SPD-Minister aus Hamburg, Thüringen und Niedersachsen wollen das Cannabis-Vorhaben der Ampel im Bundesrat torpedieren und pochen auf die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes. Käme es so, wäre das Gesetz wohl nicht mehr wiederzuerkennen.
"Wenn wir irgendetwas jetzt nicht brauchen, dann ist es dieses Gesetz". Nicht aus dem schwarz regierten Bayern war dieser Satz zu hören, sondern aus dem rot-grün regierten Hamburg. SPD-Innensenator Andy Grote hatte mit diesen Worten bereits Mitte August im NDR klar zu verstehen gegeben, was er vom Cannabis-Vorhaben der Ampel – ausgearbeitet im Haus seines Parteigenossen Karl Lauterbach (SPD) - hält: Rein gar nichts. Jetzt wollen Grote und andere SPD-Landesminister: innen auch im Bundesrat ihrer Missbilligung Taten folgen lassen. Gemeinsam wohl mit den unionsregierten Ländern.
Mit denen ist man sich weitgehend einig: Das Gesetz der Ampel versage beim Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz, animiere eher zum Konsum, statt Jugendliche davon abzuhalten und kurbele überdies den Schwarzmarkt an. Von drohenden Belastungen für Justiz und Verwaltung ganz zu schweigen. Wenn sich also am 29. September die Länderkammer trifft, um u.a. Stellung zum Cannabisgesetz (CanG) zu beziehen, dürfte es für die Ampelkoalition in Berlin schmerzhaft werden.
Antrag Hamburgs im BR-Innenausschuss
Als Aufgalopp vor der anstehenden Plenarsitzung hat Hamburg einen Antrag in den Innenausschuss des Bundesrates eingebracht, der Lauterbachs Gesetz von der Zustimmung der Länder abhängig machen will. Dagegen ist der im Kabinett beschlossene Entwurf der Bundesregierung als Einspruchsgesetz konzipiert. Heißt: Der Bundesrat darf zwar Kritik üben und Einspruch einlegen, könnte aber letztlich von der Ampel mit der entsprechenden Mehrheit im Bundestag überstimmt werden.
Am Sonntag hat Innensenator Grote in einem Interview mit der Welt am Sonntag Andeutungen gemacht, wohin seiner Meinung nach im Bundesrat die Reise gehen soll. "Wir sind der Meinung, dass die Zustimmung des Bundesrates notwendig ist und die Länder deutlich intensiver mitbestimmen müssten“, sagte er. Diesen Standpunkt werde Hamburg im Bundesrat deutlich machen. Mit seinem "wir" ist offenbar die gesamte Regierung des Stadtstaates gemeint, inklusive der Grünen. Aus dem Büro der grünen Justizsenatorin Anna Gallina kam zu Grotes Ankündigung kein Widerspruch: Die Legalisierung von Cannabis sei zwar ein langjähriges Anliegen der Senatorin, aber trotz der grundsätzlich positiven Positionierung sehe auch ihr Ministerium "insbesondere hinsichtlich einer praxisgerechten Ausgestaltung Änderungsbedarfe", hieß es auf Anfrage von LTO.*
SPD-Gesundheitssenatorin: Regierungsentwurf "wesentlich ergänzungsbedürftig"
Offensiv unterstützt wird Grote bei seinem Versuch, das ungeliebte Legalisierungs-Vorhaben zu bremsen, nur von den unionsregierten Ländern und inzwischen auch von immer mehr SPD - Landesminister: innen. Dazu zählt etwa Lauterbachs Kollegin im Hamburger Gesundheitsressort, Melanie Schlotzhauer (SPD). Sie vertritt wie Grote die genau gegenteilige Position zum Bundesgesundheitsminister bzw. der Ampel: Durch das CanG würden weder der Gesundheits- noch der Kinder und Jungendschutz gestärkt. Der Entwurf sei "wesentlich ergänzungsbedürftig", heißt es aus ihrem Haus. So fehlten z.B. Aussagen zur Finanzierung von Maßnahmen, die durch die Länder umzusetzen oder vorzuhalten seien. Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Auswirkungen auf das Konsumverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Übersetzt heißt das: Kinder und Jugendliche werden nach Ansicht der SPD-Ministerin nach Inkrafttreten des Ampelgesetzes mehr statt weniger kiffen. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) teilt diese Sorge. Die leichtere Verfügbarkeit könnte wieder mehr Menschen an die Droge heranführen, hatte er kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur gewarnt.
In die gleiche Kerbe wie Grote, Schlotzhauer und Maier haut auch die niedersächsische SPD-Innenministerin Daniela Behrens: Sie teile die Bedenken, dass es sich bei dem CanG um ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, heißt es aus ihrer Pressestelle. "Die Legalisierung einer weiteren Droge wird die Welt grundsätzlich nicht sicherer machen." Behrens vermisst aus Berlin konkrete Vorschläge zur Stärkung des Jugendschutzes. "Mit einer Plakatkampagne wird es auf jeden Fall nicht getan sein", so die Ministerin. Im Übrigen seien eine Reihe von Kontroll- und Überwachungsvorschriften im neuen Gesetz für die Polizei- und Ordnungsbehörden in der Praxis nicht umsetzbar.
Juristen: für Zustimmungspflichtigkeit keine Grundlage im GG
Für die unionsgeführten Anti-Legalisierungs-Länder Bayern, Sachsen oder Sachsen-Anhalt dürfte der Antrag aus dem rot-grünen Hamburg, das Ampel-Vorhaben vom Plazet des Bundesrates abhängig zu machen, eine willkommene Steilvorlage sein. Aber ist das Anliegen auch juristisch tragfähig?
Von LTO befragte Experten bezweifeln das. Das Grundgesetz (GG) geht vom Grundfall des nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzes aus. Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, sind explizit im GG aufgeführt. Es handelt sich um drei Fallgruppen: Gesetze, die die Verfassung ändern, solche, die– wie z.B. Steuern - Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben oder Gesetze, für deren Umsetzung in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen wird und ihnen der Bundeseinheitlichkeit wegen verboten wird, davon abzuweichen (vgl. Art. 84 GG).
Im Rahmen des CanG werden nun zwar eine Reihe von Einzelgesetzen geändert, ein offensichtlicher Fall einer zustimmungspflichtigen Materie fällt aber nicht darunter: "Weil weder eine Verfassungsänderung notwendig ist noch im aktuellen Entwurf des CanG Vorschriften zu Steuern vorgesehen sind, dürfte eine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 79 Abs. 2 GG oder Art. 105 Abs. 3 GG ausgeschlossen sein", sagt der renommierte Cannabis-Rechtsexperte Peter Homberg.
Dem Anwalt zufolge kommt insbesondere Art. 84 Abs. 1, S. 6 GG nicht zur Anwendung. Danach wäre ein Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn das Bundesgesetz Regelungen hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens der Länder trifft und ihnen die gesetzlich vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten nimmt, weil im Ausnahmefall ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung des Verwaltungsverfahrens ohne Abweichungsmöglichkeit der Länder besteht. "Eine solche Regelung ist im aktuellen Entwurf des CanG jedoch gerade nicht enthalten", so Homberg.
Ähnlich sieht es auch der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Alexander Thiele: "Ich würde bei einem ersten Lesen nicht von einer Zustimmungsbedürftigkeit ausgehen. Eine fundamentale Veränderung bisheriger zustimmungspflichtiger Gesetze sehe ich bisher nicht. Auch ist mir keine Regelung aufgefallen, die eine Zustimmungsbedürftigkeit aus sich heraus begründen würde."
Hamburg: Änderung zustimmungsbedürftiger Gesetze
Auf Nachfrage beim Hamburger Innensenator, wie er denn die Zustimmungspflichtigkeit begründe, heißt es: "Die Zustimmungsbedürftigkeit des Cannabisgesetzes ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass es zustimmungsbedürftige Gesetze ändert", so Grotes Sprecherin Katrin Brardt. In diesem Fall seien dies das Betäubungsmittelgesetz (BtmG), das Arzneimittelgesetz (AMG), das Bundesnichtraucherschutzgesetz (BNichtrSchG) und das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung sei eine Zustimmungsbedürftigkeit anzunehmen, wenn ein Änderungsgesetz dazu führt, dass bestehende zustimmungsbedürftige Vorschriften eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite und damit letztlich einen neuen Inhalt erhielten.
Anwalt Homberg hält auch diese Argumentation nicht für stichhaltig: Der bloße Verweis auf die Änderungen im BtMG, AMG, BNichtrSchzG oder EGStGB genüge nicht. Vielmehr müssten zunächst in diesen Gesetzen die konkreten Normen ausfindig gemacht werden, die eine Zustimmungsbedürftigkeit dieser Gesetze aufgrund einer ausdrücklichen Bestimmung im GG begründet hätten. Dann müsse in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Regelungen des CanG diese wesentlichen Normen ändern oder ihnen eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen. "Nach einer ersten Durchsicht des Gesetzesentwurf scheint dies gerade nicht der Fall zu sein", so Homberg.
Exklusiv: Beschlüsse des BR-Rechtsausschusses
Sollte das Gesetz jedoch vom Votum des Bundesrates abhängig sein, ist jetzt schon absehbar, dass es dann mit einer Liberalisierung und Entkriminalisierung jedenfalls in der aktuellen Form erst einmal nichts wird: LTO liegen Beschlüsse des Bundesrats-Rechtsausschusses vor, aus denen hervorgeht, welche drastischen Änderungen die Rechtsexperten der Bundesländer anstreben.
Überraschend ist dabei das Abstimmungsverhalten von Ländern, in denen Grüne mitregieren: So sprach sich eine Mehrheit im BR-Rechtsausschuss etwa dafür aus, die Altersgrenze für die Freigabe von Cannabis von 18 Jahren auf 21 Jahre anzuheben. In der Begründung heißt es: Es sei wissenschaftlich belegt, dass Cannabiskonsum bei unter 21-Jährigen weitaus schädlichere Wirkung entfalte als bei Erwachsenen. "Das Risiko von Psychosen bis hin zu schizophrenen Erkrankungen ist deutlich erhöht". Zugestimmt haben diesem Antrag u.a. Hessen und Baden-Württemberg.
Eine deutliche Mehrheit fand auch der Vorschlag, von der geplanten Tilgung von Eintragungen und Verurteilungen im Zusammenhang mit Cannabis im Bundeszentralregister wieder Abstand zu nehmen. Schließlich ziele die Tilgung noch auf Urteile, bei denen die zugrundeliegenden Taten noch vom Schwarzmarkt geprägt gewesen seien. Den wolle die Ampel mit ihrem Gesetz ja erst unterbinden, so die Argumentation. "Eine Rechtfertigung der vorgesehenen Tilgung von Eintragungen aus dem Bundeszentralregister in Bezug auf Verurteilungen wegen in diesem ungeregelten Schwarzmarktumfeld begangener Taten ist nicht ersichtlich."
Kein Straferlass für vergangene Cannabis-Delikte
Auf volle Härte und kein Pardon setzen zehn Bundesländer auch in puncto Strafvollstreckung bei Cannabis-Taten, die unter der alten Rechtslage begangen wurden. "Der durch die entsprechende Anwendung von Artikel 313 EGStGB vorgesehene rückwirkende Straferlass ist sachlich durch die Zwecke des Gesetzentwurfs weder geboten noch begründbar", heißt es. Zugestimmt haben diesem Antrag aus Bayern und Baden-Württemberg neben dem schwarz-grün regierten Hessen auch die SPD-geführte Ampelregierung in Rheinland-Pfalz.
Weiter sprachen sich die Länder im Ausschuss mehrheitlich für Änderungen in der Strafprozessordnung (StPO) aus: Beim Verdacht von Straftaten nach dem neuen Konsumcannabisgesetz und Medizinal-Cannabisgesetz müssten Maßnahmen wie die Telefonüberwachung oder die Online-Durchsuchung möglich bleiben. Gegenstimmen gab es hier keine: Zwölf Länder stimmten dafür; Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen enthielten sich.
Wie es nach der Bundesrat-Sitzung am 29. September nun weitergeht, zeichnet sich ab: Der Beschluss einer Gegenäußerung der Bundesregierung zur Position der Länder wird in der Kabinettsitzung am 4. Oktober erwartet. Am 12. Oktober dürfte das CanG dann im Bundestag erstmals beraten werden – wohl als zustimmungsfreies Gesetz. Schließlich betonte ein Vertreter des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) im Rechtsausschuss des Bundesrates, man habe sich in seinem Haus ausgiebig mit der Frage beschäftigt, ob das Gesetz zustimmungspflichtig sei. Aus Sicht des BMJ sei das Gesetz kein Zustimmungsgesetz.
*Hinweis der Redaktion am 19.09.2023, 15:06 Uhr:
Nach Veröffentlichung des Artikels stellte Hamburgs Justizsenatorin Gallina gegenüber LTO klar, dass der fachlich zuständige Rechtsausschuss des Bundesrates nicht zu der Auffassung gelangt sei, dass das CanG der Zustimmung des Bundesrates bedarf. "Wir gehen davon aus, dass die im Innenausschuss für die Zustimmungsbedürftigkeit vorgetragene Begründung jedenfalls in Teilen schlicht überholt ist." Die im Innenausschuss vom Kabinettskollegen Grote herangezogene sog. 'Mitverantwortungstheorie' des Bundesverfassungsgerichts habe das Gericht in Bezug auf Änderungsgesetze aufgegeben", so Gallina.
Das CanG enthalte keine Regelung, die für sich zustimmungsbedürftig sei oder eine ursprünglich zustimmungsbedürftige Regelung ändert. Und ob mit den CanG ein Änderungsgesetzes vorliege, das erheblich in zustimmungsbedürftige Regelungen wie dem BtMG eingreife, sei fraglich. Über die Annahme, dass Regelungen zum Konsum von Cannabis "ein bedeutender Teil des BtMG" seien, lasse sich angesichts der Vielzahl durch das BtMG regulierter Betäubungsmittel trefflich streiten, so die Senatorin.
Cannabisgesetz im Bundesrat: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52734 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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