Chemnitzer Haftbefehl im Internet aufgetaucht: Warum Pegida-Gründer Bach­mann ein Ermitt­lungs­ver­fahren droht

von Hasso Suliak

29.08.2018

Die StA Dresden ermittelt wegen eines im Netz veröffentlichten Haftbefehls zum Fall Chemnitz. Sie sucht nicht nur einen Maulwurf. Auch die Rechten, die das Dokument veröffentlichten, könnten sich strafbar gemacht haben.

Der Fall Chemnitz weitet sich aus. Nun geraten die Ermittlungsbehörden in Erklärungsnot, weil ein Haftbefehl im Internet auftaucht. Dieser betrifft einen 22 Jahre alten Iraker. Er steht im Verdacht, gemeinsam mit einem 23-jährigen Syrer am Sonntag am Rande des Stadtfestes in Chemnitz einen 35 Jahre alten Deutschen erstochen zu haben. Die Tat war der Auslöser für die gewalttätigen Auseinandersetzungen am Rande des Chemnitzer Stadtfests.   

Den vom Amtsgericht Chemnitz ausgestellten und nur teilweise geschwärzten Haftbefehl haben der Pegida-Gründer Lutz Bachmann, ein Kreisverband der AfD und die rechte Gruppierung "Pro Chemnitz" ins Netz gestellt, auch auf einer russischen Website tauchte das Dokument auf. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden jedenfalls hält es für authentisch. Nach einem Bericht des Tagesspiegels enthält das Dokument die vollen Namen von Opfer, mutmaßlichem Täter und der Richterin. Genannt werde auch der Wohnort des mutmaßlichen Täters, lediglich die Straße sowie die Namen von Zeugen seien in zunächst veröffentlichten Fassungen geschwärzt worden. Laut Tagesspiegel hat allerdings die Seite anonymusnews.ru von einem russischen Server aus das zweiseitige Dokument ohne jede Schwärzung, also auch mit der kompletten Wohnanschrift des mutmaßlichen Täters und den Namen der Zeugen veröffentlicht.

Nun wird nach dem Leck gesucht. Neben der Person, die das Dokument durchgestochen hat, droht auch denjenigen, die für eine Veröffentlichung gesorgt haben – also etwa Lutz Bachmann und den Verantwortlichen von "Pro Chemnitz" – ein Ermittlungsverfahren.

Nicht nur der Maulwurf, auch Bachmann & Co. können sich strafbar gemacht haben

Wie der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Oberstaatsanwalt Lorenz Haase, gegenüber LTO erklärte, richten sich die Ermittlungen derzeit noch gegen Unbekannt. In Frage kommende Straftatbestände seien die Verletzung von Dienstgeheimnissen nach § 353b Strafgesetzbuch (StGB) sowie die Verbotene Mitteilung über Gerichtverhandlungen (§ 353d StGB).

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte bereits zuvor ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und dieses dem Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen zur Entscheidung über die Frage der Zuständigkeit vorgelegt. Der Generalstaatsanwalt betraute daraufhin die Staatsanwaltschaft Dresden mit den Ermittlungen.

Während der Bruch des Dienstgeheimnisses nach § 353b StGB nur von Amtsträgern (z.B Polizei- oder Justizbeamten, Staatsanwälten) oder Personen, denen besondere Geheimhaltungspflichten obliegen (z.B. V-Leute, Sachverständige), begangen werden kann, kommen als Täter der "Unerlaubten Mitteilung über Gerichtsverhandlungen" nach § 353d StGB auch Personen in Betracht, die für die Veröffentlichung der entsprechenden Dokumente sorgen. Bei dem Haftbefehl dürfte es sich um ein "amtliches Schriftstück eines Strafverfahrens" handeln, dessen öffentliche Mitteilung der Gesetzgeber in § 353d Nr. 3 StGB u.a. solange untersagt, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Die Norm will vor allem die Persönlichkeitsrechte der vom Strafverfahren Betroffenen schützen, die bis zum Zeitpunkt einer rechtskräftigen Entscheidung als unschuldig gelten.

Wie der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Dresden gegenüber LTO bestätigte, könnten sich daher auch Lutz Bachmann oder die Verantwortlichen von "Pro Chemnitz" strafbar gemacht haben.

Bärendienst: Strafe für beschuldigten Iraker könnte milder ausfallen

Der Sachverhalt müsse nun schnellstens aufgeklärt und die notwendigen strafrechtlichen Konsequenzen müssten gezogen werden, teilte das sächsische Justizministerium am Mittwoch mit.

Die vorsätzliche Verletzung von Dienstgeheimnissen wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Hat der Täter fahrlässig gehandelt, drohen ihm bis zu einem ein Jahr Haft und Geldstrafe. Die verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen kann mit bis zu einem Jahr Haft oder Geldstrafe geahndet werden.

Aber die Veröffentlichung des Dokuments könnte noch eine andere Konsequenz haben, welche die Verbreiter des Haftbefehls vermutlich nicht beabsichtigten: Sie könnte dem 22-jährigen Tatverdächtigen aus dem Irak, gegen den sich der Haftbefehl richtet, möglicherweise zugutekommen. Wie der renommierte Strafverteidiger Dr. Gerhard Strate im Gespräch mit LTO bestätigte, könnte die unerlaubte Veröffentlichung derartiger Dokumente unter Umständen zu einem Vorverurteilungseffekt führen - mit der Folge, dass der Iraker aufgrund der Veröffentlichung im Falle einer Verurteilung in einem Strafverfahren eventuell mit einer Strafmilderung rechnen kann.

Noch ist völlig unklar, wer für das Leck verantwortlich ist. Es muss nicht zwingend auf Behördenebene liegen, der Kreis der Verdächtigen ist jedoch einigermaßen eingrenzbar: Ein Haftbefehl wird an alle Beteiligten des Verfahrens ausgereicht - etwa an die Verteidiger, die Justizvollzugsanstalt, die mit der Verlegung in die Haft beauftragte Polizeidienststelle und im Chemnitzer Fall an die Dolmetscher.

Linke: "Neue Eskalationsstufe im Schüren pogromartiger Stimmung"

Politiker aus Bund und Ländern reagierten derweil ob des Vorfalls empört: " Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kritisierte die Veröffentlichung des Haftbefehls als "vollkommen inakzeptabel". Es dürfe nicht sein, dass persönliche Daten und die Vorgehensweise der Behörden der Öffentlichkeit auf diese Art und Weise bekannt würden, sagte Seehofer am Mittwoch. Die Justizbehörden müssten darauf reagieren. Ähnlich äußerte sich auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch bei einem Termin in Leipzig: "Das ist verwerflich und das ist strafbewehrt, was da passiert ist", so Kretschmer. "Die Ermittlungen dazu laufen, und wir werden versuchen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen." Man dürfe sich aber nicht von dem eigentlichen Kern der Debatte entfernen: "Es geht darum, das Tötungsdelikt aufzuklären". Das sei man den Opfern und auch der Chemnitzer Bevölkerung schuldig. Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) sprach von einem verantwortungslosen Verhalten. "Hier tun diejenigen, die solche Dinge veröffentlichen, den Opfern keinen Gefallen."

Der sächsische Linke-Politiker Klaus Bartl, der selbst Rechtsanwalt ist, bezeichnete die Veröffentlichung des Haftbefehls als "Fortsetzung der Selbstjustiz". Seine Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Rechtsausschusses. Dass so kurze Zeit nach dem Erlass durch das Amtsgericht Chemnitz der Haftbefehl in einem derart brisanten Verfahren mit allen Klardaten ins Internet gestellt worden sei, sei eine "neue Eskalationsstufe im Schüren pogromartiger Stimmung" gegenüber Migranten.

"Es handelt sich um Dokumente, die aus gutem Grund vertraulich sind, weil aus ihnen, neben Details der schrecklichen Tat, auch der Name und die Anschrift des Verdächtigen hervorgeht", sagte Bartl. Dass der Haftbefehl, lediglich teilweise geschwärzt, auf Internetseiten von Pro Chemnitz, einem Kreisverband der AfD sowie des Pegida-Gründers Lutz Bachmann geteilt wird, lasse "die völlige Respektlosigkeit dieser Kreise gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat und seiner Justiz erkennen, sagte Bartl. "Es lässt erahnen, wohin diese Republik treibt, wenn so etwas mehrheitsfähig wird."

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Chemnitzer Haftbefehl im Internet aufgetaucht: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30637 (abgerufen am: 15.10.2024 )

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