Das Beamtenrecht in Baden-Württemberg weicht in bedeutenden Bereichen von dem des Bundes und anderer Bundesländer ab. Frank Wieland erläutert, warum und unter welchen Umständen das BVerwG diese Abweichungen in zwei Urteilen erlaubt.
Am Donnerstag hat das Bundeverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass ein bestandskräftiger Bescheid über den Verlust der Besoldung nach baden-württembergischen Beamtenrecht nur dann eine Bindungswirkung für das anschließende Disziplinarverfahren entfaltet, wenn der betroffene Beamte über diese Möglichkeit zuvor aufgeklärt wurde (Urt. v. 21.04.2016, Az. 2 C 13.15). In dem Verfahren wendete sich ein Polizeihauptmeister gegen seine durch Disziplinarverfügung ausgesprochene Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, weil er längere Zeit nicht zum Dienst erschienen war.
Generell gilt: Bleibt ein Beamter unentschuldigt dem Dienst fern, so hat dies zum einen besoldungsrechtliche Folgen: Nach § 11 Landesbesoldungsgesetz Baden-Württemberg – eine vergleichbare Regelung findet sich in § 9 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) - verliert der Beamte für die Zeit des Fernbleibens seine Bezüge. Dies gilt auch bei einem Fernbleiben vom Dienst für Teile eines Tages. Der Verlust der Bezüge wird durch den Dienstvorgesetzten festgestellt. Diese Feststellung ist zunächst keine disziplinarähnliche Sanktion eines Fehlverhaltens, sondern nur mehr die Regelung einer besoldungsrechtlichen Reaktion auf eine Leistungsstörung.
Die Rechtsfolge des Verlustes der Dienstbezüge tritt kraft Gesetzes ein, nachdem der Verlust vorher festgestellt worden ist. Im nächsten Schritt geht es in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren um die Überprüfung der getroffenen Feststellung, die sich darauf bezieht, ob und gegebenenfalls wie lange der Beamte - schuldhaft – ohne Genehmigung dem Dienst fern geblieben ist.
Vom Gericht ungeprüfte Bescheide als Verfahrensgrundlage?
Der klagende Polizeihauptmeister war längere Zeit schuldhaft dem Dienst ferngeblieben. Zwei Bescheide über den Verlust der Dienstbezüge hatte er nicht angefochten. Das BVerwG hatte die Fragen zu klären, ob diese bestandskräftigen Bescheide nunmehr ohne weitere gerichtliche Überprüfung einer Entscheidung im Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden können und wie weit die Bindungswirkung für das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung der Disziplinarverfügung geht.
Hintergrund der Bindungswirkung ist zunächst die Überlegung, dass derselbe Sachverhalt, der die Grundlage für die besoldungsrechtliche Folge des Verlusts der Dienstbezüge bildet, auch für die disziplinarrechtliche Würdigung des Verhaltens des Beamten maßgeblich ist. Daher wird es grundsätzlich als sachgerecht angesehen, der disziplinarrechtlichen Würdigung die bereits festgestellten tatsächlichen Verhältnisse zu Grunde zu legen.
Hier unterscheidet sich hinsichtlich des Umfangs der Bindungswirkung die Regelung im Landesdisziplinargesetz Baden-Württemberg (LDG-BW) beispielsweise von der Regelung im Bundesdisziplinargesetzes (BDG). Voraussetzung für die Bindungswirkung ist das Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils über die Fragen des Verlusts der Dienstbezüge ist (vgl. etwa § 57 Abs. 1 BDG). Diese Regelungen im BDG und in den meisten anderen Landesdisziplinargesetzen dienen der Rechtssicherheit: Es soll vermieden werden, dass zu einem identischen Lebenssachverhalt in unterschiedlichen Verfahren unterschiedliche, insbesondere widersprüchliche Feststellungen getroffen werden.
Bindungswirkung in BaWü auch durch Bescheide
Im süddeutschen Bundesland ordnet § 14 LDG-BW hingegen an, dass die tatsächlichen Feststellungen einer unanfechtbaren Entscheidung – und damit auch diejenigen eines ohne gerichtliche Überprüfung bestandskräftig gewordenen Bescheids – über den Verlust der Dienstbezüge im sachgleichen Disziplinarverfahren bindend sind.
Dies bedeutet, dass eigene Ermittlungen einschließlich Beweiserhebungen im sachgleichen Disziplinarverfahren unzulässig sind. Die Bindungswirkung betrifft sowohl die Feststellungen über das Fernbleiben des Beamten vom Dienst, also Zeitpunkt und Dauer, als auch die Feststellung zur Pflichtwidrigkeit und zum Verschulden des Beamten.
Das bedeutete für den betroffenen Beamten, dass er im Disziplinarverfahren zwar einen Zugang zu den Gerichten hat, diese aber aufgrund der Bindungswirkung zahlreiche Fragen rund um das Fernbleiben des Beamten vom Dienst nicht mehr überprüfen. Kann dies mit dem Grundrecht des effektiven Rechtsschutzes vereinbar sein? Oftmals mögen es pragmatische Gründe gewesen sein, gegen die Verlustfeststellung nicht weiter vorzugehen. Es kann aber auch schlichtweg Unwissen des Beamten im Hinblick auf die Konsequenzen für ein nachfolgendes Disziplinarverfahren eine Rolle gespielt haben.
BVerwG: vorherige Belehrung notwendig
Das Verfahren vor Gericht muss aber dem verfassungsrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) und des fairen Verfahrens aus Art. 20 Abs. 3 GG)gerecht werden. Unzulässig ist es hier Schranken aufzubauen, die den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen.
Daher ist der Entscheidung des BVerwG zuzustimmen, wenn es darauf abgestellt, dass die vorgesehene Bindungswirkung nur dann eingreift, wenn der Beamte hierüber bereits im Verwaltungsverfahren über den Verlust der Dienstbezüge belehrt wurde.
Bei einer vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung hält das BVerwG die baden-württembergischen Regelungen für verfassungsgemäß. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Beamte über die Konsequenzen zuvor im Verwaltungsverfahren belehrt worden sei.
2/2: Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt
Ebenfalls am Donnerstag hat das BVerwG entschieden, dass die Regelung, nach der Beamte in Baden-Württemberg durch behördliche Disziplinarverfügung entlassen werden können, verfassungskonform ist (Urt. v. 21.04.2015, Az. 2 C 4.15). Auch hier geht das Bundesland einen Sonderweg. Hält eine dortige Disziplinarbehörde nach dem Ergebnis der Ermittlungen ein Dienstvergehen für erwiesen und eine Disziplinarmaßnahme für erforderlich, ist eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Diese darf auch die Höchstmaßnahmen – Zurückstufung oder gar Entlassung aus dem Beamtenverhältnis –verfügen.
Im Bund und den übrigen 15 Bundesländern wird hier differenziert zwischen der Zuständigkeit der Disziplinarbehörde, die etwa nach § 33 Abs. 1 BDG durch Disziplinarverfügungen einen Verweis, eine Geldbuße, eine Kürzung der Dienstbezüge oder einer Kürzung des Ruhegehalts aussprechen darf, und der Notwendigkeit zur Erhebung einer Disziplinarklage, wenn gegen den Beamten auf Zurückstufung, auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden soll (vgl. § 34 BDG). Hier erstreckt sich die Disziplinargewalt der Disziplinarbehörden also nicht auf sogenannte statusberührende Disziplinarmaßnahmen, welche dort unter Richtervorbehalt stehen.
In Baden-Württemberg kein Richtervorbehalt
Anders stellt sich die Rechtslage auf der Grundlage des § 38 LDG-BW dar. Hier werden sämtliche Disziplinarmaßnahmen gegenüber Landesbeamten, also auch die Höchstmaßnahmen, durch die Disziplinarbehörden mittels Disziplinarverfügung ausgesprochen, gegen die der betroffene Beamte dann vor den zuständigen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen kann. Im zu entscheidenden Fall hatte das BVerwG zu überprüfen, ob diese weitgehende behördliche Kompetenz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Insbesondere in der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass es sich bei der gerichtlichen Kompetenz für die disziplinaren Höchstmaßnahmen um einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG handelt. In diesem Kontext wird teilweise auch mit dem Lebenszeitprinzip argumentiert, welches der Beendigung eines Beamtenverhältnisses durch Verwaltungsakt entgegenstehe.
Dieser Auffassung folgt das BVerwG nicht: Es führt aus, dass es keinen mindestens unter der Verfassung von Weimar geltenden Grundsatz dahingehend gebe, dass Beamte nur im Verfahren der Disziplinarklage entlassen werden könnten. Grundsätze des Berufsbeamtentums würden der Entfernung durch behördliche Disziplinarverfügung, die im Nachgang einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden könne, nicht entgegenstehen. Das BVerwG betont in diesem Zusammenhang, dass den Landesbeamten in Baden-Württemberg ein umfassender nachträglicher Rechtsschutz vor den Disziplinargerichten, denen eine eigene Disziplinarbefugnis zustehe, eröffnet sei. Von der gerügten Verfassungswidrigkeit der behördlichen Disziplinarbefugnis ist das BVerwG deshalb nicht überzeugt.
Baden-Württemberg vermeidet dadurch die Beibehaltung einer nicht in das System der Verwaltungsgerichtsordnung passenden Klageart sui generis. Um ein "rechtliches Relikt" handelt es sich bei der Disziplinarklage natürlich noch nicht, da Baden-Württemberg bislang alleine diesen Sonderweg eingeschlagen hat.
Frank Wieland ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Seine Kanzlei ist spezialisiert auf sämtliche Fragen des öffentlichen Dienstrechts.
Frank Wieland, BVerwG zum baden-württembergischen Beamtenrecht: Bundesland darf Sonderwege gehen . In: Legal Tribune Online, 22.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19184/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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