Der Entzug eines Doktorgrades ist nur bei Straftaten mit Wissenschaftsbezug möglich, so das BVerwG. Christoph Smets begrüßt das Urteil, denn bei der Promotion sollte es um wissenschaftlichen Verdienst und nicht um bürgerliche Ehrbarkeit gehen.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am Mittwoch über die Klage eines Mannes entschieden, dessen Doktorgrad von der Universität nachträglich entzogen worden war (Urt. v. 30.09.2015, Az. 6 C 45.15). Im polizeilichen Führungszeugnis, das er bei der Zulassung zur Promotion hatte vorlegen müssen, war eine bereits rechtskräftige* Verurteilung wegen sexueller Nötigung aufgrund verzögerten Informationsaustauschs zwischen den Behörden noch nicht eingetragen gewesen. Wäre ihr die Verurteilung damals bekannt gewesen, so die Universität, dann hätte sie den Mann gemäß ihrer Promotionsordnung gar nicht erst zugelassen.
Eben diese Promotionsordnung hat das BVerwG nun jedoch aufgrund ihrer Unbestimmtheit als unverhältnismäßig angesehen. Denn dort war nur vorgeschrieben, dass der Promotionsanwärter sein Führungszeugnis vorlegen muss. Daraus lasse sich ableiten, dass die Universität sich eine Nichtzulassung für beliebige Vorstrafen vorbehalte. Tatsächlich dürfe die Zulassung wegen Vorstrafen aber nur versagt werden, wenn dies der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsbetriebes dient. Dies sei "nur dort der Fall, wo die strafrechtlichen Verfehlungen einen unmittelbaren Bezug zu der mit dem Doktorgrad verbundenen fachlich-wissenschaftlichen Qualifikation haben."
Diejenigen Promotionsordnungen, in denen ohne nähere Eingrenzung eine Vorlage des Führungszeugnisses zur Zulassungsvoraussetzung gemacht wird, oder die bei etwaigen Eintragungen unabhängig von der Natur der Straftat den Entzug des Grades ermöglichen, dürften damit nicht mehr haltbar sein. Umgekehrt werden Vorschriften implizit bestätigt, die einen Entzug im Zusammenhang mit einer Straftat etwa nur dann vorsehen, wenn der/die Träger/in "den Doktorgrad zur Vorbereitung oder Durchführung einer vorsätzlichen Straftat missbraucht hat".
Schlechte Moral bedeutet nicht schlechte Forschung
Die genauen Voraussetzungen für eine Nichtzulassung zur Promotion bzw. zum Entzug des Doktorgrades variieren von Fachbereich zu Fachbereich. Durchgängig sehen die Promotionsordnungen jedoch bisher ein Versagen der Zulassung oder eine Entziehung der Promotion nur bei Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr (mit oder ohne Bewährung) vor.
Dabei stellt sich die Frage, was eigentlich eine strafrechtliche Verurteilung mit einem wissenschaftlichen Grad zu tun haben soll. Die Voraussetzungen und Ziele einer Promotion werden rein wissenschaftlich definiert, im Kern am häufigsten über die Demonstration zur Fähigkeit, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten (etwa § 67 Abs. 1 S. 1 Hochschulgesetz NRW). Beides, selbständig und wissenschaftlich, wird durch eine Straftat aber ebenso wenig berührt, wie die fachspezifische wissenschaftliche Leistung der jeweiligen Promotion insgesamt. Insofern hat das BVerwG mit der "Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses" den zutreffenden Anknüpfungspunkt gefunden.
Schluss mit dem Erhabenheitsgehabe
Ohnehin dürfte der Hintergrund solcher Vorschriften ein anderer sein: Er liegt im sozialen Prestige begründet, das der Doktorgrad mit sich bringt: In den Augen der Öffentlichkeit steht selten die wissenschaftliche Leistung, sondern oftmals lediglich der reine Fakt der Promotion ("Herr Doktor") im Vordergrund. Für Personen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs handelt es sich vor allem um eine Doktorwürde, eine Veredelung der Person durch eine höhergestellte Institution, die das Sozialkapital des Trägers steigert.
Der Entzug des Doktorgrads wegen einer "allgemeinen", nicht promotionsbezogenen, Straftat richtet sich genau auf diese Komponente: Er soll den "Würdeanschein" beseitigen, den die Universität durch die Verleihung hervorgerufen hat, um nicht weiter mit dem Träger assoziiert zu werden. Hauptsächlich dies ist es dann auch, was am Entzug des Doktortitels stört: der Rufverlust. Dieser bleibt auch dann bestehen, wenn man etwa einen Außenminister nicht als "wissenschaftlichen Mitarbeiter" eingestellt hat.
Mit der Lebensführung eines Promovierten, sei sie im Einzelfall auch fragwürdig oder sogar verachtenswert, haben Universitäten aber im Grunde nichts zu tun. Deswegen kann man auch darüber streiten, ob die Bewahrung des sozialen Status eines Doktorgrades ihre Sorge sein muss: Wenn ein Denkwandel stattfände und die Öffentlichkeit eine Promotion nicht mehr mit einer Form von Erhabenheit verwechseln würde, wäre das gleich in mehrfacher Hinsicht hilfreich. Einerseits müssten die Universitäten keine Ressourcen auf die Betreuung bloßer "Titel-Promotionen" verwenden und andererseits bräuchten sie nicht mehr als Ehrgerichte zu fungieren, die letztlich keine Fach-, sondern eine Persönlichkeitsbewertung vornehmen. Das würde allerdings in erster Linie keinen rechtlichen Wandel voraussetzen – sondern einen kulturellen.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Promovend an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst "rechtswidrige". Geändert am 30.9.2015, 20:02
Christoph Smets, BVerwG zur Aberkennung akademischer Titel: . In: Legal Tribune Online, 30.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17054 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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