Eintönig wird es im Candylove-Prozess nicht: Dafür sorgte nun die Vorführung der Netflix-Doku "Shiny_Flakes" im Gericht und ein langer Beweisantrag des Staatsanwalts, der neue Details zum angeklagten Anwalt bereit hielt.
Der Saal wird abgedunkelt, eine große Leinwand fährt über den Köpfen des Gerichts herunter, der erste Bass dröhnt voll und laut durch den Raum. Szenen, die man nicht unbedingt mit einer Gerichtsverhandlung verbindet. Doch am zehnten Verhandlungstag im Prozess um den Drogen-Onlineshop "Candylove" (Az. 8 KLs 105 Js 34746/19) hieß es tatsächlich "Film ab" im Schwurgerichtssaal des Landgerichts (LG) Leipzig.
Die Netflix-Dokumentation "Shiny_Flakes" wurde im Gerichtssaal vor- und als Beweismittel eingeführt. Sie handelt von den Taten des Angeklagten Maximilian Schmidt rund um seinen ersten Drogenshop. Er selbst ist dort die Hauptfigur, gibt im Interview detailliert Auskunft, wie er zu Deutschlands "Kinderzimmer-Dealer" wurde und lange Zeit von der Polizei unentdeckt blieb.
Netflix wurde zuvor vom Gericht aus urheberrechtlichen Gründen um Zustimmung gebeten. Ob das rechtlich nötig war? Jedenfalls habe es der Streaming-Dienst dem Gericht gestattet, einen Download zu tätigen und für den Prozesstag zu nutzen, für danach sei die Löschung vereinbart worden, so der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr. Dank Leinwand war schließlich die Vorführung im Gerichtssaal möglich, die Bild-Zeitung hatte zuvor wild über einen Ortstermin in einem Leipziger Kino spekuliert.
Es konnte also losgehen – nur das Popcorn fehlte.
Peinlichkeit und Belustigung im Saal
Während Schmidt sich im Verfahren bisher überwiegend ruhig und selbstbewusst präsentierte, reagierte er bei der Vorführung der Doku etwas anders. Er wirkt teilweise peinlich berührt, hält sich lächelnd die Hand vors Gesicht, zupft sich Fusseln vom Pullover, sinkt in seinen Stuhl. Etwa als die Doku beginnt und er die ersten Sätze auf der Leinwand spricht oder später, als er sich über den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un äußert, dessen Bild er für sein Profil verwendet hatte ("Der is´ ja cool, also so vom Aussehen. Was er da in Nordkorea macht – keine Ahnung."). Auch die Stelle, an der er die Frage nach seiner Tätigkeit während des offenen Vollzugs bei einem Autohandel knapp mit "Autosachen" beantwortet - wobei er die Zeit tatsächlich womöglich für kriminelle Aktivitäten nutzte - scheint ihm nicht mehr so angenehm zu sein.
Es gibt aber auch Szenen, die ihn und auch seinen Verteidiger Curt-Matthias Engel sehr belustigen, meist Äußerungen seines damaligen Verteidigers oder des ehemaligen Leiters des Landeskriminalamtes, der sich am Ende der Doku sichtlich glücklich über das erneute Ermittlungsverfahren gegen Schmidt zeigt.
Selbst bei dem sonst sehr neutral wirkenden Vorsitzenden Harr stahl sich gelegentlich ein Schmunzeln ins Gesicht. Als der LKA-Leiter durch ein wissendes Schweigen sehr deutlich machte, dass ein erneuter Verdacht gegen Schmidt bestehe, schüttelte er dagegen den Kopf. Sein Kollege Richter Gaitzsch lachte an anderer Stelle still bei der Vermutung des JVA-Leiters, Schmidt werde nicht noch einmal straffällig werden.
Wie im Kino auch ging das Licht erst wieder an, als der Abspann vollständig durchgelaufen war. Welche konkreten Erkenntnisse das Gericht für das Candylove-Verfahren aus der Doku mitnahm, hat es noch nicht verraten.
Wird der "Heroinhöhlen"-Vermieter dem R. zum Verhängnis?
Damit war die Vorstellung im Gerichtssaal aber noch nicht vorbei. Es folgte ein seitenlanger Beweisantrag des Staatsanwalts, der im Wesentlichen Gespräche zwischen dem Angeklagten Friedemann G. und dem angeklagten Anwalt R. wiedergab. Mit ihm will die Staatsanwaltschaft den sich nach den bisherigen Äußerungen des Gerichts anbahnenden Freispruch des R. offenbar ins Wanken bringen.
Die Staatsanwaltschaft möchte unter anderem den Vermieter einer der Bunkerwohnungen, die als "Heroinhöhle" bezeichnet wurde, als Zeuge vernehmen. Dieser hatte Drogen in der Wohnung entdeckt, was für viel Wirbel zwischen G. und R. sorgte. Der Staatsanwalt sieht in der später teilweise vorgelesenen Kommunikation zwischen R. und G. den Beweis dafür, dass R. sehr wohl von den Drogen wusste, sich Geldbeträge daraus erhoffte und über die Gewinne mitverfügen wollte.
"Ich habe keine Lust, mich in die Nesseln zu setzen"
Anwalt R. hat Friedemann G. laut der vorgelesenen Gespräche unter anderem davor gewarnt, dass sie keine falschen Fehler machen dürften. Es habe keinen Mietvertrag, sondern "einfach Geld in die Tasche" gegeben. Der Vermieter habe von R. nach seiner Entdeckung in der Wohnung sodann Namen gefordert. In den anschließenden Telefonaten haben G. und R. nach dem vorgelesenen Protokoll hitzig über die weitere Vorgehensweise diskutiert. G. wollte demnach auf keinen Fall, dass R. dem Vermieter seinen Namen gebe. R. betonte, "keine Lust zu haben, sich in die Nesseln zu setzen", las der Staatsanwalt vor.
Anschließend sagte Anwalt R., mit der Situation überfordert zu sein, worauf G. laut Aufzeichnung entgegnete: "Jetzt bleiben Sie doch mal ruhig und lassen Sie sich von dem nicht so unter Druck setzen". Dann blieb G. offenbar selbst nicht mehr so ganz ruhig, und drohte, dem Vermieter eine Kugel in sein "verficktes Knie" zu schießen. "Wenn der jetzt Schritte einleitet, ohne mal zwei Stunden zu chillen, hat der sich sein eigenes Grab geschaufelt", so G. nach den Aufzeichnungen der Staatsanwaltschaft. Fast schon komödiantisch mutet es an, dass zwischen diesen Drohungen mehrmals aufgrund weniger Prozent Akku zur Eile gebeten wurde und der Gesprächsfluss durch schlechten Empfang ("Was? Wie bitte?") hinkte.
Die vorgelesenen Gespräche lassen also an der Einlassung des G., wonach R. ihm die Wohnung lediglich in der Annahme organisiert habe, ihm dessen Frauengeschichten zu ermöglichen, Zweifel aufkommen. Von der Vernehmung des Vermieters erhofft sich die Staatsanwaltschaft offenbar, das Gegenteil beweisen zu können.
Und täglich grüßt das Verwertbarkeits-Murmeltier
R.s Verteidiger Andrej Klein entgegnete auf den Antrag mit der mittlerweile gewohnten Vorgehensweise und beanstandete, dass die vom Staatsanwalt beantragten Beweise unverwertbar seien, da sie einzig aus Erkenntnissen aus der strittigen Telefonüberwachung kämen. Der geschlagene Haken zur Problematik des Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbots fehlte also auch am zehnten Prozesstag nicht.
Indes ließ der Vorsitzende verkünden, dass die externen Sachverständigen bis Ende April ein Ergebnis und ein Gutachten zugesichert hätten. Das Gericht hatte diese - unter Protest des Verteidigers Engel - beauftragt, um bisher verschlüsselte Datenträger Schmidts zu entschlüsseln und so gegebenenfalls weitere Erkenntnisse gewinnen zu können. Im nächsten Termin am 18. April 2023 ist demnach wohl noch nicht damit zu rechnen. Bis der Vorhang im Candylove-Prozess endgültig fällt, dürfte es also noch länger dauern.
Anm. d. Red.: Es handelt sich um eine um Schreibfehler korrigierte Fassung vom 20.04.2023.
Netflix-Doku als Beweismittel im Candylove-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 29.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51441 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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