Carl Heymann Preis für Robert Badinter: Eine Vorwahl für Europa?

von Pia Lorenz

25.02.2013

In der Frankfurter Paulskirche erhielt am Sonntag ein ehemaliger französischer Justizminister den European Legal Award. Während EU-Justizkommissarin Viviane Reding noch für dieses Jahr einen Gesetzentwurf für eine europäische Staatsanwaltschaft ankündigte, trafen Juristen und Unternehmer mitten in der Europamüdigkeit auf einen Europäer, dem es um viel mehr geht als Wirtschaft und Währung.

Der Mann, der am Sonntag den ersten Carl Heymann Preis – European Legal Award bekam, ist ein Visionär. "Den Geist und die Herzen mehrerer hundert Millionen Europäer tief berühren" werde eine europäische Verfassung, sagte Robert Badinter in seiner Rede an dem historisch bedeutenden Ort.

Bilder von der Preisverleihung

Der 85-Jährige zitierte Henry Kissinger mit den Worten "Welche Vorwahl hat Europa?", wenn der hervorheben wollte, dass die Union nur ein Konzept und kein international identifizierbarer Staat ist. Badinter will der Gemeinschaft ein Gesicht geben. Er wünscht sich einen Präsidenten, der Europa repräsentiert, und mehr demokratische Legitimation der Union durch mehr Befugnisse und Kernkompetenzen für das Europäische Parlament.

Der französische Jurist und Rechtsphilosoph negiert dabei nicht, was auch hinter den Kulissen der Preisverleihung längst nicht mehr beklagt, sondern als Realität akzeptiert wird: Europa steckt in einer Krise, die mehr ist als eine wirtschaftliche. Nach dem Scheitern der Verfassung im Jahr 2005, in der Wirtschaftskrise, die bestenfalls Atempausen einlegt, und  vor dem Referendum der Briten über einen Austritt ist die Union "in einer Defensivlage". So nannte es Vassilios Skouris, Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Es ist die Zeit der Europakritiker. Derjenigen, die es immer schon gewusst haben. Was sind Visionen wert im Angesicht aufgespannter Rettungsschirme, steigender Arbeitslosigkeit in Südeuropa und griechischer Freunde, deren Bezüge um 50 Prozent gekürzt wurden?

Reding will "aufbauen, nicht zerreden"

EU-Justizkommissarin Viviane Reding ist nicht nur Vorsitzende des Kuratoriums des ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erstmalig verliehenen European Legal Award. Sie ist auch die perfekte Botschafterin der Carl Heymanns gemeinnützige Gesellschaft, die mit dem Preis "die Förderung der europäischen Idee von Frieden und Freiheit als ein beispielhaftes Zukunftsprojekt" auszeichnet.  

Die überzeugte Europäerin will aufbauen, nicht zerreden. Sie will Brücken bauen und sich dabei von den Kritikern nicht aufhalten lassen. "Die große Mehrheit der Menschen hat erkannt, dass nur der Weg zu mehr Europa den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird."  In ihrer Vision der vereinigten Staaten von Europa wünscht sie sich ein Zweikammersystem vergleichbar dem deutschen und die Kommission, die sie auch gern Regierung nennen mag, soll von den Bürger direkt gewählt werden.

Als sie forderte, strukturell Grundlegendes zu klären und den Bürgern zu erklären, griff die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission auch auf den Entwurf einer europäischen Verfassung zurück, die der Preisträger Badinter im Jahr 2002 schrieb.

Gesetzentwurf für europäischen Generalstaatsanwaltschaft noch in diesem Jahr

Es ist eines der Themen, die Badinter sein Leben lang begleitet haben. Der 85-Jährige hat es nicht nur dem Kampf gegen die Todesstrafe gewidmet, die er als Justizminister unter Francois Mitterand 1981 in Frankreich abschaffte. Er liest auch gern Verfassungen.

An der Idee seiner constitution européenne, die er in seiner Freizeit und ohne entsprechendes Mandat verfasste, hält er fest. Und ist damit nicht allein. Auch Reding befürwortet ein solches Regelwerk, sie will vor allem Zuständigkeiten und Kompetenzen klären, Institutionen und Organe sortieren.

Die EU-Kommissarin kündigte eine Vorlage für eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion an, noch vor den Wahlen zum europäischen Parlament soll sie kommen. Und noch im Laufe des Jahres will sie einen Gesetzentwurf vorlegen, um eine europäische Staatsanwaltschaft einzurichten. Vertrauen schaffen will sie, in das System und ineinander, und dafür auch Richter und Staatsanwälte besser ausbilden und ihre Kenntnis anderer Rechtssysteme verbessern. 

Die Europamüden

Es beruhigt inländische Sicherheitsexperten kaum, dass ein europäischer Generalstaatsanwalt nach Redings Plänen zuerst einmal nur Straftaten gegen den Euro oder das europäische Budget verfolgen soll. Nicht einmal der europäische Haftbefehl laufe bislang reibungslos, monierten sie.  

Es überrascht nicht und fällt doch auf, dass die inländischen Juristen das geplante Mehr an Europa weit zurückhaltender beurteilen als diejenigen, welche die Gemeinschaft von Brüssel, Luxemburg oder Straßburg aus gestalten. Die Akzeptanz der Union wollen auch erstere stärken, Zuständigkeiten regeln und klarer machen. Aber sie warnen vor einer weiteren Ausweitung der Kompetenzen der Union. Langsamkeit mahnen sie an, schlagen Evaluierungsphasen für die Umsetzung europäischen Rechts vor und der Begriff der Subsidiarität ist omnipräsent. 

Die Regelung des Rechtsraums Europa sei zu stark in den Hintergrund getreten gegenüber der alles überschattenden wirtschaftlichen Komponente, diese Kritik wird mehr als einmal laut. Nicht nur das Dauerthema der Kompetenzverteilung zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH ist noch immer nicht vom Tisch, obgleich die beiden Gerichte mittlerweile in ständigem Austausch stehen. Vor allem Anwälte beklagen auch eine Rechtsschutzlücke, solange der Zugang zum EuGH nicht über eine Nichtvorlagebeschwerde erzwungen werden kann, wenn europäisches Recht den Regelungen zugrunde liegt, denen Bürger und Unternehmer unterworfen sind.

Letztere wiederum sehen ganz andere Probleme. Aus der Wirtschaft, die längst grenzüberschreitend arbeitet, kommen Forderungen, erkennbar Schwerpunkte zu setzen und auf bestimmten Gebieten wie im Bereich der erneuerbaren Energien den Bürgern und Unternehmern klar zu machen, wozu Europa dient und welchen Mehrwert es ihnen bietet. Bei der Verleihung eines European Legal Award sorgt der Satz eines Vertreters der Industrie für Verblüffung: "Wenn ich im Netz surfe und mich mit Kollegen austausche, dann geht es nicht um Grundrechte und Verfassungen." 

Badinters Vision: Viel mehr als Wirtschaft und Währung

Für die Verleiher des Preises ist das kein Widerspruch. Das Kuratorium, dem neben Reding und Skouris auch die Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Angelika Nussberger, der Botschafter Polens in Deutschland a.D. Janusz Reiter und Wolfgang Ewer, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, angehören, möchte mit dem Award herausragende Leistungen für Europa auszeichnen.

Die Carl Heymanns gemeinnützige Gesellschaft, zu deren Gründungsgesellschafterin Wolters Kluwer Deutschland auch die LTO gehört, will damit laut Geschäftsführerin Sybille Franzmann-Haag aber auch die gut ausgebildeten jungen Europäer aktivieren, die schon längst von der europäischen Freiheit, der Freizügigkeit und dem Binnenmarkt profitieren. Beiratsvorstand und Wolters Kluwer-CEO Ulrich Hermann stellte heraus, dass Unternehmer sichere Rahmenbedingungen brauchen, auch um ihrerseits Europa wieder aus der Krise helfen zu können.  

Auch Preisträger Robert Badinter räumt in den aktuellen Krisenzeiten den Wirtschafts- und Währungsproblemen Vorrang ein gegenüber seiner Vision. Gerade jetzt aber sollten die Nationalstaaten ihr Vertrauen in die Zukunft der Union und die Solidarität ihrer Mitglieder unter Beweis stellen. "Und wie ginge das besser als durch die Stärkung ihrer Beziehungen, indem man sie in einer Verfassung verankert", fragte der Sozialist mit dem verschmitzten Lächeln am Sonntag.

Für ihn ist die europäische Gemeinschaft viel mehr als Wirtschaft und Währung. Robert Badinter war 15 Jahre alt, als sein jüdischer Vater in Sobibor getötet wurde. Er war Justizminister, als dem Unterzeichner des Deportationsbefehls in Frankreich der Prozess gemacht wurde. Badinter sorgte dafür, dass dieser nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ablief. Der Name des Angeklagten war Klaus Barbie. Der Gestapochef von Lyon war einer der großen deutschen Kriegsverbrecher.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Carl Heymann Preis für Robert Badinter: Eine Vorwahl für Europa? . In: Legal Tribune Online, 25.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8216/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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