Suchtbekämpfung – das war nicht nur das erklärte Ziel des Sportwettenmonopols, sondern auch seine einzige Rechtfertigung. Daran hat sich NRW jedenfalls bis 2012 nicht gehalten, stellte das BVerwG am Donnerstag fest. Stattdessen sei verführerisch mit hohen Jackpots geworben worden. Entscheidend war für das Ergebnis der Leipziger Richter nicht nur die Werbestrategie in NRW, erklärt Oliver Brock.
Mittlerweile ist bereits ein neuer Glückspielstaatsvertrag in Kraft. Seit August letzten Jahres zieht sich ein nicht enden wollendes Verfahren zur Vergabe der 20 gesetzlich vorgesehenen Konzessionen für Sportwetten hin. Wie eine Vergangenheit, die nicht vergehen will, fristet daneben der alte Glücksspielstaatsvertrag von 2008 sein Dasein nicht nur mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen, sondern auch in der Rechtsprechung. Am Donnerstag musste sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) noch einmal mit der Vereinbarkeit des staatlichen Sportwettenmonopols mit dem Unionsrecht und der mittlerweile berühmt-berüchtigten Kohärenzprüfung befassen – also der Frage, ob das Monopol tatsächlich für eine stimmige Suchtprävention genutzt wurde (Urt. v. 20.06.2013, Az. 8 C 10.12, 8 C 12.12, 8 C 17.12).
Das Gericht bestätigte dabei die Entscheidungen des OVG Münster von 2011/2012, das das Monopol bereits für europarechtswidrig erklärt hatte. Nach Auffassung des OVG waren der expansive Ausbau des Spielautomatensektors und die exzessive Werbepraxis der Landeslotteriegesellschaften nur schwerlich mit dem Ziel der Suchtbekämpfung in Einklang zu bringen und dienten eher fiskalischen Zwecken. Die Verwaltungsrichter untersuchten dabei allerdings nicht nur das Verhalten von Westlotto, also des Monopolträgers in Nordrhein-Westfalen, sondern fassten den gesamten deutschen Lotto- und Totoblock ins Auge.
Suchtbekämpfung muss stimmig sei
Die rechtlichen Auseinandersetzungen rund ums Glücksspiel in Deutschland haben Tradition. Das so überaus zäh verteidigte staatliche Veranstaltungs- und Vermittlungsmonopol für Sportwetten beruhte ursprünglich auf den Lotteriegesetzen der Länder. Seit 2004 im Lotteriestaatsvertrag länderübergreifend geregelt, starb das Monopol im März 2006 vor dem Bundesverfassungsgericht schon einmal einen spektakulären Tod. Als schwerer Eingriff in die Berufsfreiheit sei es nur dann gerechtfertigt, wenn der Staat sein Monopol konsequent zur Suchtprävention nutze, schrieben die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber damals ins Stammbuch (Urt. v. 28.03.2008, 1 BvR 1054/01).
Die Länder entschieden sich in der Folge dafür, das Monopol durch einen auf den ersten Blick strenger an den Bedürfnissen der Suchtprävention ausgerichteten Glücksspielstaatsvertrag zu retten, der 2008 zudem ein komplettes Internetverbot für Glücksspiele mit sich brachte. Spürbaren Einfluss auf die Allgegenwart von Glücksspielangeboten in der Öffentlichkeit hatte dies aber nicht. Ganze Bereiche wie das Automatenspiel oder Pferdewetten wurden außerdem hiervon gar nicht erfasst.
Im September 2010 schließlich stoppte der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Experiment Glücksspielstaatsvertrag 2008 (Urt. v. 08.09.2010, Az. C-46/08, C-316 u.a./07, C-409/06). Dabei spielte der Kohärenz-Test eine wichtige Rolle, der die Grenzen für eine Beschränkung der europarechtlichen Grundfreiheiten festlegte. Zur Freude aller Rechtswissenschaftler und Examensprüfer und wohl zum Schrecken aller Studenten und Examenskandidaten differenzierten die Luxemburger Richter diesen Test immer weiter aus.
Im Grunde sagte der EuGH damit etwas Ähnliches wie das BVerfG in seinem Sportwettenurteil: Ein Mitgliedstaat kann aus ordnungspolitischen Gründen wie der Sucht- oder Betrugsbekämpfung eine Grundfreiheit beschränken bis hin zum Totalverbot für Private, die Maßnahmen müssen aber in sich stimmig sein.
Das BVerwG zog im November 2010 aus den Vorgaben des EuGH erste Konsequenzen: Es erklärte das Sportwetten- und Lotteriemonopol in Bayern für unionsrechtswidrig, weil es das offiziell propagierte Ziel der Spielsuchtbekämpfung nicht stimmig verfolgte (Urt. v. 24.11.2010, Az. 8 C 15.09).
Gemeinsame Werbestrategie der Länder für Kohärenz-Test relevant
Das höchste deutsche Verwaltungsgericht in Leipzig hatte nun über die Klage dreier Wettshops zu entscheiden, die in Mönchengladbach, Mühlheim an der Ruhr und Bochum Sportwetten an private Anbieter im Ausland vermittelten, hierfür aber keine Erlaubnis hatten. Die Städte hatten die Vermittlung mit der Begründung untersagt, eine Erlaubnis könne wegen des damals im Lotteriestaatsvertrag und seit 2008 im Glücksspielstaatsvertrag geregelten Sportwettenmonopols nicht erteilt werden.
Offen geblieben war bisher die Frage, ob für den Kohärenz-Test nur die Werbestrategie in dem jeweiligen Bundesland relevant ist oder auch die des Deutschen Lotto- und Totoblocks, der Dachorganisation der Landeslotterien. In den „bayerischen“ Fällen hatte das BVerwG nur auf das Verhalten von Lotto Bayern abgestellt, in den aktuellen Entscheidungen rückt es davon ab: Der Kohärenz-Test müsse die im Deutschen Lotto- und Totoblock abgestimmte Dachmarkenstrategie, die gemeinsamen Werberichtlinien, ebenso wie die Werbung in den anderen Bundesländern berücksichtigen.
Diese räumliche Ausdehnung der Kohärenzprüfung hat auch für die aktuelle Rechtslage erhebliche Folgen. Zwischenzeitlich galt in Schleswig-Holstein nämlich ein sehr viel liberaleres Glückspielrecht, das etwa die Anzahl der Lizenzinhaber für Sportwetten und Online-Casinospiele nicht beschränkte und einen Rechtsanspruch auf eine Lizenz enthielt. Schleswig-Holstein ist zwar mittlerweile dem neuen Glücksspielstaatsvertrag beigetreten, die zwischenzeitlich erteilten über 20 Lizenzen gelten aber für sechs Jahre fort.
Die Frage, welchen Einfluss dieses schleswig-holsteinische Sonderrecht auf den Glücksspielstaatsvertrag hat, veranlasste den Bundesgerichtshof schon im Januar zu einer erneuten Vorlage an den EuGH. Zumindest, dass grundsätzlich die Verhältnisse in der gesamten Bundesrepublik beim Kohärenz-Test einzubeziehen sind, dürfte aber nun geklärt sein.
Der Autor Oliver Brock ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro der wirtschaftsberatenden Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek im Bereich IP, Media & Technology. Er berät deutsche und internationale Glücksspielanbieter.
NRW-Sportwettenmonopol verstößt gegen EU-Recht: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8981 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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