Wann kommt die Cannabis-Freigabe?: "Jeder Erwach­sene wird es legal und kon­trol­liert erhalten"

Interview von Hasso Suliak

24.03.2022

Die Ampel hat sich im November auf die legale Abgabe von Cannabis an Erwachsene geeinigt. Getan hat sich seither nichts. Zum Stand der Legalisierung ein Gespräch mit dem Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert:

LTO: Herr Blienert, Sie haben kürzlich die Cannabis-Legalisierung als "eines der zentralen Projekte dieser Regierung" bezeichnet. Dafür, dass dieses Projekt so "zentral" ist, haben Sie bislang noch nicht viel darüber verraten, wie Sie die Abgabe in lizensierten Geschäften regeln wollen. 

Burkhard Blienert: Das liegt daran, dass wir am Anfang eines Prozesses stehen, bei dem viele Details noch geklärt werden müssen. Dazu gehört auch die Frage, wie der Abgabeprozess verlaufen wird. Die Fragen lauten ja nicht nur "wo", sondern auch "wie", "was", "wieviel"“ und "woher". 

Das sind komplexe Fragen, die wir nicht über Nacht beantworten können und wollen. Denn am Ende entscheiden die richtigen Antworten auf diese Fragen über den Erfolg.  

Ist das Projekt Cannabis-Legalisierung zwar als Wahlkampfschlager geeignet, aber ansonsten komplexer als erwartet? 

Wir sind nicht blauäugig mit diesem Thema hausieren gegangen, wenn Sie das meinen. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit dem Thema Cannabis und bin mir der Komplexität durchaus bewusst. 

Die Ampelparteien haben sich ausdrücklich für die regulierte Abgabe an Erwachsene entschieden. Und das aus gutem Grund: Einfach, weil eine kontrollierte Abgabe überfällig ist, um die Menschen vor gesundheitlichen Schäden und unnötiger Strafverfolgung zu schützen. Dass ein solcher Paradigmenwechsel nicht von heute auf morgen gelingt, war aber klar. Dazu kommt, dass wir mit dem Ukraine-Krieg und den weiter sehr hohen Covid-Infektionszahlen zwei akute Krisensituationen haben, die politisch Vorrang haben.  

"Gesamter Prozess unter staatlicher Kontrolle"

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat im Januar erklärt, dass sich auch Apotheken um die Verkaufslizenzen bewerben könnten. Doch unter welchen Voraussetzungen, darum müsse sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kümmern. Sie sitzen im BMG: Wer darf sich künftig um eine Cannabis-Verkaufslizenz bewerben?

Auch wenn das BMG federführend ist, sind natürlich viele Ressorts beteiligt. Da müssen eine ganze Menge Interessen unter einen Hut gebracht werden. Was mir wichtig ist, ist folgendes: Wir werden den gesamten Prozess – vom Anbau bis zur Ladentheke – unter staatliche Kontrolle stellen. 

Es geht um ein sicheres Produkt, von dem der Konsument oder die Konsumentin weiß, was drin ist. Ob das internationale oder nationale privatwirtschaftliche Unternehmen sind, hiesige Landwirte oder wir auf Importe zurückgreifen, all das wird sich klären.

Zum Coffee-Shop-Modell in den Niederlanden haben Sie kürzlich gesagt, dort sei man "auf halbem Weg" stehen geblieben. Die Abgabe sei zwar legal, der Weg der Droge in die Shops aber illegal. 

Wir wollen im Gegensatz zu den Niederlanden eine legale, klar regulierte Lieferkette gewährleisten. Von der Pflanze bis hinein in den Laden brauchen wir ein sauberes Produkt. Perspektivisch wird jeder Erwachsene, der Cannabis konsumieren möchte, es auch legal und kontrolliert erhalten können.

"Warnhinweise wie beim Tabak"

Wie wollen Sie sicherstellen, dass die zuvor von Erwachsenen legal erworbene Ware nicht sogleich unweit des lizensierten Geschäftes an Minderjährige weiterverkauft wird? 

Burkhard Blienert - Bild: BMG/Thomas Ecke

Wir sagen im Koalitionsvertrag ausdrücklich, dass wir eine kontrollierte und regulierte Abgabe an Erwachsene ermöglichen werden. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich, dass es weiterhin illegal und strafrechtlich sanktioniert sein muss, Cannabis an Minderjährige abzugeben. Eine besonders große Bedeutung wird dabei aber auch dem begleitenden Ausbau der Jugend-Prävention zukommen. 

Dass legales Cannabis an der einen oder anderen Stelle an Jugendliche weitergegeben wird, das wird sich nicht zu 100 Prozent verhindern lassen. Aber das passiert ja im Moment auch – mit ungleich gefährlicherem Stoff.

Sie sind Gesundheitspolitiker: Welche Maßnahmen planen Sie, um auf die gesundheitlichen Risiken des bald legalen Cannabis-Konsums hinzuweisen? Was halten Sie z.B. von Warnhinweisen auf den Verpackungen wie bei Tabakprodukten?

Wir sollten Cannabis-Werbung oder Sponsoring besonders im Interesse des Kinder- und Jugendschutzes nicht erlauben. Denn gerade Kinder und Jugendliche reagieren sehr affin auf Werbung. Warnhinweise – ähnlich wie bei Tabak – halte ich beim Thema Cannabis für eine gute Idee.

Darüber hinaus muss es uns gelingen, die Prävention in den Schulen auszubauen. Das müssen wir als Bund so gut es geht unterstützen. Wichtig sind auch geschulte Verkäuferinnen und Verkäufer, die die Kundinnen und Kunden aufklären und ihnen – wenn nötig – Hilfsangebote empfehlen. 

Vorbild Kanada 

Wie lässt sich der Schwarzmarkt zurückdrängen, der zu befürchten ist, wenn Cannabis künftig zwar legal, aber – weil entsprechend besteuert – nur zu hohen Preisen erworben werden kann?

Es ist logisch, dass der Schwarzmarkt nicht über Nacht verschwindet. Wenn wir den Blick gen Westen Richtung Kanada richten, sehen wir ein gutes Beispiel. Dieser Prozess hat dort einige Zeit gedauert, aber jetzt merken die Kanadier einen deutlichen Rückgang. Da wollen wir auch hin, ganz klar.

Anders als Ihre Vorgängerin gelten Sie als Befürworter eines Entkriminalisierungskurses. Mit der Streichung welcher Strafvorschriften, die Cannabis betreffen, dürfen wir rechnen?

Die Details sind in Arbeit. Konkreter kann ich an dieser Stelle aktuell nicht werden. Aber es wird ein Gesetz werden, welches dem Anspruch vieler, vieler Menschen gerecht werden wird. 

"Jugendrichter Müller hat in der Sache recht"

Was halten Sie von der Forderung des Richters am Amtsgericht Bernau, Andreas "Jugendrichter" Müller, wonach die Bundesregierung schnellstmöglich festlegen müsse, die strafrechtliche Verfolgung der Konsument:innen  zu stoppen – sogar vorab als ersten kurzfristigen Schritt, bevor später die geregelte Legalisierung folgt? Müller schlägt auch vor, entsprechende Vorstrafen zu streichen und Verfahren einzustellen.

Ich kenne Herrn Müllers Positionen sehr gut und verstehe auch seinen Blick auf das Thema. Er hat in der Sache recht. Konsumentinnen und Konsumenten brauchen Hilfe und kein Strafverfahren wegen fünf Gramm Cannabis. 

Aber was wir wollen, ist ein fundiertes Gesetz, in dem auch diese Fragen beantwortet werden und keinen Schnellschuss. Wir werden diese Problematik in den Blick nehmen, das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.  

Im Verfassungsblog war zu lesen, dass Cannabis nicht einfach aus dem Strafrecht gestrichen werden könne. Alles außerhalb der medizinischen und wissenschaftlichen Nutzung und kleiner Mengen zum Eigenbedarf würde "schlicht und ergreifend gegen europäisches und internationales Recht verstoßen". Scheitert die deutsche Legalisierung am Ende vor dem EuGH? 

Ein Grund, weshalb der Prozess Zeit braucht, sind eben auch diese internationalen und europäischen Fragen. Fragen, auf die wir gute Antworten brauchen. Es wird eine Lösung geben, da bin ich mir sicher.

"Wir werden auf die Rechtsprechung angemessen reagieren"

Teile der deutschen Cannabis-Community haben angekündigt, am Welt-Marihuana-Tag am 20. April auf die Straße zu gehen und die Koalition aufzufordern, die Legalisierung endlich auf den Weg zu bringen. Dabei steht noch die Entscheidung des 2. Senats des BVerfG aus, der möglicherwiese noch in diesem Jahr über diverse, ihm vorliegende Richtervorlagen zu Cannabis entscheiden will. Werden Sie das noch abwarten?

Wir können uns keinen Stillstand erlauben und werden auf die aktuelle Rechtsprechung sicherlich angemessen reagieren. 

Es gibt Forderungen, dass man auch den Konsument:innen harter Drogen eine legale, staatlich kontrollierte Abgabe ermöglichen muss. Zum Beispiel um zu verhindern, dass Heroinsüchtige sozial verelenden und verdrecktes Heroin konsumieren.

Im Koalitionsvertrag haben wir klare Vereinbarungen getroffen. Diese gilt es nun zu erfüllen. Wichtig ist, dass wir die Hilfe für schwerstabhängige Menschen verbessern. Dazu gehören flächendeckende Therapie- und Beratungsangebote genauso wie der Ausbau von Substitutionsbehandlungen.

Herr Blienert, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Hinweis: Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat die Fragen schriftlich beantwortet.

Zitiervorschlag

Wann kommt die Cannabis-Freigabe?: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47931 (abgerufen am: 10.11.2024 )

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