Am Dienstag beginnt vor dem BVerwG bereits das zweite Verfahren, in dem über die Lärmauswirkungen und damit die Zulässigkeit des Flughafens Berlin-Schönefeld entschieden wird. Vor fünf Jahren verlangten die Richter Lärmschutzauflagen, die vielen Anwohnern noch nicht weit genug gehen. Ein Zankapfel zwischen Gesundheitsrisiken und Wettbewerbsvorteilen.
Unter dem Protest hunderter Anwohner und Anrainer vor dem Gebäude betraten die Richter des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) am Dienstag um 10 Uhr in ihrer Amtstracht den Sitzungssaal. Die Akten, die sie dabei unter dem Arm getragen haben, dürften ihnen wohlbekannt sein. In den Dokumenten geht es um das größte und prestigeträchtigste Verkehrsprojekt in Osten Deutschlands – den neuen Berliner Flughafen "Berlin Brandenburg Willy Brand". Bereits zum wiederholten Mal beschäftigt das Mammutwerk das Leipziger Gericht, nachdem es im März 2006 den Bau des Flughafens unter verschärften Lärmschutzauflagen genehmigt hatte.
Die Kläger sind mehrere Gemeinden und Anwohner aus dem Einzugsbereich des geplanten Airports, die sich gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der Flughafenbetreiber benachteiligt fühlen. Seit Monaten wird in der Region heftig protestiert, nachdem im September 2010 die Deutsche Flugsicherung erste Vorschläge für die Flugrouten vorgelegt hatte. Diese wichen nach Medienberichten stark von den seit Jahren bestehenden Annahmen ab. Die eingerichtete Fluglärmkommission beriet monatelang und erarbeitete einen Kompromiss, auf den sich die Gegner des Projekts jedoch immer noch nicht einlassen wollen.
Viele Parteien mit sehr unterschiedlichen Interessen
Es steht für beide Seiten einiges auf dem Spiel. Während die Anwohner um ihre Nachtruhe bangen und erhebliche Gesundheitsrisiken durch ständige Lärmbelastung fürchten, geht es der Politik um den Wirtschaftsstandort und Wettbewerbsvorteile: Die Länder Berlin und Brandenburg, die neben dem Bund Bauherren des Projektes sind, versprechen sich viel von dem neuen Flughafen, der hinter Frankfurt und München auf Platz 3 avancieren würde. Die Landesregierungen verkündeten, dass das Objekt der Region 40.000 neue Arbeitsplätze bringen werde.
Einen weiteren Wettbewerbsvorteil sahen die Verantwortlichen in dem ursprünglich geplanten 24-Stunden-Betrieb, der aber durch die Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2006 bereits beschnitten wurde. Jetzt beschränken sich Unternehmen und Politik darauf, weitere Einschränkungen zu verhindern, denn "die Randzeiten sind wichtig für den Flughafen und für die gesamte Region lebensnotwendig", betont Flughafen-Sprecher Ralf Kunkel.
Aktuell sind Nachtflüge nur in den so genannten Randzeiten zwischen 22.00 Uhr und 24.00 Uhr sowie zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr erlaubt. In der übrigen Zeit von Mitternacht bis 5.00 Uhr dürfen keine Starts und Landungen erfolgen. Ausnahmen gelten für Posttransporte, Regierungsmaschinen und Notfälle.
Der lange Weg eines unfertigen Flughafens
Doch bis die veranschlagten 2,5 Milliarden verbaut worden sind, der alte Flughafen Schönefeld auf eine Größe von rund 2.000 Fußballfeldern erweitert wurde und die anvisierten Kapazitäten von bis zu 27 Millionen Passagieren aufgenommen werden können, hat der scheinbar junge Flughafen bereits eine über 20-jährige Geschichte hinter sich. Die Vorbereitungen begannen 1991, damals noch unter dem Projektnamen "Berlin Brandenburg International". Bei gleichzeitiger Schließung der innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof entschieden sich die Planer 1996 zum Ausbau des alten Schönefelder Landeplatzes, dessen Planfeststellungsbeschluss im August 2004 grünes Licht erhielt.
Rund 4.000 Klagen empörter Anrainer gingen gegen die Baugenehmigung beim BVerwG in Leipzig ein. Sie sahen durch die Erweiterung des bestehenden Schönefelder Lufthafens ihre ohnehin schon beeinträchtigte Ruhe in Gefahr. Immerhin erreichten die Anwohner durch zahlreiche Eilanträge einen vorläufigen Baustopp und schließlich als endgültige Entscheidung verschärfte Lärmschutzauflagen beim Weiterbau. Das Brandenburger Verkehrsministerium entwickelte daraufhin neue Nachtflugregelungen, die es 2009 vorlegte.
Ein wirkliches Nachtflugverbot stellte diese Behördenentscheidung zwar nicht dar, sondern sie beschränkt die Anzahl der Flüge zur nächtlichen Ruhezeit. Solche Einschränkungen sind üblich: Auch an vielen anderen deutschen Großflughäfen bestehen in den Nachtstunden nur eingeschränkte Betriebgenehmigungen. Selbst am größten Airport in Frankfurt/Main dürfen zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr nur 17 Starts und Landungen durchgeführt werden.
Das BVerwG muss es zum zweiten Mal richten
Das Problem des Flugbetriebs deutscher Zivilflughäfen und die damit verbundene Lärmbelästigung der oft dicht besiedelten Nachbarschaft rühren aus den gesetzlichen Bestimmungen, die keine exakten Vorgaben definieren.
Der Flugbetrieb wird in Deutschland im Wesentlichen durch das Luftverkehrsgesetz (LuftVG) und dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluLärmG) geordnet. Das FluLärmG sieht jedoch nur allgemein vor, dass in der Umgebung von Flugplätzen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor Gefahren und Belästigungen durch Fluglärm bauliche Nutzungsbeschränkungen und ein Schallschutz sicherzustellen ist. Daneben bestimmt § 29 b Absatz 2 LuftVG, dass Luftfahrtbehörden und Flugsicherungsorganisationen auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinwirken sollen. Es existiert jedoch keine Bestimmung, aus der sich ein gesetzlich definiertes "Nachtflugverbot" und damit ein "Recht auf Nachtruhe" ableiten ließen.
Zwei aufeinander folgende Tage hat sich das BVerwG für die mündliche Verhandlung genommen, es wird einen separaten Verkündungstermin geben. Bis dahin müssen die Leipziger Richter die Lärmgutachten, Anwohnerbelange und die Ziele der Planer in die gesetzlichen Vorgaben einordnen.
Damit ist es das BVerwG, das erneut den Sachverhalt auf seine möglichen Auswirkungen hin überprüft und im Bedarfsfall Betreibern und Bauherren konkretere Vorgaben macht. Dafür werden schon die verärgerten Nachbarn sorgen, die weitere Proteste angekündigt haben. Eine "Krawall-Demo" soll es nach Aussage des Bürgervereins Berlin-Brandenburg aber nicht geben. Viel Lärm wäre in diesem Falle auch sicher kontraproduktiv.
Erstellt mit Materialen der dpa.
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BVerwG zum Berliner Flughafen: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4341 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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