Die von der Ampel in Aussicht gestellte kontrollierte Freigabe von Cannabis in Deutschland gerät ins Stocken. Das grüne Licht von der EU-Kommission ist nicht absehbar. In Brüssel war die Bundesregierung zu dem Thema bislang auch nur einmal.
Rund ein Jahr, nachdem sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag auf eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken verständigt hatte und im Oktober ein mit diversen Ressorts abgestimmtes Eckpunktepapier präsentierte wurde, überraschte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vergangenen Dienstag mit der Ankündigung, erst einmal ein Gutachten zur Cannabis-Legalisierung einzuholen. "Das Bundesministerium für Gesundheit überprüft die Folgen einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene", heißt es auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). "Wir geben ein Gutachten in Auftrag, um die EU-Kommission davon zu überzeugen, dass durch unser geplantes Gesetz der Cannabis-Konsum begrenzt werden kann“, erklärt Lauterbach.
Dass Lauterbach – nachdem im Juni über 200 Experten im Rahmen eines "gründlichen Konsultationsprozesses" aus allen möglichen Fachrichtungen von der Bundesregierung angehört worden waren – nun noch einmal wissenschaftliche Expertise benötigt, erstaunt. Ursprünglich hatte Lauterbach für Dezember einen Referentenentwurf angekündigt.
Überhaupt überrascht der Minister, lange Zeit überzeugter Gegner der Cannabis-Freigabe, zunehmend mit seinen ständig wechselnden Ankündigungen.
EU-Kommission wartet auf das Gesetz
Bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers im Oktober kündigte Lauterbach noch die Einleitung einer sog. Vorabprüfung durch die EU-Kommission an. Dieser werde man das Eckpunktepapier vorlegen und erläutern. Im Wege einer "Interpretationserklärung" soll die Kommission davon überzeugt werden, dass die Vorstellungen der Ampel nicht nur im Einklang mit den Zielen internationaler Abkommen und Verträge stehen, vor allem im Hinblick auf den Gesundheits- und Jugendschutz, sondern so sogar noch besser erreicht werden können. "Folgt die Kommission unserem Weg einer kontrollierten Legalisierung, bekommen wir auf der Grundlage des Eckpunktepapiers einen Gesetzentwurf", hieß es.
Wenige Wochen später ist dieser Plan nun vom Tisch. Irgendjemand muss Lauterbach verraten haben, dass mit Eckpunkten plus einer Erläuterung dazu, sich in Brüssel formal kein juristischer Prüfprozess anstoßen lässt. Daher lautet Lauterbachs Devise jetzt: "Wir wollen Rechtssicherheit. Deswegen streben wir eine Notifizierung des Gesetzentwurfes durch die EU-Kommission an, sobald er vorliegt. Notifiziert werden können nicht Eckpunkte, sondern nur ein Gesetzentwurf."
Hätten Lauterbach oder sein Haus vor Monaten mal bei der EU-Kommission nachgefragt (eine mögliche Kollision des Vorhabens mit EU-Recht ist seit langem bekannt), hätte er wohl dieselbe Antwort bekommen wie LTO. "Die EU-Kommission kann sich nicht zu politischen Erklärungen oder Gesetzesentwürfen äußern. Sobald die Rechtsvorschriften verabschiedet sind, wird die Kommission ihre Übereinstimmung mit dem EU-Besitzstand prüfen."
Deutscher Regierungsvertreter nur einmal in Brüssel
Was nunmehr weiter überrascht: Lauterbach berichtete in seiner PK vergangenen Dienstag von "vertraulichen Gesprächen mit der EU-Kommission", in denen sich zeige, dass "sehr gute Argumente" benötigt würden, um sie vom eingeschlagenen Weg zu überzeugen. "Vertrauliche Gespräche"? Die Formulierung suggeriert, dass sich die Bundesregierung in Brüssel für die Legalisierung wirklich ins Zeug legt. Aber stimmt das auch? Eine Sprecherin der EU-Kommission weiß nur von einem Termin, bei der die Bundesregierung in Sachen Cannabis in Brüssel vor Ort war:
"Generaldirektorin Monique Pariat traf sich am 14. November mit Thomas Steffen, Staatssekretär des Bundesgesundheitsministeriums, und am 16. November mit Klaus Holetschek, dem bayerischen Minister für Gesundheit und Pflege, um die deutsche Initiative zur Cannabislegalisierung zu erörtern," erklärte die Sprecherin am Donnerstag gegenüber LTO. Man reibt sich die Augen: Vertreter der Bundesregierung waren in Sachen Cannabis-Legalisierung bislang genauso oft in Brüssel wie der erklärte Legalisierungsgegner Holetschek.
Und anders als Steffen kommentierte Holetschek seinerzeit im Anschluss seine Visite in Brüssel: "Ich bin optimistisch, dass die EU-Kommission als ausgleichendes Element auf die hitzige Legalisierungsdebatte in Deutschland einwirken wird", sagte Holetschek nach dem Gespräch mit Pariat. Er habe den Eindruck, dass die Kommission vor allem den Verkauf von Cannabis europarechtlich problematisch sehe, fügte er hinzu. Bayern sei strikt gegen eine Legalisierung von Cannabis und werde auch auf Bundesebene alle Register ziehen, um das Gesetz zu verhindern, sollte es so weit kommen", so Holetschek.
Die Cannabis-Community in Deutschland jedenfalls ist inzwischen angesichts der sich permanent ändernden Aussagen des zuständigen Bundesgesundheitsministers einigermaßen ernüchtert. Nicht wenige zweifeln bei diesem Thema an dem Reformeifer der Ampel. Dass Lauterbachs angekündigtes Gutachten bei der EU-Kommission plötzlich einen Stimmungswandel bewirkt, glauben auch nicht mehr viele.
Bundesregierung wegen Cannabis nur einmal in Brüssel: . In: Legal Tribune Online, 05.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50372 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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