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BVerwG zu Verpflichtungserklärung für Flüchtlinge: Einmal humanitär, immer humanitär

von Tanja Podolski

03.02.2017

Menschen auf der Flucht

© ginae014 - Fotolia.com

Wer sich einmal per Verpflichtungserklärung einverstanden gezeigt hat, für die Lebenshaltungskosten von Ausländern aufzukommen, muss auch dabei bleiben. Auch dann, wenn später ein gesonderter Aufenthaltstitel gewährt wird, so das BVerwG.

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Verpflichtungserklärungen galten bis 2016 unbefristet

Wer eine Übernahme der Lebenshaltungskosten für Flüchtlinge in Deutschland zugesagt hat, zahlt diese auch dann, wenn diesen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden (Urt. v. 26. 01.2017, Az. 1 C 10.16). Damit hat das Gericht Klarheit in bisher sehr unterschiedliche Rechtsprechung gebracht.

Syrer durften nach verschiedenen Aufnahmeanordnungen des Bundes und der Länder betreffend syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aus den Jahren 2013 und 2014 aus humanitären Gründen unter anderem dann nach Deutschland einreisen, wenn sie in Deutschland jemanden fanden, der für sie eine so genannte Verpflichtungsklärung abgegeben hatte. Damit erklärte sich die in Deutschland lebende Person bereit, jegliche Lebenshaltungskosten, zum Beispiel auch im Krankheitsfall, für den Syrer zu übernehmen. Eine solche Ermächtigung für die Länder sieht § 23 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG) vor.

Grundsätzlich endet eine solche Verpflichtung, wenn die geflüchteten Menschen einen eigenen Aufenthaltstitel erlangen, etwa als Flüchtling anerkannt werden. Denn Flüchtlinge haben in Deutschland Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II oder XII, Asylbewerber und Geduldete haben Anspräche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG).

In der Folge der Aufnahmeanordnungen der Länder, mit der 20.000 Syrer nach Deutschland einreisen konnten, stellten einige von ihnen Asylanträge in der Hoffnung, den ihnen wohlgesinnten Verpflichtungsgeber von seiner Erklärung zu entbinden.

Erklärung bis zum Aufenthaltstitel

In dem vom BVerwG entschiedenen Fall hatte ein in Deutschland lebender syrischer Staatsangehöriger sich durch Unterzeichnung formularmäßiger Erklärungen verpflichtet, für den Lebensunterhalt seiner Nichte, ihres Ehemannes und deren Kindes "bis zur Beendigung des Aufenthalts […] oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck" aufzukommen. Dies sollte deren Einreise ermöglichen.

Die Verwandten reisten im Juni 2014 mit einem Visum aus Syrien in das Bundesgebiet ein und erhielten Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit der Aufnahmeanordnung. Im Dezember 2014 erkannte ihnen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf die von ihnen gestellten Asylanträge die Flüchtlingseigenschaft zu.

Das beklagte Jobcenter forderte mit Leistungsbescheid vom 3. September 2015 von dem Verpflichtungsgeber die Erstattung von 8.832,75 Euro, die es für seine drei Verwandten im Zeitraum vom 11. Februar 2015 bis 31. August 2015 nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II aufgewendet hatte. Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf hat die Klage gegen den Erstattungsbescheid abgewiesen (Urt. v. 01.04.2016, Az. 22 K 7814/15). Vor dem BVerwG hatten die Kläger, die Erben des Verpflichtungsgebers, mit ihrer Revision nun keinen Erfolg.

Die Einstandspflicht hat sich mit der Neuregelung nicht verändert

2/2: Humanitär bleibt humanitär

Der 1. Revisionssenat stützt seine Entscheidung darauf, dass die nach der Flüchtlingsanerkennung erteilten Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht zu einem "anderen Aufenthaltszweck" erteilt worden seien. Der Zweck seien humanitäre Gründe – ebenso wie nach der Aufnahmeanordnung der Länder. Denn die durch die Verpflichtungserklärung ermöglichte Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG habe mit dem Schutz vor den bürgerkriegsbedingten Lebensverhältnissen in Syrien ebenso humanitären Schutzzwecken gedient wie die der Gewährung internationalen Schutzes durch Flüchtlingsanerkennung nachfolgende Aufenthaltserlaubnis.

Der "Aufenthaltszweck" im Sinne der abgegebenen Verpflichtungserklärung sei in einem weiten Sinne zu verstehen nicht notwendig auf den jeweiligen "Aufenthaltstitel" beschränkt. Aufenthaltszweck im Sinne der Verpflichtungserklärung umfasse daher jeden Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, wie sie - unter dieser Überschrift - vom Gesetzgeber im Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes zusammengefasst seien. Auch die Unterschiede der einzelnen Aufenthaltserlaubnisse veränderten nicht den gemeinsamen, übergreifenden Aufenthaltszweck.

Aufkommen auch für anerkannte Flüchtlinge

"Diese Rechtsprechung des BVerwG betrifft die Fälle derjenigen Ausländer, die über Aufnahmeprogramme des Bundes und der Länder nach Deutschland gekommen sind", erklärt Rechtsanwalt Malek Shaladi aus Düsseldorf. "Die für diese Menschen abgegebenen Verpflichtungserklärungen waren unbeschränkt gültig, so dass die Verpflichtungsgeber erhebliche finanzielle Risiken eingegangen sind."

Mit der Änderung der §§ 68 und 68a AufenthaltG hat der Gesetzgeber diese unbefristete Verpflichtung allerdings im vergangenen Jahr aufgegeben: Verpflichtungserklärungen sind nun auf fünf Jahre beziehungsweise drei Jahre in Altfällen beschränkt. Diese Regelung gelte analog für subsidiär Schutzberechtigte und wohl auch für Personen, bei denen ein Abschiebungsverbot festgestellt wurde, so Shaladi.

"Für die Verpflichtungsgeber können die Folgen dieses Urteils erheblich sein, weil sie damit für die Kosten von anerkannten Flüchtlingen, insbesondere Krankheitskosten, aufkommen müssen", sagt Shaladi. Allerdings hätte es auch schlimmer kommen können: Ohne die Gesetzesänderung in 2016 wäre die Haftung in diesen Fällen zeitlich unbefristet.

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Tanja Podolski, BVerwG zu Verpflichtungserklärung für Flüchtlinge: Einmal humanitär, immer humanitär . In: Legal Tribune Online, 03.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21993/ (abgerufen am: 29.01.2023 )

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