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Umstrittene Äußerungen und militärische Gesten: Wie poli­tisch darf ein Fuß­baller sein?

Gastbeitrag von Benjamin Keck, LL.M.

18.10.2019

Cenk Sahin (re.) noch beim FC St.Pauli

Bild: Selim Sudheimer/Picture alliance

Der Verein FC St. Pauli stellt einen Spieler frei, der öffentlich seine Solidarität mit dem türkischen Militär bekundet haben soll. Benjamin Keck über Grenzen der Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis.

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Viele Leistungssportler, insbesondere Profifußballspieler, nutzen soziale Plattformen mit teils beachtlicher Reichweite. Während dem Bundesaußenminister Heiko Maas auf Twitter derzeit 336.000 Menschen folgen, erreicht der Kapitän von Borussia Dortmund, Marco Reus, fast zehnmal so viele Nutzer. Nicht alle Sportler nutzen neue Medien im rein beruflichen oder privaten Kontext. Mitunter fühlen sich die Aktiven dazu berufen, sich auch öffentlich zu politischen Themen zu äußern. Mal stoßen solche Äußerungen bei Fans und Öffentlichkeit auf ein positives Echo, mal rufen solche Äußerungen eher Ablehnung hervor. Ob politische Bekundungen von Sportlern in den meisten Fällen tatsächlich einen wertvollen und ernstgemeinten Beitrag zu einer Diskussion darstellen – oder schlichtes Selbstmarketing sind –, muss an dieser Stelle nicht kommentiert werden.

Nicht sonderlich erfreut über einen Beitrag seines Angestellten Cenk Sahin auf Instagram zeigte sich der FC St. Pauli sowie eine am Millerntor einflussreiche Fangruppierung, die nicht weniger als eine sofortige Entlassung des Spielers forderte. Was war passiert? Sahin soll auf seinem – seinerzeit noch öffentlich einsehbarem Instagram-Account – in türkischer Sprache kommentiert haben: "Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch!" Angehängt war der Name der in der vergangenen Woche gestarteten Offensive des türkischen Militärs in Nordsyrien. Noch eine zulässige Meinungsäußerung oder bereits ein Vertragsverstoß?

Taktische Suspendierung

Diese Frage wird gerichtlich wohl nicht beantwortet werden. Der FC St. Pauli hat lediglich eine Freistellung ausgesprochen, keine Kündigung. Das heißt: Der bis Juni 2021 laufende Vertrag zwischen Club und Spieler besteht erst einmal fort. Der Spieler erhält die vertraglich vereinbarte Vergütung, ohne am Trainings- und Spielbetrieb teilzunehmen. Eine dauerhafte Freistellung ist aufgrund des bestehenden Beschäftigungsanspruchs im Arbeitsverhältnis zwar regelmäßig unwirksam, wenn die Freistellung nicht im Zusammenhang mit der Vertragsbeendigung erfolgt. Doch wie es aussieht, wird Sahin gegen die Freistellung nicht gerichtlich vorgehen.

Der Verein hat die Freistellung verbunden mit der Erlaubnis, dass der Spieler ab sofort am Trainingsbetrieb anderer Clubs teilnehmen darf. Das Kalkül: Sahin, der sportlich bei seinem Club zuletzt ohnehin kaum eine Rolle spielte, wird seinen Vertrag schon nicht bis 2021 aussitzen. Er wird sich bei der nächsten Öffnung des Transferfensters im Winter einem neuen Verein anschließen und in diesem Fall einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung mit dem FC St. Pauli zustimmen. Der Mann ist schließlich noch jung (25) und will weiter Fußball spielen.

Die Rechnung scheint aufzugehen: Sahin genießt nicht etwa die neu gewonnene bezahlte Freizeit mit Herbstspaziergängen an der Hamburger Alster, sondern trainiert bereits wieder beim türkischen Erstligisten Istanbul Basaksehir. Dort spielte er bereits in der Vergangenheit. Der Retortenclub, dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan besonders nahe steht, ließ verlauten, Sahin stünden sämtliche Türen offen. Für den FC St. Pauli wird sich die Personalangelegenheit "Sahin" damit aller Voraussicht nach schnell erledigen, ohne langwierige Auseinandersetzung, die im Falle einer Kündigung womöglich hätte folgen können. Im Bereich des Leistungssports ebenfalls nicht zu unterschätzen: Beide Seiten werden ihr Gesicht wahren. Dem in der Türkei für seine Kommentare gefeierten Sahin wird dort ein sportliches Comeback gelingen und der FC St. Pauli wiederum kann sich auf die Fahne schreiben, Militarismus in seinen Reihen nicht geduldet zu haben.

Meinungsfreiheit vs. Rücksichtnahmepflicht

Fernab dieser pragmatischen Lösung, auf die es im Fall Sahin wohl hinauslaufen wird, stellt sich die allgemeine Frage: Was muss ein Verein noch dulden und wann ist die Grenze zur Pflichtverletzung bei politischen Äußerungen überschritten? Entscheidend für die Beantwortung der Frage, wie das bestehende Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Rücksichtnahmepflicht aufzulösen ist, ist eine Abwägung der beiderseitigen Interessen im Einzelfall.

Der Schutz der mittelbar auch auf das Arbeitsverhältnis wirkenden Meinungsfreiheit findet seine Grenze in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Zu letzteren zählen die aus § 241 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abzuleitenden Regelungen zu den Treue- und Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis. Jeder Arbeitnehmer hat demnach Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers zu nehmen. Diese Rücksichtnahmepflicht kann ein in der Öffentlichkeit stehender Spieler nicht nach Dienstende auf dem Spielfeld zurücklassen. Sie strahlt vielmehr bis in den privaten Lebensbereich des Spielers. Klarstellend sieht der DFL-Mustervertrag für Lizenzspieler vor, dass sich ein Spieler in der Öffentlichkeit und privat so zu verhalten hat, dass das Ansehen des Clubs, der Verbände und des Fußballsports allgemein nicht beeinträchtigt wird. Im Falle eines Verstoßes sieht der DFL-Mustervertrag neben der Möglichkeit der Kündigung im Einzelfall die Festsetzung einer Vertragsstrafe in Höhe von maximal einem Bruttomonatsgehalt vor.

Entscheidend bei der Abwägung der Interessen sind das Ausmaß der Folgen sowie die Umstände, unter denen die Meinungskundgabe erfolgte. Bei vertraulichen Äußerungen im kleinen Kreis kann sich der Spieler auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen, eine Abmahnung oder Kündigung scheidet dann aus. Anders sieht das bei öffentlich getätigten Äußerungen aus. Zudem gilt: Je höher die Position eines Arbeitnehmers in einem Unternehmen, desto strenger können die Anforderungen an das Freizeitverhalten sein. Von einem Profifußballspieler darf ein Club ein Höchstmaß an Professionalität verlangen.

Bei der möglichen Auswirkung einer Äußerung für den Verein spielt nicht zuletzt auch das Verbandsstrafrecht eine wichtige Rolle. Unbedachte Äußerungen im Zusammenhang mit einem Spiel können für Club und Spieler verbandsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Spieler unterwirft sich arbeitsvertraglich regelmäßig den auch den Club bindenden Statuten der Fußballverbände. Diese verbieten politische Äußerungen und Gesten in Stadien, weshalb die Verbände nicht zuletzt gegen Spieler der türkischen Nationalmannschaft ermitteln, welche im Rahmen der letzten beiden Länderspiele mit einer salutierenden Pose aufgefallen waren. Ob es sich dabei um eine verbotene politische Provokation gehandelt hat, untersucht derzeit die UEFA. Nachahmer findet der zweifelhafte Jubel mittlerweile selbst in den hiesigen Amateurligen. So müssen sich derzeit drei Vereine und deren Spieler aus dem Kreis Recklinghausen vor dem Verbandssportgericht verantworten.

Kündigung im Einzelfall möglich

Ob eine arbeitgeberseitige Kündigung im Fall Sahin möglich gewesen wäre, ist ohne Kenntnis aller relevanten Umstände, einschließlich des Inhalts der geführten Personalgespräche, nicht mit letzter Sicherheit zu sagen. Zu Gunsten von Sahin wäre zwar zu berücksichtigen, dass er seine Aktivitäten – anders als seine Sportkameraden aus der türkischen Nationalmannschaft – immerhin auf die Freizeit beschränkte. Naheliegend ist andererseits: Ein Fußballclub, noch dazu ein solcher mit dem Selbstverständnis des FC St. Pauli, hat recht wenig Interesse daran, dass seine Angestellten – wenn auch in der Freizeit – öffentlich Stellung für eine Partei in einer militärischen Auseinandersetzung mit vielen Toten und Verletzten ergreifen.

Nicht zuletzt ist das Verhalten des Spielers auch geeignet, innerhalb eines sich aus verschiedenen Kulturkreisen zusammensetzenden Teams für erhebliche Unruhe zu sorgen und damit den sportlichen Erfolg zu gefährden. Eine Abmahnung als milderes Mittel wäre nur dann angezeigt, wenn mit ihrem Ausspruch eine Verhaltensänderung des Spielers zu erwarten gewesen wäre. Das darf bei dem Spieler Sahin bezweifelt werden.

Benjamin Keck, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist in der im Sportrecht beratenden Sozietät Steinrücke.Sausen tätig.

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Umstrittene Äußerungen und militärische Gesten: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38239 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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