über das Vorliegen eines Anfangsverdachts getroffen wird (...) in eine bei Abgeordneten in Hinblick auf deren Immunität übliche Vorprüfung eingetreten, die noch andauert."

Wie zu erwarten, startete sodann die bekannte Empörungsmaschinerie – wie so oft überdreht und vorverurteilend. Nutzer sozialer Medien forderten bereits seinen Rücktritt. Das bekannte "Zentrum für Politische Schönheit" twitterte: "Krass, damit ist Lindner erledigt… Lindner macht den Möllemann". Und am heutigen Morgen kommentierte Shakuntala Banerjee beim ZDF unter dem Titel "Schon korrupt oder nur verdächtig?" und sprach von einem "aktuellen Problemfall" im Kabinett Scholz.

Gefahren frühzeitiger Mitteilungen zu staatlichen Maßnahmen

Damit zeigt sich hier die ganze Gefahr frühzeitiger staatlicher Mitteilungen im Zusammenhang mit staatsanwaltschaftlichen Vorgängen, die nicht ohne Grund rechtlich strengen Voraussetzungen unterworfen sind. Denn es bestehe – so der BGH – die Gefahr, "dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf ‚etwas hängenbleibt‘" (BGH, Urt. v. 30.10.2012, Az.: VI ZR 4/12). Diese Gefahr hat sich hier ausweislich der benannten Reaktionen bereits verwirklicht – und dies sogar ganz ohne Ermittlungsverfahren.

Staatliche Verdachtsberichterstattung

Die Staatsanwaltschaft Berlin dürfte die auch von ihr zu berücksichtigenden Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verletzt haben, die insbesondere auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in den letzten Jahren immer wieder betont hat.

Die unmittelbar an Recht und Gesetz gebundene Behörde (Art. 20 Abs. 3 GG) hat im Rahmen ihrer Mitteilungen an die Presse dabei v.a. die Unschuldsvermutung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu berücksichtigen. Berichtet die Staatsanwaltschaft über ein laufendes Ermittlungs- oder Strafverfahren, muss auch sie u.a. der Erwartung Rechnung tragen, sie werde die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat. Erforderlich ist daher auch das "Vorliegen eines Mindestbestandes an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst Öffentlichkeitswert verleihen" – wobei diese Anforderungen umso höher sind, "je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird" (OVG NRW, Beschl. v. 04.02.2021, Az.: 4 B 1380/20). Bereits diese (Grund-)Voraussetzung dürfte hier – v.a. im konkreten Verfahrensstadium – nicht erfüllt sein.

Mindestbestand an Beweistatsachen liegt nicht vor

In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aufgrund eines Anfangsverdachts allein nicht ausreicht, um den Mindestbestand an Beweistatsachen anzunehmen und identifizierend über den Betroffenen zu berichten – auch wenn es an der Person und dem Gegenstand des Vorwurfs grundsätzlich ein hohes Berichterstattungsinteresse geben mag (LG Köln, Beschl. v. 18.09.2019, Az.: 28 O 344/19). Wenn nun schon die Einleitung (!) eines Ermittlungsverfahrens grundsätzlich nicht ausreicht, um darüber namentlich zu berichten, gilt dies für die Vorprüfung, ob überhaupt ein solches Ermittlungsverfahren einzuleiten wäre und nicht einmal ein Anfangsverdacht bejaht wurde, erst recht.

Anhörung des Ministers?

Die staatliche Mitteilung darf ferner keine Vorverurteilung enthalten – offenbar einer der wenigen Punkte, die man hier (durch den Verweis „ohne dass damit schon eine Aussage über das Vorliegen eines Anfangsverdachts getroffen wird“) zu berücksichtigen versuchte. Auch der erforderliche Vorgang von gravierendem Gewicht, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist, wurde offenbar bejaht – was nach der bisherigen Rechtsprechung gerade bei bekannten Politikern (wie hier dem Bundesfinanzminister) vertretbar sein dürfte.

Erforderlich ist indes aber auch, vor einer Berichterstattung den Betroffenen zu den Vorwürfen anzuhören – wobei sich dies sowohl aus den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung als auch aus dem "Gebot einer rechtsstaatlichen, insbesondere auch fairen Verfahrensgestaltung" ergibt (OVG NRW, Beschl. v. 04.02.2021, Az.: 4 B 1380/20). Sollte der Abgeordnete Lindner von dieser staatsanwaltlichen Vorprüfung daher erst aus der Presse erfahren haben, wäre die Mitteilung an den Tagesspiegel auch aus diesem Grund rechtlich unzulässig.

Vorermittlungen trotz Immunität möglich

Nur am Rande sei erwähnt, dass die Argumentation der Staatsanwaltschaft, sie müsse in eine übliche Vorprüfung eintreten, was die Immunität von Lindner angehe, an diesem Ergebnis nichts ändert. Denn der Bundestag hat bereits pauschal die erforderliche Genehmigung für die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Bundestagsabgeordnete (mit Ausnahme von Ermittlungen wegen Beleidigungen politischen Charakters) erteilt; vor Einleitung greifen lediglich Mitteilungspflichten. Welche "übliche Prüfung" hier also kommuniziert werden sollte, bleibt also unklar.

Vorsorglich sei die Staatsanwaltschaft Berlin auch daran zu erinnern, dass sie nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes auch einer Ermächtigungsgrundlage für (künftige) Pressemittelungen bedarf. Erfolgt diese (wie scheinbar hier) nur gegenüber der Presse, soll sich diese aus dem jeweiligen Landespressegesetz ergeben – eine allgemeine Information gegenüber der Öffentlichkeit wird dadurch aber gerade nicht erlaubt (OVG NRW, Beschl. v. 04.02.2021, Az.: 4 B 1380/20).

Nach den bislang bekannten Informationen dürfte sich die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin an den Tagesspiegel daher gleich aus mehreren Gründen als rechtswidrig erweisen – insbesondere zu diesem frühen Verfahrensstadium. Dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, Wolfgang Kubicki, der hier u.a. eine "erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung" zulasten seines Parteikollegen Linder erkannt hat, kann daher in diesem Fall nur zugestimmt werden.

Ergänzung: Am 27.1.2023 hat die Staatsanwaltschaft Berlin mitgeteilt, dass kein Anfangsverdacht gegen Christian Lindner wegen Abgeordnetenbestechung oder Vorteilsannahme besteht. Ergebnis des Prüfvorgangs sei, dass keine Ermittlungen aufgenommen werden.

 

Der Autor Dr. Christian Conrad ist Partner der auf Marken- und Medienrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei HÖCKER Rechtsanwälte PartGmbB mit Sitz in Köln. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt sowohl im zivilrechtlichen als auch im öffentlich-rechtlichen Äußerungsrecht. Er ist Mitherausgeber des "Handbuchs Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht".

 

Kanzlei der Autors

Zitiervorschlag

Vorermittlungen gegen Lindner wegen Vorteilsannahme: Presseauskunft der Staatsanwaltschaft rechtswidrig? . In: Legal Tribune Online, 09.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50696/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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