Nach LTO-Informationen entscheidet das BVerfG bis zum Frühsommer über diverse Richtervorlagen zu Strafvorschriften im BtMG, die das Cannabisverbot betreffen. Kommt das Gericht dem angekündigten Ampel-Gesetzentwurf zuvor?
Nicht nur die sog. Cannabis-Community, sondern auch die Politik schaut in den nächsten Wochen und Monaten gespannt nach Karlsruhe. Dort wird es – u.U. bevor die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf vorlegt* – nach LTO-Informationen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu der Frage geben, ob das strafbewehrte Cannabisverbot verfassungskonform ist. Diverse Amtsgerichte stehen auf dem Standpunkt, dass die entsprechenden Vorschriften im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verfassungswidrig sind, so liegen dem BVerfG etwa Vorlagen des Amtsgerichts (AG) Bernau, des AG Münster sowie des AG Pasewalk vor. Ursprünglich hatte sich das BVerfG vorgenommen, darüber bereits 2022 zu entscheiden.
Nach Auffassung der jeweiligen Amtsgerichte verletzen u.a. die §§ 29 Abs.1 Nr. 3, 29a und 31a BtMG, soweit sie den Besitz von Cannabisprodukten unter Strafe stellen, eine Vielzahl von Grundrechten und verfassungsrechtliche Vorgaben (Art. 2 Abs. 1 GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG). Auch genügten sie nicht mehr dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG, da nicht ersichtlich sei, wann von einer "geringen Menge zum Eigenbedarf" auszugehen sei, die nach § 31a BtMG die Einstellung des Strafverfahrens ermögliche.
Lauterbach will bis Ende März Gesetz und Gutachten vorlegen
Die erwartete Entscheidung des BVerfG, die noch weitere Vorlagen (BVerfG 2 BvL 3/20, 2 BvL 14,20, 2 BvL 5/21, 2 BvL 7/21) betrifft, wird insofern mit Spannung erwartet, weil sie sich auch auf das geplante Legalisierungsvorhaben der Ampel auswirken könnte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bis Ende März einen Gesetzentwurf angekündigt, den er dann von der EU-Kommission auf Vereinbarkeit mit Europarecht überprüfen lassen will. Parallel dazu hat Lauterbachs Ministerium ein Gutachten beim Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD Hamburg) in Auftrag gegeben.
In dem Projekt soll laut Informationen des Ärzteblatts konkret der Wissensstand zu den Auswirkungen der Cannabislegalisierung zusammengefasst werden. Dazu soll es eine systematische Literaturrecherche geben. Darüber hinaus sollen Fachleute aus Kanada, USA, Uruguay und der Schweiz gehört werden, um über die Erfahrungen aus ihren Ländern zu berichten.
Die Gutachtenvergabe im Dezember hatte allgemein für Erstaunen gesorgt, weil die Bundesregierung bereits letzten Sommer ein fünftägiges Sachverständigen-Hearing durchgeführt hatte und eigentlich mit genügend wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerüstet sein müsste. Allerdings soll mit dem Gutachten offenbar in erster Linie die EU überzeugt werden. Schließlich halten diverse Experten Deutschlands umfassenden Legalisierungsansatz für europarechts- und auch völkerrechtswidrig. Ohne Nachverhandlungen auf EU-Ebene sei das Vorhaben jedenfalls nicht zu realisieren.
BVerfG könnte Ampel-Vorhaben forcieren oder bremsen
Gegenüber LTO hatte die EU-Kommission im Laufe der letzten Monate mehrfach bekräftigt, dass sie mit dem bereits seit Oktober vorliegenden Eckpunktepapier formal noch nichts anfangen könne, sondern vielmehr auf ein Gesetz warte. Lauterbach hatte die Situation offenbar von Anfang an falsch eingeschätzt. Auf einer Pressekonferenz Ende Oktober hatte er noch angekündigt, das Eckpunktepapier der Kommission vorzulegen und dieses dann prüfen zu lassen. Kritiker werfen Lauterbach vor, durch eine verfehlte Strategie das Vorhaben zu verschleppen. Eventuell fehlt es ihm aber auch an dem nötigen "Feuer": Schließlich galt der Bundesgesundheitsminister bis vor noch gar nicht so langer Zeit als überzeugter Legalisierungs-Gegner, soll nun aber die EU-Kommission von der zwingenden Gebotenheit des Projektes überzeugen.
Aber wie auch immer: Sollte nunmehr das BVerfG in Kürze die Cannabis-Strafvorschriften kippen, dürfte das neuen Schwung in die Debatte bringen und der Ampel Rückenwind verschaffen. Umgekehrt aber gilt auch: Bewertet das BVerfG die geltende repressive Rechtslage für verfassungskonform, geriete die Koalition wohl gehörig unter Druck. Gegenüber den Legalisierung-Gegnern wäre dann ein enormer Begründungsaufwand vonnöten, warum die Rechtslage dennoch geändert werden soll. Und auch wenn die reine Entkriminalisierung in Deutschland keine europarechtlichen Fragen aufwirft, würde das die Überzeugungsarbeit der Ampel gegenüber der EU-Kommission mit Blick auf ihr umfassendes Legalisierungsvorhaben wohl nicht erleichtern.
Legalisierungs-Befürworter hoffen auf Senats-Entscheidung
In Cannabis-Kreisen schaut man daher nun gespannt nach Karlsruhe: Der Bernauer Jugendrichter Andreas Müller kommentierte die anstehende Entscheidung des Zweiten Senats bei Twitter erfreut: "Auch Angeklagte haben ein Recht auf eine zügige Entscheidung". Hintergrund ist, dass bei den Richtervorlagen anhängige Strafverfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG ausgesetzt werden.
Spannend wird nun auch, ob der zuständige Zweite Senat, in dem BVRin Dr. Sibylle Kessal-Wulf die Berichterstatterin für das Thema ist, als Kammer oder als Senat entscheidet. Die Entscheidung der Kammer erfolgt im schriftlichen Verfahren und muss einstimmig ergehen. Einigen sich die drei Kammerangehörigen nicht, entscheidet der Senat mit allen acht Richterinnen und Richtern. Allein der Senat kann auch ein formelles Gesetz für nichtig oder mit der Verfassung unvereinbar erklären.
*Hinweis der Redaktion: ergänzt am 28.01.23, 15.00 Uhr
Cannabis-Legalisierung vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50909 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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