LG Hamburg zu „Klimawissenschaftler als neue Juden“: Carolin Emcke siegt gegen FAZ wegen Falsch­zitat

von Dr. Felix W. Zimmermann

01.04.2022

Die FAZ hatte über Carolin Emcke geschrieben, sie bezeichne Klimawissenschaftler als "neue Juden“. Die Schriftstellerin wehrte sich gegen die Aussage und hatte Erfolg. Das LG Hamburg sieht ein Falschzitat und verbot der FAZ die Äußerung. 

Wann überschreitet eine Äußerung die Schwelle zum Holocaustvergleich oder zum Vergleich mit der Judenverfolgung im Dritten Reich? Ab wann sind entsprechende Äußerung als "antisemitisch" einzuordnen? Über diese wichtigen Fragen wird in der Gesellschaft in den letzten Jahren vielfach kontrovers diskutiert, wobei die Diskussion oft in Empörungswellen, Unterstellungen und Shitstorms mündet.  
 
Exemplarisch hierfür war ein Vortrag der Schriftstellerin Carolin Emcke auf dem Parteitag der Grünen im letzten Sommer. Die mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnete Autorin hatte geäußert, dass in der Gesellschaft "populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt" in Zukunft bleiben werden. Weiter führte sie kritisch aus: "Und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen oder die Virologinnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen." 
 
Die BILD-Zeitung sah in diesem Satz einen Vergleich zwischen "Klimaforschern und verfolgten Juden". Der damalige CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak attestierte Emcke auf Twitter - in einem später gelöschten Tweet – eine "unglaubliche und geschichtsvergessene Entgleisung". Es folgte Hassrede gegen Emcke auf Social-Media-Plattformen. Andere sprangen der Autorin bei. Der Journalist Ronen Steinke kritisierte in der SZ die BILD-Berichterstattung als "Desinformation". Und Judith Liere von der ZEIT kommentierte, Emcke sei "mit Absicht missverstanden" worden. Der Zentralrat der Juden forderte schließlich ein Ende der Debatte, weil diese "unangemessene Züge" angenommen habe. 

Umstrittene Martenstein-Kolumne als Anlass 

Acht Monate später setzte sich Thomas Thiel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) im Artikel "Unter dem Judenstern" vom 17. Februar 2022 mit einer verwandten Frage zur Einordnung von Verhalten als antisemitisch auseinander. Im Beitrag kritisiert der FAZ-Autor eine Kolumne von Harald Martenstein im Tagesspiegel. In dieser hatte Martenstein das Tragen von Judensternen auf Corona-Demonstrationen zwar als anmaßend und verharmlosend, aber nicht als antisemitisch beurteilt. Nach einer Welle der Empörung löschte der Tagesspiegel die Kolumne.  
 
Der FAZ-Autor vertrat in seinem Text die Meinung, Martensteins Argumentation, wonach sich Demonstranten im Positiven mit den Juden identifizieren, sei "naiv". Zum Ende des Beitrags kommt er auf Spielarten des Antisemitismus zu sprechen und erwähnt in diesem Zusammenhang eben auch Carolin Emcke. Diese würde "Klimawissenschaftler als neue Juden bezeichnen". Derartigen Positionen, so Thiel, müsse besser öffentlich widersprochen werden, statt sie grundsätzlich vom Diskurs auszuschließen.  
 
Carolin Emcke sah sich nunmehr in Thiels Äußerung falsch zitiert und versuchte zunächst persönlich, später vertreten durch ihren Anwalt, die FAZ außergerichtlich zur Löschung der Aussage zu bewegen.  Die Zeitung lehnte jedoch die Korrektur des Satzes ab. In der Begründung der FAZ, die LTO vorliegt, heißt es: "Bei Emckes Äußerung handele es sich zwar um eine "zugespitzte, aber zutreffende und vor allem nicht sinnentstellende zusammenfassende Wertung der öffentlichen Äußerung". Denn zusammengefasst sei der Äußerung von Emcke auf dem Parteitag der Grünen zu entnehmen, dass Klimaforscher die "neuen Juden" seien, schon weil sie "sprachlich die eine Gruppe durch die andere ersetzt".  

LG: Emckes Recht am eigenen Wort verletzt 

Nach Einleitung formeller presserechtlicher Schritte, beantragte Emcke sodann eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht (LG) Hamburg gegen die FAZ. In dem LTO vorliegenden Verfügungsantrag der Kanzlei Schertz Bergmann stützt Rechtsanwalt Dr. Christian Schertz den Antrag auf mehrere Argumente: 
 
Es liege ein Falschzitat vor, da Emcke Klimaforscher nicht als "neue Juden bezeichnet" habe. Das Wort "bezeichnen" unterstelle Emcke eine konkrete Äußerung, die sie nie getätigt habe. Die Äußerung sei zudem "bewusst sinnentstellend", da die FAZ den falschen Eindruck erwecke, das Emcke das Schicksal von Klimawissenschaftler mit dem Schicksal von Juden verglichen habe. Vor diesem Hintergrund sei die Berichterstattung auch deswegen rechtswidrig, da verschwiegen werde, dass Emcke eben keinen Bezug zum Holocaust hergestellt habe, sondern es ihr um die Darstellung einer aktuelle Hasssituation gegangen sei. Selbst bei Annahme einer Meinungsäußerung fehlten für diese hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte. 
 
Mit Beschluss vom 29.03.2022 gab das LG nun dem Antrag Emckes auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung statt (Az. 324 O 118/22). Die FAZ darf nun nicht mehr behaupten, Emcke habe Klimaforscher als neue Juden bezeichnet. Im LTO vorliegenden Beschluss erläutert das LG zunächst, dass Zitate die Tatsachenbehauptung enthalten, der Betroffene habe sich genauso geäußert wie zitiert. Ein Zitat sei schon dann unrichtig, wenn der falsche Eindruck erweckt werde, der Zitierte habe sich eindeutig in einer bestimmten Weise geäußert. Der durchschnittliche Leser des FAZ-Beitrags gehe davon aus, Emcke habe Klimaforscher wörtlich als "neue Juden" bezeichnet“. Dies sei jedoch unwahr. Die Berichterstattung verletzte daher Emckes Recht am eigenen Wort als Bestandteil ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. 

Schwierige Einzelfallentscheidungen  

Vor einigen Wochen war das LG im Fall der mecklenburg-vorpommerischen SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, was die Annahme von Falschzitaten angeht, zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen. Das Verfahren betraf die Äußerung des CDU-Politikers Christoph Ploß zu Schwesigs Position zu Nord Stream 2 und Russland. Schwesig habe "klar" gesagt, "diese Völkerrechtsverletzungen, die interessieren mich nicht. Hauptsache, die Pipeline kommt in Betrieb", so Ploß in der Fernsehsendung Lanz. Trotz der Formulierung "sagt", ging das LG Hamburg nicht von einem Falschzitat, sondern von einer zugespitzten politischen Meinungsäußerung aus. Der Fall sorgte für kontroverse Diskussionen, unter anderem kritisierte der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Herbert Bethge die Entscheidung im FAZ-Einspruch. Es liege eindeutig ein Falschzitat vor.  
 
Die presserechtliche Abgrenzung zwischen "Falschzitaten" und Meinungen über die Haltung von Dritten ist eine schwierige Einzelfallentscheidung. Insbesondere dann, wenn Äußerungen nicht in Anführungszeichen gesetzt, sondern indirekte Rede verwendet wird, ist die Einordnung schwierig. Im konkreten Fall Emcke wird für das LG wohl entscheidend gewesen sein, dass der FAZ-Autor ausdrücklich von "bezeichnen“ spricht, womit im allgemeinen Sprachgebrauch auf ein Zitat hingewiesen wird  
 
Auf LTO-Anfrage teilte die FAZ mit, es könne noch nicht entschieden werden, ob Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt werden. Bislang sei der FAZ der Beschluss noch nicht zugestellt worden, auch die Antragsschrift sei noch nicht bekannt. Sofern die FAZ Widerspruch gegen den Beschluss einlegen sollte, müsste das LG Hamburg eine mündliche Verhandlung in dem Rechtsstreit terminieren.  
 
  
 

Zitiervorschlag

LG Hamburg zu „Klimawissenschaftler als neue Juden“: Carolin Emcke siegt gegen FAZ wegen Falschzitat . In: Legal Tribune Online, 01.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48026/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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