Das Porto u.a. für den "Standardbrief" national war 2003 bis 2005 zu hoch, entschied das BVerwG am Mittwoch. Ob nun die Gerichte auch die jüngste Portoerhöhung kassieren könnten, erklärt Andreas Neumann.
Was lange währt, wird endlich gut. Dieses Sprichwort hat sich aus Sicht des klagenden Interessenverbands alternativer Anbieter von Express- und Kurierpostdiensten mit den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom Dienstag (BVerwG, Urt. v. 05.08.2015, Az. 6 C 8.14, 6 C 9.14 und 6 C 10.14) bestätigt.
Mit den Entscheidungen gaben die Leipziger Richter Klagen gegen drei Beschlüsse der Bundesnetzagentur statt, mit denen diese die Briefentgelte der Deutschen Post AG für ihre Dienstleistungen "Standardbrief" national, "Kompaktbrief" national, "Großbrief" national und "Postkarte" national für die Jahre 2003 bis 2005 genehmigt hatte. Ungewöhnlich ist dabei nicht einmal in erster Linie, dass zwischen den beklagten Entgeltgenehmigungen und der letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung ein Zeitraum von über zehn Jahren liegt. Es ist vielmehr die prozessuale Vorgeschichte, die den Verfahrenskomplex von anderen regulierungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten abhebt.
Der klagende Verband war bereits im Jahr 2007 vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln unterlegen. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster zurück. Hiergegen rief der Verband das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an – mit Erfolg.
Die Karlsruher Richter hielten es für unvertretbar, dass das OVG Münster es abgelehnt hatte, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Dieses ließ daraufhin die Berufung zwar zu, wies sie im Jahr 2013 dann aber zurück: Der klagende Verband habe als gewöhnlicher Postkunde schon keinen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung der Entgeltgenehmigung. Außerdem sei die Genehmigung auch materiell rechtmäßig. Auf die Revision des klagenden Verbands hat das BVerwG diese Einschätzung nun korrigiert.
Wer kann gegen Entgeltgenehmigung klagen?
Wenig überraschend ist dabei, dass die höchsten deutschen Verwaltungsrichter in dem Hauptstreitpunkt des Verfahrens dem klagenden Verband Recht gaben.
Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung des BVerwG zum Telekommunikationsrecht, dass ein Vertragspartner des entgeltregulierten Unternehmens berechtigt ist, eine Entgeltgenehmigung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Genehmigung gestatte dem regulierten Anbieter nicht nur die Erhebung des genehmigten Entgelts. Sie führe vielmehr außerdem dazu, dass es verboten ist, andere als die genehmigten Preise zu verlangen. Dadurch greife sie auch in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie der Vertragspartner des regulierten Unternehmens ein.
Gescheitert ist angesichts der nun ergangenen Urteile des BVerwG der Versuch des OVG Münster, sich von dieser Rechtsprechung abzugrenzen. Richtig ist zwar, dass die bisher vorliegenden Entscheidungen aus Leipzig die Genehmigung von Entgelten für Vorleistungen betrafen. Hierbei handelt es sich um Teile der gesamten Wertschöpfungskette, die das regulierte Unternehmen für andere Diensteanbieter erbringt, auf deren Grundlage diese dann wiederum den Endkunden eigene Angebote unterbreiten können.
BVerwG: Endkunden dürfen nicht rechtsschutzlos stehen
In dem nun entschiedenen Rechtsstreit ging es demgegenüber um Endkundenentgelte, also Entgelte für (Post-)Dienstleistungen, die von beliebigen Nachfragern in Anspruch genommen werden können. Das OVG Münster wollte daraus ableiten, dass es letzten Endes um Interessen der Allgemeinheit gehe, aus denen sich keine subjektiven Rechte im Sinne der deutschen Schutznormlehre ergeben. Hieran ändere auch der Eingriff in die Privatautonomie der Postkunden nichts, da dieser gerechtfertigt sei.
Diesen Überlegungen ist das BVerwG nun zu Recht nicht gefolgt. Insbesondere war es wenig überzeugend, dass das OVG das Bestehen einer Rechtsposition mit der Erwägung verneint hat, dass der Eingriff in diese Position gerechtfertigt sei.
Denn der durch das subjektive Recht vermittelte Anspruch auf gerichtliche Überprüfung eines hoheitlichen Eingriffs dient ja gerade der Klärung, ob dieser Eingriff rechtmäßig ist. Nicht ohne Grund hatte denn auch bereits das BVerfG darauf hingewiesen, dass die Zuerkennung der Klagebefugnis "für den Postkunden ohne Wert [ist], wenn im Rahmen der Begründetheit der Klage ausschließlich darauf abgestellt wird, dass selbst bei Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts eine Verletzung in eigenen Rechten ausscheidet". Über diese klare Vorgabe ist das OVG Münster eher nonchalant hinweggegangen. Das BVerwG hat nun sichergestellt, dass die Postkunden nicht "praktisch rechtsschutzlos" stehen, was nach Einschätzung des BVerfG die Konsequenz der obergerichtlichen Rechtsauffassung gewesen wäre.
2/2: Rechtswidrig von den Kosten effizienter Leistungsbereitstellung abgewichen
Und auch bei der damit eröffneten Kontrolle der Entgeltgenehmigungen kam das BVerwG zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz. Diese hatte noch im Wesentlichen formal-rechtlich argumentiert.
Und das nicht ganz zu Unrecht. Das postrechtliche Entgeltgenehmigungsverfahren ist als sog. Preisobergrenzen- bzw. "Price Cap"-Verfahren zweistufig ausgestaltet.
In einer ersten Verfahrensstufe werden sog. Maßgrößen für einen "Korb" von Postdienstleistungen festgelegt. Aus diesen ergibt sich, in welcher Weise sich die Preise für die betreffenden Dienstleistungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu entwickeln haben. In der eigentlichen Genehmigungsentscheidung wird dann auf einer zweiten Stufe im Wesentlichen nur noch geprüft, ob die für die einzelnen Postdienstleistungen beantragten Entgelte diesen Vorgaben entsprechen. Hiervon war das OVG Münster ausgegangen. Im Übrigen hatte es darauf abgestellt, dass die insoweit relevante Maßgrößenentscheidung der Bundesnetzagentur bestandskräftig geworden und nicht nichtig sei.
Das BVerwG hat demgegenüber nun entschieden, dass die Bundesnetzagentur bei der streitgegenständlichen Genehmigung der Entgelte gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen habe. Die Behörde habe ausdrücklich von einer vollständigen Annäherung der Entgelte an die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung abgesehen.
Wettbewerbsförderung kein Argument für höhere Preise
Hinter dieser Vorgehensweise der Bundesnetzagentur dürfte die Erwägung gestanden haben, dass bei höheren Endkundenentgelten der Deutschen Post AG andere Anbieter von Postdienstleistungen größere Anreize und Möglichkeiten haben, mit ihren eigenen Angeboten in Konkurrenz zu den Angeboten des ehemaligen Monopolisten zu treten. Gerade auch aus dem Telekommunikationssektor ist nämlich bekannt, dass die Endkunden spürbare finanzielle Vorteile erkennen müssen, um zu alternativen Anbietern zu wechseln. Bei einer strengen Regulierung der Endkundenentgelte am Maßstab der Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung sind entsprechende Preissetzungsspielräume bestenfalls gering.
Aus regulierungspolitischer Sicht mag es daher sinnvoll erscheinen, die Endkundenentgelte des marktbeherrschenden Unternehmens nicht zu eng an dieser Obergrenze zu regulieren. Nach der nun vorliegenden Rechtsprechung des BVerwG stehen die gesetzlichen Vorgaben einer solchen Genehmigungspraxis allerdings entgegen.
Dem regulierungspolitischen Anliegen der Bundesnetzagentur wird daher nur der Gesetzgeber Rechnung tragen können. Denkbar wäre eine Angleichung der postrechtlichen Vorschriften an das Telekommunikationsrecht. Dort spielt eine Vorabgenehmigung von Endkundenentgelten im Massengeschäft keine Rolle mehr. Damit sich hieraus die erhofften wettbewerbsfördernden Effekte ergeben, muss eine solche Lockerung aber von einer scharfen Regulierung der Vorleistungsentgelte flankiert werden. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass zwischen den Endkunden- und den Vorleistungsentgelten der Deutschen Post AG ein hinreichender Abstand besteht.
Ein großer Schritt für den klagenden Verband…
Die gestrigen Urteile sind ein großer Erfolg für den klagenden Interessenverband, dessen Hartnäckigkeit sich letzten Endes ausgezahlt hat. Das gilt freilich in erster Linie in ideeller und politischer Hinsicht.
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen des prozessualen Obsiegens dürften sich demgegenüber in Grenzen halten: Der Verband kann die von ihm als Postkunde in den betroffenen Jahren gezahlten Briefentgelte zurückverlangen. Dieser Rückzahlungsanspruch dürfte letzten Endes außerdem auf den Betrag beschränkt sein, der über die genehmigungsfähigen Entgelte hinausgeht.
Die Hoffnung anderer Postkunden auf eine vergleichbare Rückerstattung gezahlter Briefporti macht das BVerwG demgegenüber auf Rechtsfolgenseite unmittelbar zunichte: Es hat die Entgeltgenehmigungen nur im Rechtsverhältnis zwischen der Deutschen Post AG und dem klagenden Verband aufgehoben. Auch insoweit sind die Leipziger Richter also ihrer Rechtsprechung zum Telekommunikationsrecht treu geblieben.
Zwar ist es nicht von vornherein rechtlich ausgeschlossen, dass die Bundesnetzagentur die Entgeltgenehmigungen insgesamt zurücknimmt. Angesichts der Besonderheiten des Briefgeschäfts hat die Behörde aber beinahe schon zwingende Argumente, hiervon abzusehen. Wenn ein Großteil der Verträge durch den Einwurf eines frankierten Briefes in den Briefkasten zustande kommt, lässt sich nicht einmal ansatzweise absehen, welche Postkunden in welcher Höhe von einer (teilweisen) Aufhebung der Entgeltgenehmigungen profitieren sollen.
Und jetzt, wo alle klagen können?
Weitaus spannender sind die Konsequenzen der Leipziger Entscheidungen für die Zukunft der Postregulierung: Die Bundesnetzagentur und die Deutsche Post AG müssen jetzt damit rechnen, dass Postkunden die Genehmigung der Briefporti gerichtlich überprüfen lassen.
Während solche Verfahren auf der einen Seite für Großversender wirtschaftlich interessant sein dürften, könnten sich entsprechende Klagen für Einzelpersonen auf der anderen Seite gerade umgekehrt als praktisch gangbar erweisen, weil deren Prozesskostenrisiko letztlich überschaubar sein dürfte.
Offen bleibt schließlich, wie die Verwaltungsgerichte mit der umgekehrten Verfahrenssituation umgehen müssen, wenn also die Deutsche Post AG auf Genehmigung höherer Briefentgelte klagen sollte. Zum Telekommunikationsrecht hat das BVerwG die Ansicht vertreten, dass wegen der privatrechtsgestaltenden Wirkung der Entgeltgenehmigung die Vertragspartner des entgeltberechtigten Unternehmens notwendig zum Verwaltungsprozess beizuladen sind. Auf Ebene der (End-)Kundenentgelte hätte ein solches Beiladungserfordernis allerdings unüberschaubare Schwierigkeiten zur Folge. Insoweit ist den Bedenken des OVG Münster zuzustimmen.
Das BVerwG hat sich also zwar einmal mehr als strenger Hüter einer effizienzorientierten Entgeltregulierung im Interesse der Endkunden und des Wettbewerbs erwiesen. Der von ihm entschiedene Rechtsstreit erinnert zugleich aber einmal mehr daran, dass eine umfassende Reform des PostG dringend nötig ist. Auch hier gilt hoffentlich: Was lange währt, wird endlich gut.
Andreas Neumann ist Geschäftsführer des privaten Instituts für das Recht der Netzwirtschaften, Informations- und Kommunikationstechnologie (IRNIK) in Bonn und begleitet das Regulierungsrecht seit rund fünfzehn Jahren wissenschaftlich.
Andreas Neumann, BVerwG bewilligt Rechtsschutz: Postporto war zu hoch . In: Legal Tribune Online, 06.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16527/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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