Das Cannabisgesetz steht vor einer letzten Hürde: Am 22. März entscheidet der Bundesrat, ob das Gesetz pünktlich zum 1. April in Kraft treten kann. Carmen Wegge, die für die SPD das Gesetz maßgeblich mitverhandelt hat, ist zuversichtlich.
LTO: Frau Wegge, in den Ländern gibt es massive Bedenken gegen das Cannabisgesetz (CanG). 16 Landesjustizministerinnen und -minister befürchten, dass ihre jeweilige Strafjustiz wegen einer im Gesetz verankerten Amnestieregelung lahmgelegt wird, sollte das Gesetz in wenigen Wochen an den Start gehen. Die Rede ist von mehr als 100.000 Akten, die geprüft werden müssten. Lässt Sie das kalt?
Carmen Wegge: Nein. Ich kann auch nachvollziehen, dass man nicht begeistert ist, wenn die eigene Behörde kurzfristig Mehrarbeit leisten muss. Aber die geäußerten Sorgen halte ich für maßlos übertrieben. Nur ein Bruchteil der Akten, in denen es um Verurteilungen nach dem Betäubungsmittelgesetz geht, betreffen Cannabis-Delikte, die wir künftig straffrei stellen.
Um die zu identifizieren, bedarf es keines langen Aktenstudiums. Man öffnet die Akte und stellt dann sehr schnell fest, ob jemand wegen ein paar Kilogramm Heroin verurteilt wurde oder wegen ein paar Gramm Cannabis. Dass überhaupt Akten durchgeblättert werden müssen, hat übrigens nichts mit dem CanG zu tun, sondern mit der schleppenden Digitalisierung in der Justiz. Die EDV-Erfassung in den Ländern ist miserabel. Dass eine Personengruppe, die nach Überzeugung des Gesetzgebers über Jahre zu Unrecht kriminalisiert wurde, das ausbaden soll, ist nach meiner Überzeugung inakzeptabel.
Die Justiz steht in der Verantwortung, Unrecht dort zu beseitigen, wo es vorliegt. Taten, die künftig nicht mehr strafbar sind, weiter zu vollstrecken, ist ungerecht. Das sieht der Gesetzgeber schon lange so, es steht explizit in § 313 EGStGB. Warum sollte diese Norm ausgerechnet im Fall des CanG keine Anwendung finden?
"Rückwirkender Straferlass ist verfassungsrechtliches Gebot"
LTO: Die Ausschüsse des Bundesrates plädieren ja teilweise nur für eine Verschiebung der Anwendung der Amnestie.
Carmen Wegge: Auch das kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben in der Koalition mit den Ländern über das Thema lange geredet. Der rückwirkende Straferlass ist ein verfassungsrechtliches Gebot. Mit der Beseitigung von Unrecht weiter zu warten, halte ich für falsch.
Die Justiz ist im Übrigen dazu da, an der Beseitigung dieses Unrechts mitzuwirken. Zumal sich inzwischen auch jegliche Befürchtungen erledigt haben, dass sich Mitarbeiter:innen in der Strafjustiz strafbar machen, wenn sie nicht sogleich zum 1. April mit der Prüfung der Fälle fertig sind. Auch die Sorge, dass in diesem Kontext Entschädigungsansprüche auf das Land zukommen, wurde juristisch widerlegt.
Und was die genannten Zahlen anbelangt, sollte man seriös bleiben: Die Bundesregierung rechnet mit maximal 7.500 Prüffällen für eine Haftentlassung.
LTO: Es gab auch den Vorschlag, einen rückwirkenden Straferlass nur auf Antrag zu ermöglichen.
Carmen Wegge: Auch das haben wir von den Rechtsexpert:innen prüfen lassen. Mit dem Ergebnis: Es wäre unverhältnismäßig, nur denjenigen Gerechtigkeit zukommen zu lassen, die sich auf die Hinterbeine stellen und einen Antrag formulieren. Alle Betroffenen müssen hier gleichbehandelt werden.
Anders haben wir es bei der Tilgung von künftig nicht mehr strafbaren Cannabis-Delikten beziehungsweise Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister geregelt. Hier erfolgt die Tilgung nur auf Antrag, ist aber auch dann unter Gerechtigkeitsaspekten unerlässlich.
"Ich glaube an ein Inkrafttreten zum 1. April"
LTO: Die im Bundesrat mit dem CanG befassten Ausschüsse haben bis auf den Verkehrsausschuss empfohlen, am 22. März den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dann würde sich das Gesetz so oder so verspäten. Glauben Sie noch an ein Inkrafttreten zum 1. April?
Carmen Wegge: Selbstverständlich. Es laufen derzeit intensive Gespräche mit den Ländern, in denen Überzeugungsarbeit geleistet wird.
Im Übrigen sei daran erinnert: Die Voten der Fachausschüsse des Bundesrates beruhen auf dem Ressortprinzip, das heißt, es ist nie ein Votum der gesamten Landesregierung, sondern der jeweiligen Ressorts. Im Plenum des Bundesrates kann eine Landesregierung auch andere Argumente in die Waagschale werfen und sich dann etwa für eine Enthaltung bei der Abstimmung entscheiden – ohne damit die fachlichen Bedenken aus einzelnen Ministerien an den Nagel zu hängen.
LTO: Aus den Ländern, unter anderem von den SPD-Landesgesundministerinnen in Sachsen und Sachsen-Anhalt, kommt der Wunsch, in einem möglichen Vermittlungsausschuss inhaltliche Punkte im CanG nachzuverhandeln: Besitzmengen, Abstände zu Kindereinrichtungen und Anbauvereinigungen sollen restriktiver geregelt werden. Klingt so, als sollte man nur zu Hause im stillen Kämmerlein kiffen dürfen.
Carmen Wegge: Ich kann nachvollziehen, dass Fachpolitker:innen auf Dinge hinweisen, die sie persönlich anders gemacht hätten. Aber ganz ehrlich: Viele der jetzt kursierenden Gegenargumente sind für uns nicht neu und wir haben sie bereits in der Koalition sorgsam abgewogen.
Das CanG ist alles andere als ein gesetzgeberischer Schnellschuss: Es gab eine Anhörung im Bundestag, das Bundesgesundheitsministerium hat wissenschaftliche Gutachten eingeholt und bereits 2022 hat es ein fünftägiges Hearing zur Cannabis-Legalisierung organisiert, bei dem mehr als 200 Expert:innen angehört wurden.
Zuletzt haben wir im Gesetzgebungsverfahren noch eine intensivere Evaluierung vereinbart: Sollte sich herausstellen, dass wir mit Blick auf die Ziele des Gesetzes – das sind Kinder- und Jugendschutz sowie Gesundheitsschutz – oder in Sachen Rechtssicherheit nachjustieren müssen, wird der Gesetzgeber damit nicht zögern.
"Kein Elfmeter für die Union"
LTO: Nach LTO-Informationen hat die FDP-Bundestagsfraktion angeregt, den Ländern jetzt auf die Schnelle noch entgegenzukommen und das Inkrafttreten des Gesetzes per kurzfristiger Gesetzesänderung zu verschieben.
Carmen Wegge: Kein guter Plan. Nicht nur, weil ich es in der Sache für falsch halte, mit der Beseitigung von Unrecht weiter zuzuwarten. Es wäre auch politisch ein falsches Signal, nach dem Motto: "Seht her, die Ampel korrigiert ihr eigenes Gesetz." Diesen Elfmeter will ich der Union nicht schenken.
An dieser Stelle möchte ich auch noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der mit einer Verschiebung verbunden wäre: Im CanG regeln wir ja nicht nur den Umgang mit Genuss-Cannabis. Es geht auch um die Versorgung von kranken Menschen mit Medizinal-Cannabis. In Deutschland produzierende Unternehmen müssen international konkurrenzfähig bleiben. Den Unternehmen würde letztlich ein wirtschaftlicher Schaden entstehen, wenn die im Gesetz vorgesehene Flexibilisierung der Anbaumenge nicht zeitnah kommt.
LTO: Das ARD-Magazin Kontraste stellt in einem am Donnerstag ausgestrahlten Beitrag die Frage, ob Deutschland ab dem 1. April ins Cannabis-Chaos steuert. Wie sehen Sie das?
Carmen Wegge: Das Gegenteil ist der Fall. Wir beenden mit dem Gesetz das aktuelle Chaos, das der gescheiterte Prohibitionskurs angerichtet hat. Ich bin davon überzeugt, dass man in einigen Monaten feststellen wird, dass die ganze Panikmache in Sachen Cannabis unbegründet war.
Frau Wegge, vielen Dank für das Gespräch.
MdB Carmen Wegge (34) ist Volljuristin und Mitglied im Vorstand der SPD-Bundestagfraktion. An den Beratungen zum Cannabisgesetz war sie maßgeblich beteiligt.
Interview zur drohenden Verzögerung des Cannabisgesetzes: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54113 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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