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41419

Normenkontrollantrag des AG Bernau eingegangen: Prüft Karls­ruhe diesmal das Cannabis-Verbot?

von Hasso Suliak

24.04.2020

Tütchen Cannabis und Joint

nokturnal - stock.adobe.com

Das BVerfG befasst sich seit Freitag mit einer Richtervorlage zum Umgang mit Cannabis. Vorschriften des BtMG, soweit sie Cannabis betreffen, seien verfassungswidrig. Ob Karlsruhe die Vorlage jedoch überhaupt für zulässig hält?

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Angekündigt hatte der Jugendrichter Andreas Müller vom Amtsgericht (AG) Bernau seinen Antrag auf konkrete Normenkontrolle zum Cannabisverbot durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon im September 2019. Seit Freitag liegt die sogenannte Richtervorlage nach Art. 100 Abs.1 Grundgesetz (GG) nun in Karlsruhe, wie der Pressesprecher des BVerfG, Max Schoenthal, gegenüber LTO bestätigte.

Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so setzt es das Verfahren aus und holt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein. Genau das tat Amtsrichter Müller nun: In einem Verfahren wegen unerlaubten Erwerbs von wenigen Gramm Cannabis beschloss er im Dezember vergangenen Jahres, das Verfahren auszusetzen, da er "alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), soweit sie Cannabisprodukte in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG betreffen" für verfassungswidrig hält (Az. 2 Cs 226 Js 7322/19 (346/19)).

Ähnliche Vorlage scheiterte 2004 in Karlsruhe

Müller, der bereits seit vielen Jahren für die Legalisierung von Cannabis streitet, hatte das BVerfG bereits 2002 ebenfalls mit einer Richtervorlage angerufen, um prüfen zu lassen, ob das Cannabis-Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das BVerfG hielt die Richtervorlage seinerzeit aber für unzulässig, unter anderem auch mit der Begründung, dass es selbst an eine frühere, eigene Entscheidung von 1994 nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz gebunden sei (Beschl. v. 29.06.2004, Az. 2 BvL 8/02). Das AG Bernau habe damals keine neuen Tatsachen dargelegt, "die geeignet seien, eine von der früheren Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts abweichende Entscheidung zu ermöglichen", hieß es 2004.

Und so blieb es bei dem, was das BVerfG eben 1994 sehr zum Missmut aller Cannabis-Liebhaber entschieden hatte: Das Cannabis-Verbot ist verfassungskonform (Beschl. v. 09.03.1994, Az. 2 BvL 43/92).

Ob die nunmehr auf 140-Seiten eingereichte Vorlage, die auf der Seite des Hanfverbandes einzusehen ist, diesmal die Hürde der Zulässigkeitsprüfung in Karlsruhe meistert, gilt unter Branchenbeobachtern als offen. Im Wesentlichen wird es davon abhängen, ob das AG Bernau genügend Tatsachen vorgetragen hat, die Karlsruhe davon überzeugen können, dass beim Thema Cannabis eine neue Faktenlage eingetreten ist, die juristisch zu berücksichtigen sein könnte.

Im Vorwort seiner Vorlage gibt sich Richter Müller schon mal überzeugt: "Es ist dringend geboten, dass sich das Bundesverfassungsgericht, das sich nun über 26 Jahre nicht mehr mit der Cannabis-Prohibition auseinandergesetzt hat, mit der Frage befasst, ob die Verfolgung von Millionen von Menschen in der Bundesrepublik Deutschland wegen des Umgangs mit Cannabis noch zeitgemäß ist und den Ansprüchen einer freiheitlichen Gesellschaft und dem Auftrag des Grundgesetzes, insbesondere Minderheiten zu schützen, entspricht".

Neue entscheidungserhebliche Tatsachen?

Auf vielen Seiten widmet sich der Amtsrichter ausführlich "neuen entscheidungserheblichen Tatsachen", die - anders als noch 2004 - nunmehr auch die inhaltliche Überprüfung des Cannabis-Verbots durch das BVerfG ermöglich sollen.

So führt Müller unter anderem an, dass mittlerweile Erkenntnisse vorlägen, wonach die Gefährlichkeit von Cannabis anders als früher zu beurteilen sei: "Ihren deutlichsten und aktuellsten Ausdruck findet die Neubewertung der Gefährlichkeit von Cannabis in dem im Jahr 2018 durch das WHO Expert Commitee on Drug Dependence veröffentlichten kritischen Bericht über die derzeitige Einordnung von Cannabis durch das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel."

Auf Grundlage der darin vorgenommenen grundsätzlichen Revision von Cannabis und der darin enthaltenen Wirkstoffe stellte die Kommission in einem Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, unter Verweis auf Art. 3 des Einheitsabkommens über Betäubungsmittel fest, dass Präparate, welche auf reinem Cannabidiol (CBD) basieren, in den internationalen Drogenkontrollabkommen nicht mehr gelistet sein sollten. Auch Tödliche Überdosierungen seien bisher nicht bekannt geworden, schreibt Müller.

Unterschiedliche Behandlung gegenüber Alkohol "grob willkürlich"

Weiter verweist Müller auf neuere Belege, wonach sich auch die "die allgemeine Annahme, dass der Konsum von Cannabis eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit nach sich zieht", nicht nachweisen lasse. "Zwar lässt sich zeigen, dass stärker problembehaftete Personen besonders häufig konsumieren, Belege für eine schädigende Substanzwirkung von Cannabis lassen sich hingegen nicht finden", heißt es in der Richtervorlage. Im Übrigen sei festzustellen, "dass angesichts der Millionen von Konsumenten sich relativ wenige wegen der Hauptdiagnose Cannabis in ambulanter oder stationärer Behandlung begeben".

Laut Vorlage des AG Bernau verletzt die Kriminalisierung von circa vier Millionen Cannabis-Konsumenten in Deutschland nicht nur einer Vielzahl von Grundrechten der Betroffenen, wie etwa bei Erwachsenen das "Recht auf Rausch" nach Art.2 Abs.1 GG. Es entstünden zudem "immense Kosten für Staat und Gesellschaft für die Unverhältnismäßigkeit der strafrechtlichen Sanktionen". Gleich auf mehreren Seiten widmet sich Müller unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundrechts (Art.3 GG) auch dem Verhältnis von Cannabis zu Alkohol. Ergebnis: "Die unterschiedliche Behandlung von Cannabis gegenüber dem Alkohol muss als grob willkürlich betrachtet werden."

Auf dem BVerfG ruhen jedenfalls nun die Hoffnungen von Millionen Cannabis-Konsumenten in Deutschland, die sich für eine Entkriminalisierung aussprechen. Das auch, weil von der gegenwärtigen Bundesregierung keinerlei Liberalisierung zu erwarten ist. Im LTO-Interview vom vergangenen Montag hatte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung jeglichen Legalize-it-Träumen eine deutliche Absage erteilt.

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Normenkontrollantrag des AG Bernau eingegangen: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41419 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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