Kurz vor den Wahlen in NRW haben Politiker der Ampel für Herbst das versprochene Gesetz zur Cannabis-Legalisierung angekündigt. Doch dieses könnte u.a. gegen EU-Recht verstoßen. Robin Hofmann warnt daher vor einem Desaster wie bei der Maut.
LTO: Herr Dr. Hofmann, der Bundesjustizminister, der Bundesgesundheitsminister und der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung haben in den vergangenen Tagen klargestellt, dass nach ein paar noch ausstehende Gesprächen mit Fachleuten spätestens im Hebst ein Gesetz zur umfassenden Cannabis-Legalisierung auf dem Tisch liegen soll - wie im Koalitionsvertrag versprochen. Die Cannabis-Community hat das mit großer Freude aufgenommen. Warum hält sich Ihr Jubel in Grenzen?
Dr. Robin Hofmann: Ich bin schon etwas verwundert, dass bisher nicht ein Wort darüber verloren wurde, dass sich Deutschland jedenfalls mit seinem umfassenden Legalisierungsansatz, wie er im Koalitionsvertrag vereinbart ist, klar gegen internationales Recht stellt. Gegen das Völkerrecht und gegen EU-Recht. Ein Verstoß gegen letzteres birgt aus meiner Sicht die größten Risiken.
Eins nach dem anderen: Wieso verstößt eine Legalisierung in Deutschland gegen das Völkerrecht? Von Bundesjustizminister Marco Buschmann haben wir derartige Bedenken nicht gehört. Und der Drogenbeauftragte hat kürzlich im LTO- Interview klargestellt, dass in dem geplanten Gesetz der gesamte Prozess – vom Anbau bis zur Ladentheke – unter staatliche Kontrolle gestellt werden soll.
Nun, das UN-Einheitsabkommen über psychotrope Substanzen, zu denen auch Cannabis zählt, lässt den Mitgliedstaaten kaum Spielraum. Eine nationale Regulierung aus nicht medizinischen Gründen – etwa zum Freizeitkonsum - sieht das Abkommen, das 1961 im Prinzip zur weltweiten Ausrottung von Cannabis, Opium und Koka ins Leben gerufen und durch ein weiteres UN-Abkommen 1971 konkretisiert wurde, schlichtweg nicht vor. Und Deutschland ist beiden Abkommen beigetreten. Auch bei einer rundum staatlich kontrollierten Produktion, Handel und Abgabe würde Deutschland gegen die Abkommen verstoßen. Es bleibt zwar ein Trick, doch ich würde davon abraten, ihn anzuwenden.
"Bekannt für Null-Toleranz-Politik"
Welcher wäre das?
Deutschland könnte aus dem Abkommen austreten und wieder eintreten, allerdings dann unter einem ausdrücklichen Vorbehalt, der sich auf Cannabis bezieht. Bolivien hat das im Fall von Coca-Blättern praktiziert. Sie sind ausgetreten und dann mit dem entsprechenden Vorbehalt wieder Vertragspartner geworden.
Allerdings sollte sich Deutschland Bolivien nicht zum Vorbild nehmen. Das Kauen von Koka-Blättern hat in Bolivien eine lange Tradition. Es dient vor allem der armen Bevölkerung als Weg, den Hunger zu unterdrücken und harte Arbeit verrichten zu können. Mit dem Joint auf dem Balkon in einem reichen Industrieland, um besser entspannen zu können, ist das nicht zu vergleichen. Im Übrigen würde sich Deutschland in Widerspruch zu eigenem Handeln begeben.
Warum?
Deutschland war auf internationalem Parkett beim Thema Drogen lange bekannt für seine Null-Toleranz-Politik. Es gehörte bislang immer fest zum prohibitionistischen Bollwerk - auch mit Blick auf Cannabis. Bezüglich der Wiederaufnahme Boliviens mit dem erwähnten Vorbehalt hat Deutschland seinerzeit als einer von wenigen Staaten dagegen gestimmt. Die Bundesregierung sollte sich daher auf keine unglaubwürdige Strategie einlassen. Dies könnte von den anderen Vertragsstaaten abgestraft werden: wenn ein Drittel der Staaten widerspricht, könnte Deutschland der Konvention nicht wieder beitreten. Dann hätten wir uns selbst und ohne Not ins Abseits manövriert.
Verstoß gegen Völkerrecht in Kauf nehmen?
Was schlagen Sie dann als Alternative vor? Einfach wie Kanada und Uruguay den Verstoß gegen Völkerrecht in Kauf nehmen? Beide Staaten erhalten regelmäßig Rügen des International Narcotic Control Board.
Ich denke, das wäre in der Tat am ehrlichsten. Es gäbe ja gute Argumente im Hinblick auf Cannabis, um zu vertreten, dass die 60 beziehungsweise 50 Jahre alten Abkommen betrifft nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen. Deutschland könnte auf Änderung dieser Abkommen drängen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht gegen eine Legalisierung, sie sollte nur rechtlich einwandfrei sein.
Wieso klappt es denn in den Niederlanden halbwegs?
Dort hat man Cannabis gerade nicht komplett legalisiert, wie es Deutschland vorschwebt.
Produktion und Handel im großen Stil sind auch nach dem relativ laxen niederländischen Betäubungsmittelrecht schwere Straftaten, lediglich der Erwerb in den Coffeeshops ist unter bestimmten Voraussetzungen legal.
Um den internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden, praktiziert die niederländische Polizei seit Jahren einen Balanceakt: Immer mal wieder werden die illegalen Plantagen im Land hochgenommen und Container in den Häfen abgefangen. Zu echten Lieferengpässen in den Coffeeshops hat das allerdings nie geführt. Dass in den Niederlanden nicht so genau geschaut wird, wie das Cannabis in die Länden kommt, kann für Deutschland kein Modell sein. Es widerspräche im Übrigen unserem Legalitätsprinzip.
"EU-Recht steht umfassender Legalisierung entgegen"
Sie sprachen vom größten Risiko des EU-Rechts.
Ja, ich zitiere mal den EuGH aus dem Jahr 2010:
Nach dem Schengen Übereinkommen in Verbindung mit dem EU-Rahmenbeschluss 2004/757/JI haben sich die die Mitgliedstaaten verpflichtet, "die unmittelbare oder mittelbare Abgabe von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen aller Art einschließlich Cannabis und den Besitz dieser Stoffe zum Zwecke der Abgabe oder Ausfuhr unter Berücksichtigung der bestehenden Übereinkommen der Vereinten Nationen alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln erforderlich sind".
Eine eindeutige Vorgabe. Wie man vor diesem Hintergrund an eine Legalisierung im großen Stil – zudem durchgeführt mit deutscher Gründlichkeit – denken kann, ist mir schleierhaft. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis uns das Gesetz vor dem EuGH um die Ohren fliegt. Die PKW-Maut lässt grüßen.
Luxemburg hat wegen dieser Rechtslage von einer Legalisierung im großen Stil wieder Abstand genommen. Dort hat man eingesehen, dass sie EU-Recht widerspricht. Jetzt gibt es dort eine Art „Legalisierung light“, die ein bisschen Eigenanbau zulässt – einige Hanf-Pflänzchen im heimischen Wohnzimmer.
Sie wissen, dass Sie sich mit ihrer rechtlichen Analyse in der Cannabis-Community keine Freunde machen?
Ich kenne den Enthusiasmus vieler Legalisierungsbefürworter. Die Erwartungen sind hoch. Das EU-Recht steht der umfassenden Legalisierung aber entgegen. Als Rechtswissenschaftler weise ich lediglich auf diese Rechtslage hin.
"Modellprojekte und auf Änderung des EU-Rechts hinwirken"
Andere Juristen halten aber die Legalisierung in Deutschland für möglich. Es harren inzwischen diverse Richtervorlagen in Karlsruhe einer Entscheidung. Kann das BVerfG über die europarechtlichen Vorgaben hinwegsehen?
Aus meiner Sicht nein.
Was sollte dann jetzt in Deutschland passieren? Ein ehrliches Wort seitens der Politik nach dem Motto: "Sorry, wir haben uns geirrt, so wie wir uns mit der Legalisierung vorstellen, geht es nicht"?
Ich erwarte schon, dass eine vernünftige Prüfung – der Drogenbeauftragte sprach ja von einem "gründlichen Konsultationsprozess" – vor allem im BMJ am Ende dazu führt, dass man das Vorhaben relativiert und z.B erst einmal Modellprojekte in ausgewählten deutschen Städten ermöglicht - und natürlich flankierend auf eine Änderung des EU-Rechts hinwirkt.
In den Niederlanden laufen übrigens zurzeit solche Modellprojekte, nach denen der Staat Produktion und Handel in die Hand nimmt und kontrolliert. Man nähert sich also langsam einer echten Legalisierung an und bricht sie nicht übers Knie, wie es Deutschland vorschwebt.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Dr. Robin Hofmann ist Assistenzprofessor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Maastricht.
Verstoß gegen Völker- und Europarecht: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48436 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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